Seite:Die Gartenlaube (1874) 038.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Sie fuhr erschrocken zusammen – zum ersten Male wurde sie von dieser Stimme beim Namen genannt; er sprach ihn mit freundlicher Zuvorkommenheit aus, dennoch – wie hart, wie fremd klang er ihr in seiner Unverkürztheit! Selbst die strenge, liebeleere Mutter hatte sie nie so gerufen. … Sie verbeugte sich leicht gegen ihn und die Anwesenden und verließ, von Ulrike begleitet, den Salon.

Schweigend, aber wie gejagt, eilten die Schwestern treppauf, in das gemeinschaftliche Wohnzimmer.

„Liane, er ist schrecklich!“ schrie Ulrike auf, als die Thür hinter ihnen zugefallen war – und in einen Thränenstrom ausbrechend, warf sich das sonst so unerschütterlich ruhige Mädchen auf das Sopha und vergrub ihr Gesicht in den Kissen.

„Still, still – mache mir das Herz nicht schwer! … Hast Du es anders erwartet? – Ich nicht,“ beschwichtigte Liane, während ein bitteres Lächeln schattenhaft über ihr tieferblaßtes Gesichtchen glitt. Sie nahm die schöne Myrthenkrone vorsichtig aus dem Haare und legte sie in den Schrein, der bis dahin alle kleinen Andenken aus der Pensionszeit in sich geschlossen. … In wenigen Minuten war die Brauttoilette mit dem grauen Reisekleide vertauscht; der runde, mit einem dichten grauen Schleier besteckte Hut wurde unter dem Kinne gebunden und die Hände glitten in die Handschuhe.

„Und nun noch einmal zu Papa!“ sagte Liane gepreßt und griff nach dem Sonnenschirme.

„Nur noch einen Augenblick –“ bat Ulrike.

„Halte mich nicht zurück – ich darf Mainau nicht warten lassen,“ versetzte die junge Dame ernst. Sie umschlang die Schultern der Schwester und trat mit ihr über die Schwelle.

Die sogenannte Marmorgalerie lag in der Beletage und lief in gleicher Richtung mit der drunten sich hinbreitenden Terrasse, auf welche der Gartensalon mündete. Die Schwestern durchschritten sie, umfangen von der tiefen Dämmerung, welche die festgeschlossenen Läden verbreiteten, in ihrer ganzen ungeheuren Länge bis an das äußerste Ende, wo das Tageslicht, dünn und gespenstig hereinschlüpfend, bleiche Reflexe in dem spiegelglatten röthlich glänzenden Marmorfußboden weckte. Ulrike stieß den Laden geräuschlos auf; alle die Portraits der geharnischten Männer mit dem feurig rothen Schnurrbarte und den dräuenden Mienen blieben im tiefen Dunkel; der volle Sonnenschein concentrirte sich verklärend auf dem Bildnisse einer ehrwürdigen Greisengestalt, welche, die volle weiße Hand auf den Tischteppich gelegt, vor einem braunen Sammetvorhange saß. Das unschöne Wahrzeichen der Trachenberg, das rothflammende Haupt- und Barthaar hatte sich hier in seidenweiches Silber umgewandelt und lag voll und glänzend auf dem Scheitel und der Oberlippe.

„Lieber, lieber Papa!“ flüsterte Liane und hob die gefalteten Hände zu ihm empor – sie war sein Stolz, sein Liebling, sein Nesthäkchen gewesen, dessen Köpfchen oft schlafend an seiner Brust gelegen und das er noch im schweren Todeskampfe mit der unsicheren Hand schmeichelnd geliebkost hatte. … Seitwärts dämmerte ein Frauenbild, eine hagere, steifgestreckte Gestalt; ihre Schleppe umsäumte Hermelin; auch die entblößten Schultern hoben sich spitz und gelb aus dem weißen Pelze, und auf der hohen. Frisur saß ein feines Krönchen – das war Lianens Großmutter väterlicherseits, auch eine Prinzessin, aber aus einem kleinen souverainen Fürstenhause. In diesem steifgeschnürten Leibe hatte kein warmes Herz geklopft – die hellen kalten Augen stierten unbarmherzig auf die Enkelin nieder, die niedergeschlagen, mit thränenumflortem Blicke das alte Erbschloß verließ, um dem Glanze und Reichthume entgegenzugehen. Sie reckte den dürren Arm mit dem edelsteinbesetzten Fächer in die Tiefe der Galerie hinein, als wollte sie, mit dieser Bewegung über die Bilderreihe hingleitend, sagen: „Lauter Convenienzheirathen, auserwählte Geschlechter, berufen nicht zum Lieben, wohl aber zum Herrschen bis in alle Ewigkeit.“ …

