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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Nachgiebigkeit ohne Weiteres verloren sei und unter seine Füße käme, und daß sie ihren Platz nur behaupten könne, wenn sie imponire, das heißt wo möglich „mit gleicher Münze zahle“.

Er ergriff ihre Linke und betrachtete sie. „Eine schöne Hand, eine echt aristokratische Hand!“ Leicht prüfend fuhr er über die Spitze des Zeigefingers. „Sie ist sehr rauh; Sie haben genäht – nicht gestickt – sondern genäht, meine Gnädigste, – wohl Ihre Ausstattung an Wäsche? … Hm, diese zahllosen Stiche und Narben müssen geglättet sein, ehe wir Sie – bei Hofe präsentiren können – der Prüfstein für eine tüchtige Kammerjungfer paßt nicht an den Finger der Baronin Mainau … Mein Gott, wie ändern sich doch die Dinge! Was würde wohl der rothe Job von Trachenberg, der reichste und gewaltigste unter den Kreuzrittern, zu diesen kleinen Wunden sagen!“

Der Hexenthurm im Dorfe Lindheim in der Wetterau.
Nach einer Skizze von M. v. H.

Die junge Dame sah mit einem ernsten Lächeln auf ihn nieder. „Zu seiner Zeit schändeten fleißige Hände eine Dame von Stande noch nicht,“ sagte sie, „und was unsere Verarmung betrifft, mit der Sie diese kleinen Wunden in Verbindung bringen, so wäre er vielleicht weise genug, sich zu sagen, daß der Wechsel mächtiger ist, als der Menschenwille, und daß die Jahrhunderte, die nach ihm gekommen sind, nicht spurlos an den verschiedenen Geschlechtern vorübergehen konnten … Die Mainau’s sind ja auch nicht immer Verächter der Arbeit gewesen. Ich habe unser Familienarchiv oft genug durchstöbert, und weiß aus den Aufzeichnungen eines meiner Ahnherren, daß ein Mainau lange Zeit sein Burgvogt und, wie er selbst lobend ausspricht, ‚ein wackerer, getreuer und vielfleißiger Mann‘ gewesen ist.“

Sie trat an den großen Tisch zurück und machte den Kaffee fertig – es war für einen Moment sehr still geworden im weiten Saale. Der Hofmarschall hatte bei den letzten Worten der jungen Frau seine Tasse so hastig zum Munde geführt, als sei er dem Verschmachten nahe gewesen; nun hörte sie hinter sich das leise Aneinanderklirren des Porcellans in seinen Händen, und als er nach einer kurzen Pause rauh und gebieterisch nach etwas geröstetem Weißbrod verlangte, da reichte sie ihm den Teller so zuvorkommend hin, als sei nicht das Mindeste vorgefallen. Er griff tastend nach einigen Schnitten und sah dabei angelegentlich in die Kaminwölbung.


(Fortsetzung folgt.)




Aus der guten alten Zeit.


Der Hexenthurm im Dorfe Lindheim.


Wer hörte sie nicht schon preisen, die besseren Tage einer fernen Vergangenheit? Wen aber erfüllte diese sogenannte „gute“ alte Zeit nicht auch schon mit Entsetzen und Schauder, stand er vor den Denkmalen jener lang vorübergezogenen Epochen, in denen Fanatismus und Aberglaube sich häufig zu kaum noch begreifbarer Höhe gipfelten und – sagen wir’s offen – ebenso oft Unverstand und Dummheit sich mit einer an Unmenschlichkeit streifenden Grausamkeit verbanden? Voll Ungerechtigkeit den Nebenmenschen zu richten und zu strafen und in unerbittlich starrer Consequenz den Unschuldigen zum Schuldigen zu stempeln – das gehörte zum Wesen dieser Grausamkeit.

Wie Nürnbergs düstere Folterkammern und ihre auf jener romantischen, alten Hohenzollernschen Burg aufbewahrten Folterinstrumente unserer Ansicht nach höchst geeignet sind, alle romantischen Begriffe über die „gute“ alte Zeit zu berichtigen, so sind es auch jene furchtbarsten Denkmale des Aberglaubens, die alten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_077.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)