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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

natürliche Kälte und den Trachenberg’schen Hochmuth, den sie in geeigneten Momenten prächtig herauszukehren versteht – in vierzehn Tagen reise ich.“





Die Frau Herzogin hatte sich mit ihren beiden Knaben beim Hofmarschall angemeldet – das konnte nicht auffallen. Zu Lebzeiten ihres Gemahls hatte der Hof fast ganze Tage in Schönwerth verlebt; denn der Hofmarschall stand hoch in Ehren und wurde stets mit Gnadenbeweisen überschüttet, als ein „in unerschütterlicher Treue ersterbender Anhänger“ des herzoglichen Hauses. Selbst während des Trauerjahres, wo sich die hohe Frau mit musterhafter Strenge von Allem fernhielt, was auch nur den leisesten Anstrich einer geselligen Vergnügung annehmen konnte, hatte sie auf ihren Spazierritten durch das Thal von Kaschmir öfter den Nachmittagskaffee im Schönwerther Schlosse eingenommen. Freilich war dabei ihr schönes Gesicht unter der schwarzen Krepprüche stets wie in Leid versteinert erschienen, und selbst der Hofmarschall mit seinem geübten Höflingsblicke hatte sich allmählich der Ueberzeugung hingegeben, diese gebeugte Wittwe müsse ihren Gemahl in der That innig geliebt haben. Während der Zeit vor und nach Mainau’s Vermählung war sie nicht im Schlosse eingekehrt und hatte es bei einem hinübergesandten Gruß bewenden lassen, weil ja der alte Freund schlimmer als je von seiner Gicht geplagt wurde.

Nun erschien eines Nachmittags Herr von Rüdiger und beglückte ihn mit der Nachricht, daß die kleinen Prinzen morgen, wie bisher jedes Jahr geschehen, sich höchsteigenhändig Frühtrauben und Zwergobst von den Spalieren im Schönwerther Schloßgarten zu pflücken wünschten. … Man saß gerade beim Dessert. Der Hofmarschall erhob sich wie verjüngt; er lehnte seinen Krückstock in die Ecke und machte mit zusammengebissenen Zähnen und einem schielenden Seitenblicke nach dem Spiegel einen Gehversuch ohne Stütze bis nach dem nächsten Fenster; von dort aus winkte er Liane zu sich und gab ihr Befehle für Küche und Keller.

„Da haben wir’s!“ sagte Mainau zu der jungen Frau – er war ihr gefolgt, als sie das Zimmer verlassen hatte. „Ich bin gern auf Deinen Wunsch eingegangen, Dich erst nach meiner Rückkehr vorzustellen; nun zwingt Dich die Herzogin, morgen vor ihr zu erscheinen.“ Er zuckte mit einem schwer zu beschreibenden Gemisch von verhaltenem Lachen, geschmeichelter Eitelkeit und boshaftem Spotte die Achseln. „Da giebt es kein Ausweichen mehr.“

„Ich weiß es,“ erwiderte sie mit vollkommener Gelassenheit und zog ein Notizbuch aus der Tasche, um im langsamen Weitergehen die Befehle des Hofmarschalls flüchtig zu notiren.“

„Schön – Deine Gemüthsruhe in allen Lagen und Verhältnissen ist wahrhaft bewundernswürdig. Nur auf Eins möchte ich Dich ein wenig aufmerksam machen – Du erlaubst es wohl, Juliane? Die Herzogin hat für allzu gesuchte Einfachheit in Toilettenangelegenheit sehr leicht ein verwundendes Spottlächeln – Deine Neigung –“

„Ich hoffe, Du traust mir so viel Tact zu, daß ich zu unterscheiden weiß, wo ich meiner Neigung oder den Pflichten meiner Stellung zu folgen habe,“ unterbrach sie ihn freundlich ernst und steckte den Bleistift in das Notizbuch.

Sie hatten mittlerweile die Corridorthür vor Mainau’s Appartements erreicht. Dort standen ein paar neue Reisekoffer von Juchtenleder, die man während des Diners gebracht hatte. Mainau’s Augen leuchteten auf bei ihrem Anblick, als sähe er sich schon über Berg und Thal, weit, weit weg von Schloß Schönwerth, in die Welt hineinfliegen. Er hob einen der Koffer empor und prüfte die Beschläge – währenddem stieg Liane in die Schloßküche hinab, um mit Frau Löhn und dem Koch zu verhandeln.

