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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Verkehr verschlossen, lebhaft in der Unterhaltung über ernste Fragen, ist er weniger geschickt zum Organisiren der Partei im Kleinen, desto trefflicher aber in der Oberleitung derselben, als Redner in der Form musterhaft, voll tiefer Gedanken und staatsmännischer Anschauungen, tiefblickend in die zukünftigen Ereignisse, niemals muthlos, sondern stets zuversichtlich auf den endlichen Sieg seiner Ideen. Hier und da wünschten früher seine Freunde wohl ein entschiedneres Auftreten, aber von Niemandem, auch von seinen Gegnern nicht, wird der Vorwurf erhoben werden, daß er jemals seiner Ueberzeugung untreu geworden.

R.





Ein bairischer Schwärzer.


Vor wenigen Jahrzehnten noch war das wilde Wettersteingebirge, die Grenze zwischen Baiern und Tirol, der Schauplatz einer Art von Romantik, welche immer mehr und mehr ausstirbt. Noch finden Diejenigen, welche von Mittenwald oder Partenkirchen aus in die erhabenen Einöden des Rainthales, der oberen Leutasch, in die Felsenwüsten des Kalkgebirges vordringen, in ihren Reisehandbüchern an manchen Stellen angegeben, daß hier und dort ein Schwärzersteig über die steilen Jöcher führe. Solche finden sich zum Beispiel angegeben in einiger Entfernung von dem wunderbaren Wasser der Blauen Gumpe, bei der Lockhütte, von wo früher die Schwärzer über die gewaltigen Schutthalden des Hundsstalles oder über die Wände, die sich zwischen dem Teufelsgrate oberhalb der Rainthaler Schrofen hinziehen, nach Tirol hinübergestiegen sind. Es giebt aber deren in Wirklichkeit noch viel mehr, als diese Bücher angeben.

Eines Tages befand ich mich in Gesellschaft eines alten Leutaschers, dessen Name wegen der untenstehenden Geschichten der Mitwelt verschwiegen bleiben soll, bei der eben erwähnten Lockhütte, zu welcher wir über das sogenannte „Teufelsg’saß“ herübergestiegen waren. Schon unterwegs hatte er mich auf verschiedene Stellen aufmerksam gemacht, die ihm aus der Zeit seiner Jugendabenteuer her im Gedächtnisse geblieben waren. Doch die Anstrengung des scharfen Anstieges, den ich überhaupt nicht Jedem empfehlen möchte, hemmte die Redseligkeit des nunmehr schon ziemlich bejahrten Burschen. Erst nachdem wir das Frauenalple im Rücken hatten, gewann er mehr Athem.

Als wir aber unten dort rasteten, wo das aus dem oberen Rainthale kommende Wasser sich mit den Wellen der Partnach vermengt und der mitgebrachte Wein die Zunge löste, da wurden die alten Erinnerungen lebendig, nahmen Gestaltung an, und im Angesichte des eben überkletterten Felsgrates entstanden die Umrisse der Skizze, welche hier dem Leser vorgeführt wird.

Heutzutage wird deshalb nicht mehr über diese hohen Jöcher geschmuggelt, weil kein Zoll hoch genug ist, um durch dessen Ersparniß die Leute zu solcher Mühe und Lebensgefahr anzuspornen. Was man heute schmuggelt, geht meist an der Landstraße hin und besteht aus Kleinigkeiten, für die sich kein Mensch einem größeren Abenteuer unterzieht: einigen Päckchen Feigenkaffee, ein paar Kistchen Cigarren, einem Pack groben Tuches, einem Fäßchen mittelmäßigen Tiroler Weines. Damals aber, als mein Leutascher noch jung war, gab es Zölle, die allerdings so hoch waren, daß sie die Lust am Gewinne herausforderten. Zu Mittenwald hat sich manches Haus, welches den Schmugglern ein sicheres Obdach bot, durch den damaligen Schleichhandel eine gewisse Wohlhabenheit erworben.

Vor Allem waren es Seidenwaaren, welche die bairische Zollgesetzgebung mit einer unverhältnißmäßigen Abgabe belastete. Diese Seidenwaaren konnte man in dem mit Italien zusammenhängenden Tirol damals um die Hälfte von Dem kaufen, was man in Baiern dafür zu zahlen hatte. – Auch die sechs Burschen, welche eines Tages vor einer Reihe von Jahren auf dem nämlichen Pfade heraufstiegen, den ich heute mit manchem heimlichen Ach- und Wehrufe überklettert hatte, schleppten theure Seidenwaaren mit sich. Bald stiegen sie keuchend die jähen Wände an, bald rasteten sie, und das nicht selten, denn eine solche Last schier lothrecht aufwärts zu schleppen, hält Niemand lange aus. Wenn sie rasteten, entfernten sich immer Zwei von ihnen und setzten sich in verschiedener Richtung nieder, um nach allen Seiten hin ausspähen zu können. Die Anderen aber thaten sich abwechselungsweise bei Speck, Brod, Branntwein und bei einem Pfeifchen Tabak gütlich. Die Gewehre, welche sie bei sich trugen, versteckten sie während einer Rast immer in den nächstgelegenen Büschen.

