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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

„Arm?“ wiederholte die junge Frau und deutete unwillkürlich nach den blitzenden Armreifen und den Ketten von edlem Metall, die über den Busen der Kranken fielen. Bis zu diesem Moment hatten die Augen der letzteren unverwandt an Liane gehangen; jetzt aber malte sich Angst und Unruhe in ihren Zügen – sie klammerte die zarten Finger der Linken krampfhaft um einen Gegenstand, der an einer der Ketten hing – allem Anschein nach ein Flacon von Silber.

„Na, na, nur ruhig – die gnädige Frau nimmt’s nicht!“ beschwichtigte Frau Löhn rauh und gebieterisch. „Arm sind die Leute, sage ich,“ fuhr sie gegen Liane fort. „Das bischen Zeug da kann man doch nicht essen“ – sie zeigte nach dem Geschmeide – „und eigentlich gehört’s der Frau auch gar nicht; der alte gnädige Herr Hofmarschall könnte ihr auch den Firlefanz noch wegnehmen, wenn er wollte – sie hat auf der Gotteswelt nichts, gar nichts, und daß sie mit dem Jungen ihr täglich Brod im Hause gereicht kriegt und in der Bude da wohnen darf, das ist die reine Gnade von der Herrschaft, die reine Gnade.“

Diese Erklärung, so mitleidslos und in so geflissentlich scharfen und grellen Umrissen gegeben, fuhr der jungen Frau wie ein Messer durch das Herz, um so mehr, als sich Gabriel über seine Mutter bog und sie während der harten Rede streichelte, als sei sie das schutzbedürftige Kind, dem man alles zugefügte Weh durch Liebkosungen vergessen machen könne. … Dieser junge, schöne Knabenkopf mit der müden seitlichen Neigung und dem schwermüthigen Zug um den Mund trug das Gepräge der Duldung und sclavischen Fügsamkeit, das ihm jedenfalls eine jahrelange Mißhandlung aufgedrückt hatte. Wohl hätte Liane fragen mögen: „Wer ist diese seltsame Fremde, und wie kommt sie hierher mit ihrem Kinde, das unter einem so furchtbaren Drucke aufwachsen muß? “ Allein die Furcht vor weiteren schonungslosen Mittheilungen der Beschließerin schloß ihr den Mund. Sie griff in die Tasche und legte die Chocoladenfiguren auf den Tisch. „Das schickt Dir Leo,“ sagte sie zu Gabriel, „und ich bringe Dir auch eine ‚gute Nacht‘ von ihm.“

„Er ist gut – und ich habe ihn lieb,“ versetzte der Knabe mit einem melancholischen Lächeln.

„Recht, mein Kind – aber es darf nicht mehr geschehen, daß Du für seine Unarten gestraft wirst.“ Sie legte den feinen Zeigefinger unter sein Kinn, hob den gesenkten Kopf und sah liebevoll in seine unschuldigen Augen. „Hast Du nie den Muth, zu sprechen, wenn man Dir Unrecht thut?“ fragte sie mit sanftem Ernste.

Ueber das häßliche Gesicht der Beschließerin schoß das Roth der Ueberraschung – sie kämpfte einen Moment sichtlich mit einer tiefen Rührung, aber auch nur einen Moment, dann hing ihr Auge wieder lauernd an der neuen Herrin, und sie sagte mit doppelt scharfer Stimme:

„Gnädige Frau, das schadet dem Gabriel gar nicht, und wenn sie ihm Unrecht thun drüben im Schlosse, so mag er sich bedanken und die Hand dafür küssen. … Er soll ein Mönch werden; er soll in’s Kloster – da heißt’s erst recht schweigen und nicht mucksen, und wenn die Seele gleich aus dem Leibe fahren möchte vor Zorn und Aerger. … Den kleinen Herrn, den Leo, kann er gar nicht lieb genug haben – der setzt es immer wieder durch beim alten Herrn Baron, daß er noch dableiben darf, sonst wär’ er schon längst nicht mehr bei seiner Mutter.“

Die Augen des Knaben füllten sich mit Thränen.

„Du sollst ein Mönch werden? Man will Dich zwingen, Gabriel?“ fragte die junge Frau rasch und dringend.

„Sage die Wahrheit, mein Sohn – wer zwingt Dich?“ ermahnte hinter ihr die Stimme des Hofpredigers, der heute die Trauung vollzogen. Er stand in der offenen Verandathür – schwarz hob sich seine schlanke und doch nervige Gestalt vom mondhellen Rosengebüsche draußen. Liane dachte bei diesen Umrissen überrascht an den vermeintlichen Pfeilerschatten – der Mann hatte sie belauscht und war ihr gefolgt.


