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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

theilt“ – und wie dieser „Hund“ ein abscheuliches Wort ausgesprochen und es ihm angethan habe. Seit er dieses Wort gehört, habe er nicht mehr essen können; es habe ihm die Kehle zugeschnürt. Heute sei der Christ wieder vorübergegangen; da habe er gewisse beschwörende Worte gesprochen und einige Lumpen in’s Feuer geworfen, und nun stehe es mit dem Appetit wieder besser.

Wir sprachen dann von der Procession des Machmals. Mein Mann verdrehte die Augen, als er mich von der Heiligkeit Derjenigen zu überzeugen suchte, die mehr als einmal in Mekka gewesen sind.

„Und hast Du den Schlüssel bemerkt, der auf goldenem Kissen hinter dem Machmal einhergetragen wurde?“ frug er mich.

„Ja! Das ist der Schlüssel der Kaabah. Nicht?“

„Du sprichst die Wahrheit, Herr; es ist der Schlüssel der Kaabah. Mit diesem Schlüssel hat es eine eigene Bewandtniß. Beim Aufschließen des Thores der Kaabah geschieht jährlich schon seit undenklicher Zeit ein Wunder. Kein Mensch außer der in Mekka ansässigen Familie Scheiba kann dieses Thor öffnen. Die Stärksten mögen stundenlang daran rütteln, und es bleibt hartnäckig verschlossen, während ein Säugling der Scheiba es mit dem kleinen Finger öffnen kann.“

(Später erfuhr ich, daß mit dem Aufschließen der Kaabahthür in der That ein Geheimniß verbunden ist, dessen nur die Familie Scheiba kundig ist. Die Mitglieder dieser Familie, der wohlhabendsten der Umgebung, halten streng zusammen und vermählen sich niemals mit fremdem Blute.)

Wir bogen um eine Ecke und hatten die weite Sandebene von Abbassijjeh vor uns. In der Ferne konnte man Menschengewimmel unterscheiden; oben am lichtblauen Himmel stand noch der Mond, auf die Umgebung ein sanftes Licht gießend; im Osten leuchtete der Morgenstern wie ein tiefes Auge, und dort oben auf dem nahen Minaret hub der Mueddin die wehmüthige Weise, den Ruf zum Gebete, an.

Es lag ein wundersamer Zauber in dem Anblicke. Der Zauber wich indeß, als ich mich dem Lager der Pilger nahte.

Es war inzwischen Tag geworden. Ein Kanonenschuß, und die Karawane bewegte sich. Voran das Geschütz, gefolgt von einer langen Reihe Soldaten zu Pferde, zu Zwei und Zwei reitend, hinter diesen die mit den heiligen Teppichen bepackten Kameele und hinterdrein ein Schwarm taumelnder, heulender, jauchzender, betender Menschenkinder – es ist völlig unmöglich, diese Menschenmasse zu veranschaulichen.

Man sah Derwische mit langen lebendigen Schlangen und bunten Fahnen, Spießen, Speeren und Netzen, aus Reifen aufgespannt, worin Fische zappelten, dem Kadirijjeh-Orden angehörend, deren Glieder meist Fischermänner sind, Possenreißer, in scheckigem Anzuge mit Fransen statt der Haare und des Bartes, Fechter mit Schilden und Säbeln, Kleinkrämer, die Imams der vier orthodoxen Seelen des Islams, weiße, rothe und grüne Turbane, schwarze, orangefarbene, weiße, himmelblaue, weiß und braun gestreifte Kaftane, farbenreiche Gürtel, deren Träger theils auf buntscheckig aufgeputzten Kameelen, theils zu Fuß waren, Alles mit intelligenten, aber durch die Erregung hier und da verzerrten Gesichtern, vom leuchtenden Schwarz bis in’s Braune und Gelbliche.

Hinter den Pilgern ritt der Stab des Befehlshabers Manuch-Aga selbst dicht neben dem Machmal. Diesem folgte auf einem mit rothen Latzen, Spiegelchen, Muscheln, keck aufstehenden Federn und Palmenzweigen gezierten Kameele der sogenannte Scheich el Gemel (Scheikh des Kameels), der das Machmal schon unzählige Male nach Mekka begleitet hat. Dafür sprach ihn das Volk heilig. Es ist dies ein ekliger, fetter Mann mit grauem Barte, der, bis an den Leib nackt, gar nichts mehr von der Außenwelt zu bemerken scheint und mit der den Irren eigenen Monotonie seinen Kopf herumrollt. Hinterdrein trabten die mit den Nakadirs beladenen Kameele; Nakadirs sind eine Art Pauken mit dumpfem Schalle, die während der Reise unausgesetzt geschlagen werden, um den Pilgern, welche sich von der Karawane etwa entfernen, den Ort derselben anzudeuten.