Und es klang, als gehe ein Flüstern von Lippe zu Lippe – es war aber nur der Zugwind, der hereinsäuselte und den erdentstiegenen Duft, den der Regen geweckt, bis hinunter an die uralten Holztafeln mit den Geharnischten trug. … Draußen auf der Terrasse wurde es aber auch lebendig von Männerschritten, die langsam wandelnd vom Gartensalon herkamen und erst am äußersten Ende in gleicher Richtung mit dem offenen Galeriefenster verstummten. Die Schwestern blickten verstohlen hinab. Baron Mainau stand an der Terrassenbrüstung und sah halb abgewendet in die Gegend hinaus – ein vollständig Anderer als der kühle, gehaltene Bräutigam, der bei der Ceremonie pünktlich und tadellos seine Schuldigkeit gethan, nun aber auch mit sichtlichem Wohlbehagen Alles abzuschütteln suchte, was seine stolze, aber auch feurig gewandte Erscheinung für Augenblicke gleichfalls in eine Schablone gezwungen hatte. Er war vollkommen reisefertig und hatte sich eine Cigarre angebrannt, deren blaue Wölkchen bis hinauf in die Marmorgalerie stiegen.

„Ich sage nicht ‚Schönheit‘ – mein Gott, wie viel tausendfältig ist auch der Begriff!“ fuhr Freund Rüdiger fort, dessen etwas hohe, weiche Stimme schon während der Wanderung in einzelnen Lauten heraufgeklungen war – jetzt hörte man scharf und klar jede einzelne Silbe. „Nun ja, diese kleine Liane hat weder eine römische, noch griechische Nase – bah, ist auch gar nicht nöthig – das Gesichtchen ist so unsagbar lieblich.“

Baron Mainau zuckte die Achseln. „Hm, ja,“ sagte er in unverkennbar persiflirendem Tone, „ein sittig und bescheiden Mägdelein von furchtsamem Charakter, mit schwärmerischen Mienen und blassen Veilchenaugen à la Lavallière – was weiß ich“ – er brach wie gelangweilt ab und zeigte mit einer lebhaften Bewegung in die Landschaft hinaus. „Da sieh ’mal her, Rüdiger! Der Mensch, der den Rudisdorfer Park angelegt hat, ist wirklich ein genialer Kopf gewesen – effectvoller könnte doch der hochgelegene Renaissancebau da drüben nicht herausgehoben sein als durch diese wundervollen Buchengruppen.“

„Ach was!“ versetzte Herr von Rüdiger geärgert. „Dafür habe ich nie Augen gehabt, das weißt Du. … Ein schönes Frauenauge, ein schönes Frauenhaar – tausend noch einmal, was waren das für Flechten, die am Altar heute zu Deinen Füßen lagen!“

„Eine etwas verblaßte Schattirung der Trachenberg’schen Familienfarbe,“ sagte Mainau leichthin. „Meinetwegen! Das Titianhaar ist ja jetzt en vogue – die Romane wimmeln von rothköpfigen Heldinnen, die alle unsäglich geliebt werden – Geschmackssache! … An einer Geliebten wäre es mir undenkbar, aber bei meiner Frau –!!“ Er stäubte am Terrassengeländer die Asche von seiner Cigarre und rauchte behaglich weiter.

Liane zog instinctmäßig den dichten Schleier über das Gesicht; nicht einmal die Schwester, die in wortlosem Grimme und Schmerze auf den Sprechenden hinunterstarrte, durfte die tiefe Gluth der Scham, der Demüthigung auf ihren Wangen sehen.

Drüben umkreiste die Gräfin Trachenberg an der Seite des Geistlichen das Parterre; sie kam rasch näher und eilte die Treppe der Terrasse herauf.

„Auf ein Wort, bester Raoul!“ bat sie und legte ihren Arm in den seinigen. Langsam mit ihm auf- und abgehend, plauderte sie über alltägliche Dinge, bis die beiden anderen Herren sich so weit entfernt hatten, daß sie kein Wort mehr auffangen konnten.

„Apropos,“ sagte sie plötzlich stehen bleibend, „Du wirst meinem besorgten Mutterherzen Rechnung tragen und mich nicht für gar zu indiscret halten, wenn ich noch im letzten Augenblicke eine penible Angelegenheit berühre – darf ich erfahren, wie viel Nadelgeld Du Lianen zugestehst?“

Die Schwestern konnten sehen, wie er amüsirt die Frau mit dem „besorgten Mutterherzen“ fixirte.

„Genau so viel, wie ich meiner ersten Frau zugestanden habe – dreitausend Thaler.“

Die Gräfin nickte befriedigt. „Die kann sich freuen – ich war als junge Frau übler dran.“ – Der Mann neben ihr belächelte spöttisch den tiefen Seufzer, den sie ausstieß. – „Und nicht wahr, Raoul, Du bist auch ein wenig gut mit ihr?“ setzte sie affectirt gefühlvoll hinzu.

„Was verstehen Sie darunter, Tante?“ fragte er, sofort seinen Schritt hemmend, mit mißtrauischem Blicke und in sehr scharfem Tone. „Halten Sie mich für so plump und tactlos, daß ich gegenüber meiner Frau, der Trägerin meines Namens, jemals die schuldige Artigkeit aus den Augen setzen könnte? … Wollen Sie aber mehr, dann ist es gegen die Abrede. – Ich brauche eine Mutter für meinen Knaben und eine Herrin für mein Haus, die mich in meiner Abwesenheit vertritt – und ich werde viel,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_038.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)