Der Hofmarschall hatte es stillschweigend acceptirt, daß sie die Oberaufsicht über das Hauswesen in die Hand genommen. Damit hatte sie sich freilich wie auf Brennnesseln gebettet. Unausgesetzt mußte sie ringen mit dem schmutzigen Geiz des alten Herrn, der um jeden Pfennig feilschte. Sein grenzenloses Mißtrauen, die Furcht, bestohlen und betrogen zu werden, machten sich stündlich in fast ekelerregender Weise geltend. Dazu kam sein unverminderter Groll über die verhaßte zweite Heirath Mainau’s – die junge Frau stand fortwährend in Waffen ihm gegenüber. Sie wußte, daß er jeden ihrer Schritte belauerte, so weit es ihm möglich, daß sogar die Briefe aus der Heimath durch seine Hände gingen, ehe sie zu ihr gelangten. Die Briefe der Geschwister mochten ihm unverfänglicher erscheinen – sie trugen selten die Spuren eines Attentates. Dagegen war vor einigen Tagen ein Schreiben ihrer Mutter eingelaufen – das erste seit Lianens Verheirathung. Sie konnte sich nicht verhehlen, daß das Siegel erbrochen gewesen war, und das empörte sie doppelt im Hinblick auf den Inhalt. Die Gräfin Trachenberg erging sich in Klagen über ihr Leben, das ihr die schrecklichsten Entbehrungen auferlege. Von ärztlicher Seite sei ihr eine Badereise dringend zur Pflicht gemacht worden; Ulrike hüte jedoch das Einkommen wie ein Drache und bewillige ihr keinen Groschen; sie wende sich daher an „die Lieblingstochter“ und ersuche sie, ihr einen kleinen Theil ihres reichen Nadelgeldes zufließen zu lassen. Daß der Hofmarschall diesen Brief in der That gelesen hatte, bestätigte ihr der stechende, boshaft fixirende Blick, mit welchem sie an jenem Tage bei ihrem Erscheinen im Eßzimmer von ihm begrüßt wurde. … Diese fortgesetzten Kämpfe blieben Mainau verborgen. In seinem Beisein hütete der Hofmarschall Gesicht und Zunge mit der Meisterschaft des gewiegten Höflings, und ihn zu verklagen bei dem Manne, der um jeden Preis Frieden sehen wollte, fiel der jungen Frau nicht ein.

Es war in der dritten Nachmittagsstunde, als Liane in den Salon trat, dessen Glasthür auf die große Freitreppe mündete – von dieser Freitreppe aus wollte der Hofmarschall die Herzogin beim Vorfahren begrüßen. Er war bereits im Salon anwesend und sprach mit dem Hofprediger, der neben ihm saß.

Als die junge Frau hereintrat, war es, als fliege mit ihr ein verklärender Schein in das Zimmer. Sie trug eine mäßig lange Schleppe von seeblauem Seidenstoff, den Oberkörper dagegen umschloß Sammet von einer tieferen Nüance. Das schimmernde, gesättigte Blau und der dunkle Goldglanz der Haarwellen über der Stirn dieser mädchenhaften Frau waren von wundervoller Wirkung. Weite, offene, mit Seide gefütterte Aermel fielen bis weit über die Hüften hinab und ließen die Arme völlig frei, die, wie die Büste im viereckigen Ausschnitt, von einem weißen Spitzenchemisette wie von einem Schleier leicht umrieselt erschienen. Selbst im silberstoffnen Brautkleide war die tadellose Gestalt der „Trachenbergerin“, die köstlich reine und klare Hautfarbe dieses „Rothkopfes“ nicht so zur Geltung gekommen, wie heute.

„Noch viel zu früh, meine Gnädigste!“ rief ihr der Hofmarschall entgegen. „Die Herzogin kommt nicht vor vier Uhr.“ Er fixirte mit unverkennbarem Aerger das riesige Bouquet, das die junge Frau in der Hand hielt. „Mein Gott, was für eine Blumenverschwendung! Sie müssen ja das ganze Warmhaus geplündert haben, meine Liebe! … Raoul ist ein Narr mit seinen Gloxinien, Gesneriaceen und wie diese kostspieligen Südamerikanerinnen alle heißen mögen! … Kosten Unsummen und dienen zu nichts, als in unberufenen Händen zu verwelken – von der Hausfrau verlangt man nicht, daß sie ballmäßig erscheint.“

Liane war stehen geblieben und hatte ihn auspoltern lassen. Sie hätte ihm entgegnen können, daß seine Tochter die köstlichsten Bouquets in Uebermuth oder schlechter Laune oft in Atome zerpflückt und auf dem Boden verstreut habe, um sie mit ihren kleinen Füßen zu zerstampfen – aber sie begnügte sich zu sagen: „Mainau hat gewünscht, daß ich der Herzogin diese Blumen bei der Begrüßung überreiche.“

„Ah so – dann bitte ich tausendmal um Verzeihung!“ Er sah nach seiner Uhr. „Wir haben Zeit, und die will ich benutzen, um Ihnen etwas mitzutheilen, das mir höchst fatal und peinlich ist – ich kann aber leider das Geschehene nicht ändern. … Sie haben heute Morgen ein Kistchen nach Rudisdorf an die Gräfin Ulrike abgeschickt. Ich habe es gern, wenn alle Poststücke vor meinen Augen in den Blechkasten gelegt werden, der jeden Morgen nach der Stadt abgeht. … Ich weiß nicht, was für ungeschickte Hände es gewesen sind, denen man die kleine Kiste anvertraut hat – genug, sie wurde mir zerbrochen übergeben.“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: 17.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_108.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)