„Die Kropfglocken“ – diesen Spitznamen führte damals mein Gewährsmann – besaß ein ziemlich gutes Fernrohr und schaute damit in der Richtung gegen die enge Schlucht des sogenannten Scharnitzthales und darüber hinweg bis gegen die oberen Häuser der Leutasch hinab. Manchmal kam es ihm wohl vor, als ob er einige verdächtige Gestalten hinter großen Steinen sich bewegen sähe. Er machte seine Genossen darauf aufmerksam, diese aber behaupteten, es sei eine Täuschung des Nebels, welcher in dunkeln Ballen über das feuchte Gestein hin- und herzog. Im Uebrigen fühlten sie sich ein paar Zollwächtern gegenüber durch ihre Bewaffnung und Zahl vollständig sicher. Ueber die steilen Schneehänge, die sie hüben wie drüben an- und abzusteigen hatten, ging es langsam, bedächtigen Schrittes, Schritt für Schritt hinüber, denn nichts wäre für sie verderblicher gewesen, als wenn sie eine Lawine, wie man im Gebirge sagt, „angetreten“ hätten.

Es wurde ihnen aber bald klar, daß Dasjenige, was sie hinter den Steinblöcken sich hatten bewegen sehen, keine schwanken Nebelschatten gewesen waren. Denn plötzlich krachte es hervor und „die Kropfglocken“ hatte zwei Schüsse im Leibe, den einen an der linken Hand, den andern am linken Fuße. Doch fühlte er sofort, daß kein Knochen zerschmettert war. Auch ein anderer Genosse, der „Duxer Neuner“, blutete stark.

Doch derlei Abenteuer waren nichts Ungewöhnliches und das Benehmen der Schmuggler in einem solchen Falle vorgesehen. Sie liefen langsam in der nämlichen Reihenfolge, in welcher sie vorwärts geschritten waren, zurück, so daß der Vorderste der Letzte und der Hinterste der Erste wurde. Die beiden Verwundeten nahmen sie in die Mitte und führten sie so weit, bis sie außer Tragweite der vorhin abgeschossenen Gewehre waren. Dann erst wurden die Wunden untersucht, während sich Zwei mit Gewehren hinter einigen Steinblöcken aufstellten, um die etwa herannahenden Zollwächter abzuhalten. Die Wunden erwiesen sich als Streifschüsse und ziemlich ungefährlich. Sie wurden, so gut es ging, verbunden, dann aber Rath gehalten, was im Angesichte der drohenden Gefahr zu thun sei. – Die Schmuggler waren darin einig, daß sie verrathen worden seien und zwar von ihrem eigenen Zuträger. Sie erinnerten sich, daß sie ihm den Botenlohn von dem letzten Gange her schuldig geblieben seien. Der Mann versuchte deshalb sein Glück mit den Zollwächtern. Nach der Anzahl der Schüsse, welche auf sie abgefeuert worden waren, schien es, als ob die Zollwächter ihnen um das Doppelte überlegen seien. Es konnte also von einem weiteren Fortschreiten auf diesem Wege nicht mehr die Rede sein. Denn die Verwundeten waren nicht mehr kampffähig, und so geschwächt konnten sie dem Trupp der Zöllner nicht gegenübertreten.

Nach ihrer Berechnung konnten die Feinde, welche vom gegenüberliegenden Hange aus geschossen hatten, unter zwei Stunden nicht zur Stelle sein. Es wurde deshalb zwischen zwei Felsen unter vielen Schwierigkeiten ein Feuer angemacht. Die Verwundeten hatten einen Anfall von Schüttelfrost; sie hatten auch seit langer Zeit nichts Warmes mehr genossen, und einige Pflege war deshalb unumgänglich nothwendig.

Mittlerweile wurde es dunkel, und die ausgestellte Wache meldete durch den nachgeahmten Schrei eines Raben, daß die Verfolger herannahten. Obwohl es schon dunkel war, bemerkten die Schmuggler doch, daß jene ihre Körper nicht einem möglichen Feuer aussetzten, sondern fortwährend springend hinter den Blöcken Deckung suchten.

Die Schmuggler hätten indessen, auch wenn sie sich frei gezeigt hätten, schwerlich auf sie geschossen. Es war überhaupt nicht ihre Art, durch unnützes Blutvergießen Verfolgungen im größten Maßstabe auf sich zu ziehen. Als ihnen überdies nach einer weiteren Viertelstunde von ihrer Wache gemeldet wurde,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_095.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)