(Fortsetzung folgt.)




Wild-, Wald- und Waidmannsbilder.
Nr. 39 Schmalrehchens Ende.
Von Guido Hammer.


Weil bei Anbahnung der Jagd das Gefühl des Triumphes, die erhoffte Beute endlich errungen zu haben, in der Regel von dem Reiz freudiger Aufregung begleitet ist, deshalb darf der Laie nicht meinen, der Jäger finde solchen Hochgenuß etwa im Vernichten eines frischen Lebens. Nein! Vielmehr ist er nur eine Wirkung des geschmeichelten Selbstbewußtseins seiner Ueberlegenheit über das Thier, bekunde diese sich nun in mannhafter Bewältigung eines mit besonderer Kraft und hohem Muthe ausgerüsteten Individuums oder in den Eigenschaften der Klugheit, Vorsicht und Raschheit, mit welchen der Jäger dem ihm hierin stets ebenbürtig ausgestatteten Wilde den Rang abzulaufen verstand. Trotz dieses Gefühls geschmeichelten Selbstbewußtseins kommen aber doch Momente vor, wo selbst der leidenschaftlichste Jagdfreund bittere Reue über einen gethanen siegreichen Schuß empfindet. Kann ich doch aus eigener Erfahrung einen recht schlagenden Beweis für einen solchen Fall anführen, der in mir heute noch – ich schäme mich nicht, es einzugestehen – das nagende Gefühl nur allzu gerechten Unmuthes über mich selber erregt, sobald ich nur daran denke. Nur wie eine Art Sühne betrachte ich es daher, darüber des Weiteren mich auszusprechen.

Ich hatte von dem mir befreundeten, nun längst schon auf himmlischen Etat gesetzten Oberförster C. Schußerlaubniß, ja sogar -Befehl auf ein Spießböckchen oder auch Schmalreh – eines oder das andere gleich erwünscht – erhalten, weil gerade solch ein zartes Stücklein Wild für die Tafel einer hochstehenden kränkelnden Dame dringlichst bestellt worden war. Damit diese so ganz ausdrücklich begehrte Lieferung auch sicher beschafft werden möge, begleitete mich des Försters Sohn, mir von Kindheit her ein guter Camerad, wobei wir das Uebereinkommen trafen: daß Jeder für sich einen bestimmten Theil im Reviere abpürschen und, höre dabei Einer den Andern schießen, jener seine Kugel bewahren und diesem schleunigst entgegen eilen sollte.

So verfolgten wir denn bald von einem sich gabelnden Waldsteig aus unsere verschiedenen Pfade, um die auf den vorgenommenen Strecken liegenden alten Graswege, lichten Stangenhölzer, kleinen Blößen und weiten Schläge nach dem Begehrten abzusuchen. Auf einem der letzteren, wo ich noch jedes Mal Rehe angetroffen, ich mochte nun jagend oder nur beobachtend darnach gegangen sein, gewahrte ich denn auch heute alsbald einen ganzen Sprung Rehe. Doch selbst von der Holzwand aus, wohin ich mich überhaupt nothwendig erst noch anzuschleichen hatte, um das ganze Gehau übersehen zu können, standen sie noch viel zu weit entfernt, um beschossen werden zu können.

Als ich daher durch den vor mir gelegenen hohen Bestand, wo ich mich immer von Baum zu Baum decken konnte, bis an den hinter Anflug versteckten Rand vorgedrungen war, lugte ich zuvörderst nach rechts und links aus, die nähere Umgebung zu mustern, ob in dieser nicht etwa schon Schußgerechtes stünde. Und richtig! Gar nicht weit von meiner gut gedeckten Stellung, wohin ich übrigens zuletzt auf dem Bauche, die Büchse dabei immer vor mir her schiebend, durch dichtes Heidelbeergestrüpp lautlos gekrochen war, erblickte ich einen einzelnen Capitalbock. Wohl war es mir eine hohe Freude, dem Stattlichen so völlig unbemerkt angekommen zu sein und ihn nun in Muße beobachten zu können, aber auch wiederum eine harte Pein, gemessensten Schußbefehls halber nicht darauf schießen zu dürfen. Gleich einer schweren Last fiel mir’s daher vom Herzen, als der ganz vertraulich Aeßende nun langsam weiter zog und sich endlich meinen Blicken entzog; war ich dadurch doch der Verführung enthoben, trotz des Verbotes auf den gar so prächtigen Burschen „den Finger krumm zu machen“.

Während ich nach dieser Prüfung wieder leichter aufathmete und nun erst den inmitten des Gehaues herumnistelnden und zuweilen scherzenden Rehen meine Aufmerksamkeit zuwandte,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_058.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)