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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Molly-Auguste stand in jenem pikanten Alter, das auf poetisch angelegte Gemüther so großen Reiz zu üben pflegt: – Bürger sah den schelmischen Backfisch, den ausgelassenen Springinsfeld sich vor seinen Augen zur herrlich blühenden Jungfrau entfalten, in deren elfenhaft zierlicher, feurig beweglicher Gestalt sich „die schönste Weiberseele“ offenbarte.

Dorette war ernster, schüchterner, verschlossener. Sie verstand es nicht, auf die Dauer ihrem durch einen geistvollen Universitätsverkehr verwöhnten Manne dichterische Anregung zu gewähren, und da sie im elterlichen Hause, wo man auf großem Fuß zu leben gewohnt war, weder Sparsamkeit noch Ordnung gelernt hatte, wußte sie sich nicht in beschränkte Verhältnisse zu schicken und die Pflichten einer wirthschaftlichen Hausfrau, wie es nöthig war, zu erfüllen. Dadurch verstimmt, unterschätzte Bürger zuletzt ihren Werth und war überrascht, als er zufällig einmal dahinter kam, daß sie sogar Verse schrieb, „die erstaunlich

Bürger’s Molly (Auguste Leonhart).
Nach einem von ihr selbst 1781 gemalten Pastellbilde.
Dorette Bürger (1781).
Nach einem Pastellbilde von ihrer Schwester Molly-Auguste.

viel Anlage verriethen“. Kopfschüttelnd theilte er einem Freunde die Entdeckung mit: „Es ist aber ein gar schnurriges Weib. Von alledem läßt sie keinem Menschen, am allerwenigsten mir ’was sehen. Wüßte sie, daß ich ’was davon ausspionirt hätte, so wäre Alles aus. Ich muß sie also in der Stille beginnen lassen und verstohlen sehen, was heraus kommt.“

Ein so schweigsam stilles Wesen, das vielleicht den besten Theil seines inneren Lebens in sich verschloß, paßte schlecht zu einem Manne, der in kindlicher Offenheit stets sein Herz auf der Zunge trug. Er wurde es müde, hinter der spröden Schale den süßen Kern zu suchen, und scheint nicht ganz Unrecht zu haben, wenn er behauptet, daß sie in ihrem Mangel an Eifersucht „durch einige Herzensgleichgültigkeit unterstützt“ wurde. Ihrem jüngsten Bruder schreibt sie selbst einmal über dieses Thema: „Für Deine schöne pathetische Lobrede auf meine Zurückhaltung und Enthaltsamkeit mache ich Dir in Gedanken den tiefsten Knix. Ich glaube aber wirklich, daß ich eine gute Portion Neugierde weniger muß empfangen haben, wie meine theuren Mitschwestern, denn es fällt mir nie ein, Etwas, das für Bürger bestimmt ist, durchwühlen zu wollen, wäre ich auch überzeugt, daß er es mir nicht übel nehmen würde. Es ist also noch die Frage, lieber George, ob dies Tugend oder Temperament ist?“

Auch fremden Besuchern gegenüber mag Dorette nicht sehr gesprächig gewesen sein. In den Briefen der Freunde Bürger’s, welche sie kannten, ist selten von ihr die Rede. Die Dichterin Philippine Gatterer schreibt charakteristisch bei der Erinnerung eines Besuches im Bürger’schen Hause: „Mehr als einmal wünschte ich nach Wöllmershausen zu kommen, und Ihre liebe sanfte Frau und Ihr pfiffiges kleines Mädchen wieder zu sehen. Damals, wie ich sie sah, war das letzte einige Wochen alt; ich sah, wie ihm Zwieback-Brey in’s Mäulchen geschmiert wurde, und hörte es schreyen; das war nicht viel, mehr konnte man damals aber nicht fordern, jetzt würde sie mich gewiß sehr ergözen. Ihre Frau Gemahlin war noch nicht ganz wieder hergestellt, sah sehr krank aus und schien nicht viel Lust zum Reden zu haben. Ich hoffte es wenigstens und schrieb’s ihrer Schwächlichkeit, und ihr Stillseyn keiner Abneigung gegen mich zu. Sie saß so zärtlich und sittsam auf dem Kanapee. Hatte sich und ihr Kind in einen Mantel gehüllt und schlug die Augen auf das Kind wie eine Madonna.“ Diesen Eindruck der Mater dolorosa, der sanft ergebenen Dulderin, machte Dorette also schon damals, zu einer Zeit, wo ihr häusliches Glück noch durch keine Kämpfe gestört war.

Die erste verschleierte Andeutung solcher Kämpfe findet sich in einem Billet an Goethe vom Januar 1776. „Ich habe,“ schreibt Bürger, „ein gutes Weib und ein schönes Kind vom zweyten Geschlecht, aber was helfen die einem Herzen, über welchem Basilisken brüten? Wie oft ärgere ich mich, daß die mich nicht ärgern können und wollen.“ Und in einem andern Briefe an Boie vom Sommer desselben Jahres heißt es: „Ach, Freund, was für Projecte und Phantome wälzen sich nicht Kopf unten Kopf oben in meiner Seele herum! Bisweilen denke ich, ich will die Revenüen meines Bischen ererbten Vermögens meiner Frau und Kind zu ihrem Lebensunterhalte anweisen und mich dann nackt und bloß in den weiten Ocean der Welt stürzen. Komm’ ich um, so komm’ ich um! Erreich’ ich aber irgendwo ein schönes gesegnetes Eiland, so will ich die Meinigen nachholen.“ – „Ja, hättest Du nicht Weib und Kind,“ antwortet der warnende Freund, „so möchtest Du immer sagen: Haec schola me non capit, und den Staub von deinen Füßen schütteln.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_012.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)