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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

viel Wankelmuth man mir auch nachzusagen weiß –, in der Freundschaft bin ich zuverlässig und habe ich nie betrogen.“

„Ich gehe darauf ein, schon um Leo’s willen,“ versetzte sie, mit seltenem Tacte die eigenthümliche Lage auffassend, in der sie sich doch nun einmal befand. „Ich habe um diese Unterredung gebeten, um Dir zu sagen, daß das Kind in den unzuverlässigsten Händen ist, daß Du sofort Schritte thun mußt –“

Er ließ sie nicht ausreden. „Die überlasse ich Dir!“ rief er ziemlich ungeduldig. „Jage diese Person auf der Stelle fort, wenn es Dir beliebt, aber mich lasse aus dem Spiele! … Ich bitte Dich um’s Himmels willen, mache es nicht wie Valerie! Die hätte mich auch am liebsten zum Büttel im Hause gemacht und hat anfänglich Thränen der Erbitterung genug geweint, weil ich mich nicht herbeiließ, ihrer Kammerfrau für jede schlecht gesteckte Schleife einen Verweis zu ertheilen. … Nur kein Echauffement daheim, Juliane – nur das nicht! … Je ruhiger, leidenschaftsloser und gleichmäßiger das häusliche Leben in Schönwerth verläuft, desto dankbarer werde ich meinem guten Cameraden sein. … Im Uebrigen hat sich ja der Onkel bereits mit einer neuen Gouvernante in Verbindung gesetzt, die sehr empfohlen wird.“

Liane zog einige Papiere aus der Tasche. „Es wäre mir sehr lieb, wenn sie nicht käme,“ sagte sie. „Vielleicht siehst Du gelegentlich in diese Blätter – es ist in wenigen Augenblicken geschehen – sie enthalten meine Schulzeugnisse aus dem Stifte. Ich bin grammatisch vollkommen fest in den neueren Sprachen, und was die Aussprache betrifft, so nimmst Du Dir vielleicht die Mühe, selbst zu urtheilen. Die Zeugnisse sind auch in anderen Fächern günstig; trotzalledem würde ich nicht wagen, mich zum Unterrichte des Knaben anzubieten, dürfte ich mir nicht sagen, daß ich mit Ernst und Lust gelernt habe. … Du würdest mich glücklich machen, wolltest Du die Lebensaufgabe, die ich mir gestellt habe, acceptiren und die Erziehung Deines Kindes einzig und allein in meine Hände legen.“

Er war einige Male rasch im Zimmer auf- und abgegangen und blieb jetzt mit sichtlichem Befremden in seinen Zügen vor ihr stehen. „Die Sprache ist mir neu aus Frauenmunde – ich habe sie noch nicht gehört,“ sagte er. „Ich würde ihr auch unbedingt glauben, wärst Du um zehn Jahre älter und im Leben erfahrener, Juliane.“ Sein Blick flog spöttisch und halb verächtlich über die Schönheitsgalerie in die Fensternische und blieb dann einen Augenblick an der spitzenumwogten ersten Frau hängen.

„‚Der Löwe hat noch nicht Blut geleckt!‘ pflegen wir der siegesgewissen Unerfahrenheit gegenüber zu sagen. … Wer weiß es, in vielen dieser Köpfe haben vielleicht auch ‚tugendsame Lebensaufgaben‘ gespukt, bis – die Gesellschaft sie in ihren Strudel gezogen hat,“ fuhr er fort und deutete mit der Hand nach den Bilderreihen. „Du bist im Stifte erzogen, und kaum in Dein Elternhaus zurückgekehrt, sahst Du – verzeihe! – die Rudisdorfer Herrlichkeit zusammenbrechen. … Du weißt ja nicht, welchen hinreißenden Zauber das Leben bietet, das – die Frau Gräfin Trachenberg bis auf die Neige ausgekostet hat.“

Bei Erwähnung ihrer verschwenderischen Mutter erröthete die junge Dame bis über die Schläfen. „Was soll ich Dir antworten,“ versetzte sie leise, „da Du ja doch nicht glaubst, daß auch die Mädchenseele stark genug sein kann, das Warnende im Beispiele einzusehen? … Laß uns ganz aufrichtig untereinander sein, wie es guten Cameraden ziemt,“ fuhr sie rasch und energisch fort. „Ich habe meinen Lebensplan festgestellt, so gut wie Du den Deinigen, und werde an ihm halten. Vor Allem möchte ich Dich dringend bitten, nichts mehr in das obere Fach meines Schreibtisches zu legen – mir machen diese Geldrollen namenlose Angst, und – was soll schließlich aus ihnen werden?“

„Und Das soll ich Dir glauben, Juliane?“ lachte Mainau auf. „Das soll ich Dir glauben, nachdem Du mich gestern versichert hast, Du würdest das Vorrecht, den Hermelin zu tragen zu behaupten wissen? … Wo willst Du ihn denn tragen? Doch nicht im Schulzimmer? – Du wirst ihn majestätisch über das Parquet der Hofsäle gleiten lassen, und daß dann noch mehr dazu gehört, Das wirst Du sehr schnell einsehen. Es wird eine Zeit kommen, wo Du mich bittest, Dein Nadelgeld zu erhöhen – Diese da“ – er zeigte auf das Bild der ersten Frau – „hat Das aus dem Grunde verstanden, und Du – Du wirst es auch lernen.“

