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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Der Hauptgrund zu dem Unmuthe des Dichters war indeß jetzt noch nicht sein Liebesschmerz, sondern die unfruchtbare Quälerei seiner Amtspflichten, deren Erfüllung ihm durch die beständigen Chicanen des Obristen von Uslar völlig verleidet ward. „Gott erlöse mich aus dem Moraste dieses Verdrusses!“ rief er aus. „Schwehr ist mir’s, daß ich Weib und Kind habe, und noch schwehrer, daß ich beyde liebe … Wenn Du das Heurathen nur einigermaßen lassen kannst, so laß es! Die Ehe – und wenns auch aufs köstlichste mit ihr ist – ist Mühe und Arbeit.“

Silhouette Bürger’s.
Nach einem Schattenrisse von
Dr. Weis (1777).

Aehnlich schrieb er mit erzwungenem Humor im Januar des nächsten Jahres an Voß, welcher sich kurz nach seiner Verlobung mit der Schwester Boie’s um eine Lehrerstelle zu Hamburg beworben hatte. „So helfe Sie denn der Himmel zum Conrectorat am Johanneo und Ihrem Mädchen. Das wünscht Ihnen, weil Sie’s doch nicht anders werden haben wollen, Ihr Freund aus treuem Herzen. Sollten Sie mit der Zeit von beyden gern wieder losseyn wollen, wie sich dergleichen hin und wieder in der Welt zutragen soll, so mögen Sie sich das selbst wünschen. Ich habe so meine eigene Schadenfreude, wenn ich das wonne- und hoffnungstrunkene Völklein um den bunten gleißenden verschlossenen Tempel Hymens herumtaumeln und nach der Eröffnung seufzen höre. Wir, die wir drinn sind, könnten Euch draußen wohl manches zur Beherzigung eures Wohls und Wehes herausrufen. Allein weil wir angeführt sind, sehen wir gern, daß auch Andere mit uns es werden. Man denkt: Abraham zwing dich, ich habe mich auch gezwungen. – Liebster Voß, wie werdet Ihr Euch verwundern, daß in eben dem Tempel, dessen Außenseite so herrlich erscheint, dessen Kuppeln von Azur und Gold ins Feld glänzen, dessen marmorne Außenseiten mit Statuen, Gruppen, Basreliefs und Mahlereyen al fresco so herrlich verziert sind, daß, sag

Das Bürgerthal bei Reinhausen.
Nach einer Originalzeichnung von Otto Peters.

ich, in diesem Tempel die schönsten Hallen und Gemächer nur mit Tapeten von altem Wachstuch bekleidet und mit ganz ordinären Geräthschaften versehen sind. Mit den Blumen, die manche raffinirte Leute in Töpfen und Gläsern drin aufziehen wollen, ist es lauter Hudeley gegen die Blumen der Natur in freyer Flur unter dem unermeßlichen blauen Himmel. Hieraus, Freund, müßt Ihr nicht schließen, als ob mir etwa ein Stall oder Keller zu Theil geworden wäre. Mit Nichten! Ich bewohne eins von den besten Zimmern. Aber es ist doch darin überall so ordinair als auf einer Studentenstube.“

Dies war das erste Stadium seiner Leidenschaft. Wie fast alle Gedichte Bürger’s ein Spiegel persönlichster Erlebnisse sind, so erzählt die am 2. Februar 1776 vollendete Ballade „Schön Suschen“ mit ergreifender Wahrheit die Geschichte seiner Liebe zu Doretten und das allmähliche Erkalten dieser Liebe:

Und wieder kam gar andre Zeit,
Gar anders ward es mir:
Doch alle Tugend, Sittsamkeit
Und Schönheit blieb an ihr.

Ich kam und ging, ich ging und kam,
Wie Ebb’ und Fluth zur See.
Ganz wohl mir that es, wann ich kam,
Doch, wann ich ging, nicht weh.

Das einige Monate nachher entstandene Lied „Das Mädel, das ich meine“, schildert noch in beglückter, von inbrünstigem Danke gegen Gott erfüllter Bewunderung den Zauberreiz Molly’s, die ihm wie ein Engel des Himmels erschien, und die elegische Schlußwendung:

Doch ach! für wen auf Erden lacht
Das Mädel so in Liebespracht? –
O Gott, bey deinem Sonnenschein!
Bald möcht’ ich nie geboren sein,
Wenn nie in solcher Liebespracht
Dies Mädel mir auf Erden lacht –

ist in ihrer wehmüthigen Resignation, wie das gleichzeitige „Schwanenlied“, noch weit entfernt von der stürmischen Gluth, welche in den späteren Ergüssen alle Dämme der Vernunft und des Pflichtgefühls durchbricht.

Einen dämonischen Einfluß scheint auf Bürger’s Gemüth die Lectüre von Goethe’s „Stella“ geübt zu haben, welche ihm dieser als Antwort auf seine Klagen gesandt hatte, damit sie ihm „Liebes- und Lebenswärme in den Schnee bringe“. Diese kraftgenialische Verherrlichung einer Doppelliebe, die mit dem Auskunftsmittel einer Doppelehe schloß, wurde durch ihre beredte Dialektik nicht allein Bürger, sondern auch mancher anderen schwärmerischen Seele verderblich. „Mir schwindelt vor mir selbst!“ ruft sein Freund Sprickmann aus, der im Herbste 1776 einige Monate in dem benachbarten Benniehausen verlebte und seitdem eine lebhafte Correspondenz über Herzensangelegenheiten mit ihm unterhielt. „Stellas sind keine Träume; aber weiß Gott, auch Fernandos nicht! und wer weiß – Bürger schreibt mir um Gotteswillen!“

Sprickmann scheint der Erste gewesen zu sein, dem Bürger seinen ganzen Liebeskummer enthüllte, und das rückhaltlose Aussprechen desselben, die beständige Berührung der Wunde in dem Briefwechsel der Freunde ist das zweite Stadium dieser tragischen Herzensgeschichte. Bürger verzweifelte daran, die wachsende Gluth insgeheim zu ersticken, er führte ihr neue Nahrung zu, indem er sie offen eingestand, obschon er sie im tiefsten Gewissen verdammte.

„Daß es mir“ – schrieb er an Sprickmann – „in meiner Lage gar nicht behäglich ist und seyn kann, und warum es nicht seyn kann? werden Sie wohl wissen. Phantasie und Herz werden mir wohl bis an das Ende ihre tollen Streiche spielen. Ich brumme so einen Tag nach dem andern hin und bin schier mit Nichts als meinen Schwachheiten zufrieden: und doch sind es bloß diese, die mir wehren, glücklich zu seyn. Es ist ein elend jämmerlich Ding um das Menschenleben. Warum hab ich doch keine Einsiedeley auf dem Pico!“ – Ueberreizt und krank von der verzehrendem Gewalt seiner Seelenqual, gedenkt Bürger im nächsten Sommer Heilung durch den Gebrauch einer Brunnencur in Hofgeismar zu suchen. „Aber ach!“ fügt er ahnungsvoll hinzu, „alle Gesundbrunnen der weiten Welt werden den Brand nicht kühlen, der mir in allen Adern und in dem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_013.jpg&oldid=- (Version vom 31.1.2023)