Da ziehen sie nun, die fanatischen Söhne Mohammed’s, unter den glühenden Strahlen der ägyptischen und asiatischen Sonne, auf glühendem sandigem Boden. Längs des Weges schließen sich ihnen Pilger aus allen Theilen des türkischen Reiches, aus Kaukasien, den russischen Südprovinzen, aus der Krim, ja selbst aus Persien und Bokhara an. Constantinopel, Damaskus, Smyrna und zahllose andere Städte senden werthvolle Angebinde nach der heiligen Stadt des Islams. Der Kairiner Pilgerstrom wird durch alle diese Seitenströme mit jedem Tage größer, bis über hunderttausend durch die Strapazen der Wüstenreise hager gewordene Muselmänner vor den Thoren Mekkas stehen. Hier müssen sie sieben Male um die Kaabah gehen, den schwarzen Stein Abraham’s küssen, drei Tage im Thale von Mina beten und eilenden Schrittes den heiligen Berg Arafat herabkommen, was ihnen Alles in dem Koran so deutlich vorgeschrieben ist.

Und nach vier Monaten wird das Machmal in Kairo wieder seinen feierlichen Einzug halten. Dann wird man Mütter jammern, Gattinnen schluchzen und Kinder heulen hören, denn so Mancher war frisch und gesund ausgezogen und kehrt nicht wieder zurück. Jetzt ruhen die Gebeine der den Strapazen erlegenen Pilger im glühenden Sande der Wüste.

Und leider wiederholt sich dies alle Jahre! Ismaïl-Pascha, der ein Jahrhundert älter ist als sein Volk, schaut grollend zu. Indeß ist heute mit diesen abergläubischen Muslimen nichts zu machen. Der letzte Vice-König, Saïd-Pascha, hatte im Jahre 1861 wohl versucht, aus der ganzen heiligen Geschichte ein Paket zu machen und sie zur See von Suez nach der Mekka-Hafenstadt, Dschedda, zu befördern – aber die altgläubigen Mohammedaner schüttelten ihre Köpfe so lange, bis das Machmal wieder den langwierigen Landweg nahm. Die Pilger mußten diesen ohnehin einschlagen, weil ihnen das Fahrgeld des Dampfers zu kostspielig war.

     Kairo, im December 1873.

C. v. N.




Aus meinem Gefängniß- und Fluchtleben.


Auch eine Jubiläums-Erinnerung von Fritz Rödiger.


(Fortsetzung.)


Im Corridor lagen zwei Eßmesser, womit wir am Abend vorher Adorfer Knackwürste kunstgerecht secirt hatten. Diese Messer waren passabel scharf, stark und spitzig. Jeder steckte eins zu sich, damit es im Falle der Noth nach Schiller’s Tell ein „Bringer bitterer Schmerzen“ werden könne. Hierauf brach ich mit Leichtigkeit aus der nicht eben schwachen Gatterthür zum Dachboden einige starke Sprossen nur mit der Hand heraus – die Kraft dazu ist mir noch heute unerklärlich. Es prasselte ziemlich stark, allein der Gott des Schlafes, der Veranstalter der Sonnenfinsterniß und ihrer Folgen, war diesmal mit uns. Niemand hörte. Wir kamen auf den Dachboden; ich hatte auf die hier befindlichen Wäschleinen gerechnet; denn ich wollte sie neben dem unzuverlässigen und schwachen Blitzableiter zum Abstieg, wie die Bergsteiger sagen, benutzen. Ein unglücklicher Zufall oder Wachtmeisters Vorsicht hatte sie entführt – hinter uns waren die Schiffe verbrannt. Es wurde heller und heller. Der frühe Julimorgen suchte sich bereits im Osten Bahn zu brechen; einzelne Lerchen belehrten uns, wie dereinst den sentimentalen Romeo, daß die Stunden der Nachtigall vorüber seien. Ich stieg hinauf auf’s thauglatte Schieferdach, denn ich wollte zuerst hinab, da ich noch kein Weib und keine Kinder hatte; brach der Blitzableiter, so konnte Blankmeister zurück und ich hatte so ziemlich sicher nichts mehr nöthig. Dies waren so ungefähr meine Morgengedanken, als ich mit meinem Körper einen großen Bogen beschrieb, und zwar um den weit vorstehenden Dachsims gegen den Hof hin, am schwankenden, biegsamen und von der Mauer vielfach losgerissenen Blitzableiter hinab. Es war die gefährlichste Stelle. Nur von den Händen gehalten,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_028.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)