„Nie!“ rief die junge Frau entschieden. „Niemals! … Und nun laß Dir zu meiner Vertheidigung sagen: Ja, ich bin stolz auf meine Ahnen – es waren Ehrenmänner von Geschlecht zu Geschlecht – ich kenne nichts Lieberes, als in den Blättern ihres Lebens nachzuschlagen. Aber auf diese Verdienste kann ich mich ja nicht stützen, wenn es darauf ankommt, mich selbst geltend zu machen. Ich würde mich auch niemals dieses ererbten Glanzes Leuten gegenüber bedienen, die auf äußere Stellung kein Gewicht legen. Nur da, wo mir die Anmaßung, der Uebermuth des begüterten Adels entgegentritt, da klopfe ich auf mein Ahnenschild, daß es klingt.“

Er stand einen Moment schweigend mit untergeschlagenen Armen vor ihr. „Ich möchte wohl fragen: ‚warum zeigst Du diese Augen erst in Schönwerth, Juliane?‘“ sagte er langsam.

Sie wandte die Augen, die ihn so beredt und glänzend angesehen, erschrocken weg. „Darf ich nun um eine definitive Entscheidung bitten?“ fragte sie unsicher und mit einer peinlichen Verlegenheit ringend. „Darf ich für Leo Mutter und alleinige Erzieherin zugleich sein, und wirst Du beim Hofmarschall dahin wirken, daß auch er mir freie Hand läßt?“ setzte sie wieder gefaßt und dringend hinzu.

„Er wird Schwierigkeiten machen,“ antwortete Mainau und strich sich mit der Hand über die Stirn; „aber das soll mich nicht abhalten, Dir unbeschränkte Vollmacht zu ertheilen. … Wir werden ja sehen, wer in Deiner Natur siegt – ob die selbstgewählte Lebensaufgabe mit ihren vielen Schattenseiten, oder – die Weltdame, die Tochter der Prinzessin Lutowiska.“

„Ich danke Dir, Mainau,“ sagte sie fast kindlich froh und herzlich, indem sie seine letzte, sehr ironische Bemerkung ignorirte.

Er griff nach ihrer Hand, um sie zu küssen – sie wandte sich ab und schritt rasch nach der Thür. „Ist nicht nöthig bei guten Cameraden – wir werden uns auch so verstehen,“ rief sie mit einem reizend heiteren Lächeln über die Schulter zurück und ging hinaus.




10.


Frau Löhn hatte es jetzt schlimm, wie sie sich auszudrücken pflegte. Sie nickte zu dieser Behauptung stets mit dem steifgehaltenen Kopfe und stieß grimmig den tadellos sitzenden Hornkamm tiefer in ihr graues Zopfbündel. Ihre Kranke machte ihr schwer zu schaffen; sie war sehr aufgeregt, weil ja die Frau Herzogin alle Tage – „selbst wenn der liebe Herrgott Spitzbuben regnen ließ“ – am indischen Hause vorbeiritt. … Seltsam – in den Hofkreisen hatte man sicher vorausgesetzt, Mainau’s plötzliche Vermählung, „dieser halbverrückte, abenteuerliche Schritt“, werde seine Beziehungen zum Hofe sofort lösen und die ehemalige Gunst in die erbittertste Feindseligkeit wandeln – es kam ganz anders. Die Eingeweihten flüsterten sich zu, die Herzogin sei wie erlöst aus ihrer starren Haltung, seit sie wisse, daß die Verbindung im vollsten Sinne des Wortes eine Convenienzheirath sei, die auch der alte Hofmarschall tödtlich anfeinde und allmählich wieder zu lösen hoffe. Um was diese Scharfsinnigen aber nicht wußten, das war eines der tiefen Räthsel der Frauennatur, die im stolzen Herzen der Aristokratin, wie in dem der Grisette schlummern – die Herzogin hatte den schönen, übermüthigen Mann nie leidenschaftlicher und demuthsvoller geliebt, als nachdem er sie so furchtbar, so eclatant gestraft, ja, moralisch fast mit Füßen getreten hatte. … „Der Rothkopf“, wie die neue Herrin des Schönwerther Schlosses von Hofdamenlippen genannt wurde, war kein Gegenstand der Eifersucht mehr, seit die Herzogin im Fluge durch den „Nonnenschleier“ gesehen und keinerlei Reize entdeckt hatte. Während die erste Frau durch prachtvolle Toiletten und ihre pikante, Lebenslust und Vergnügungssucht athmende Erscheinung ein Schmuck, ein jederzeit umschmeichelter Gast des Hofes gewesen war, hatte Mainau die zweite gar nicht einmal vorgestellt. Er bewohnte nach wie vor, oft auf mehrere Tage allein, wie ein Garçon, seine elegante Miethwohnung in der Residenz und sprach unbefangen von seiner bevorstehenden Reise nach dem Orient. … Das Alles genügte, um die Herzogin zu überzeugen, daß mit dem vollzogenen Strafact der glühende Rachedurst des leidenschaftlichen Mannes für immer gelöscht und das weitere Geschick

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_091.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)