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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Andere dem Wasser, der Dritte der Luft angehört, im feindlichen Gegensatze zu einem alle Drei beherrschenden Vierten, dem Satan, dem Herrn des Feuers. Auch Heller läßt am Ausgang seines Gedichts Ahasver einen Bund schließen mit Faust und Don Juan. In ihnen incarnirt sich „die Menschheit in ihrer Zauberblüthe“, denn sie vertreten dieselbe in den drei Richtungen des Glaubens (Ahasver), des Denkens (Faust) und der Kunst (Don Juan), richtiger wohl der Sinnlichkeit, des Lebensgenusses.

Hamerling, der neueste aller dieser Ahasver-Poeten, stellt ihn in Gegensatz zu Nero, dem eigentlichen Helden seines Poems „Ahasver in Rom“. Hier in Nero unermessener Lebensdrang, dort bei Ahasver unermessene Todessehnsucht. Beide erfüllen trotz dieser Gegensätze insoweit eine Mission, als sie gemeinsam arbeiten an der Entwickelung der Menschheit, denn diese bedarf, um rascher fortzuschreiten, namentlich in Zeitaltern, wo Ueberlebtes und todtreif Altes mit neuen Lebensformen ringt, solcher Titanen der Zerstörung wie Nero. Der in ihm vertretenen negativen Macht der Zerstörung tritt in Ahasver dann das Unzerstörbare positiv entgegen und bereitet in der hervorgerufenen Erkenntniß seiner Ohnmacht seinen Sturz vor. Dies Unzerstörbare, das zu vernichten keine Kraft stark genug ist, das „wie ein Phönix aus ewigen Verwandelungen sich erhebt, das aus erloschenen Daseins Ueberresten die Funken neuer Lebensblüthe lockt“, ist, wie Hamerling meint, die ewige Menschheit. Das Spiegelbild, der Vertreter derselben ist danach Ahasver. Seine Todessehnsucht ist nur die Ruhesehnsucht der ewig ringenden, nie zum Frieden kommenden Menschheit. Es ist also nicht mehr der ewige Jude, sondern der ewige Mensch. Die Consequenz dieser Auffassung führte den Dichter dahin, Ahasver auch so alt sein zu lassen, wie die Menschheit. Deshalb identificirte er ihn mit dem ersten Menschen, mit Kain, der den Tod in die Welt gebracht.

So hat im Laufe seiner poetischen Wanderung und Wandlung der Schuster von Jerusalem sein Pharisäerthum, Judenthum und Christenthum abgeworfen und sich endlich zum ewigen Menschen gewandelt. Bewundernswerth ist hierbei namentlich die stetige Steigerung, die sich in diesem Processe ausspricht. Rechnet man hinzu, wie außerdem in allen Denen, welche sich dichtend und denkend in die Sage versenkten, dieselbe nach den verschiedenartigsten Seiten hin – rollen doch Andersen und Heller die ganze Weltgeschichte vor unseren Blicken auf – befruchtende Gedanken angeregt hat, Gedanken, welche in ihrer Zusammenfassung ein eigenes philosophisches System, eine Art Ahasver-Philosophie darstellen, die sich in dem Schlußsatze gipfelt, daß Tod und Leben eigentlich Eins sind – so wissen wir nicht, ob wir nun noch die Sage oder nicht vielmehr die schöpferische Beweglichkeit des menschlichen Geistes bewundern sollen, der aus dem unscheinbaren Samenkorne ein so reiches Leben zu locken verstanden hat und uns gleichzeitig dafür bürgt, daß die geistige Wanderung Ahasver’s noch nicht beendet ist. Immer noch wird die alte wunderliche Figur die Folie abgeben für neue Gedanken und Axiome, immer von Neuem werden wir ihm in dem Wunderlande der Poesie begegnen, dem müden Waller mit seinem harten, furchenreichen Gesichte, seinen tiefglühenden Augen mit den darüber herabhängenden buschigen Brauen, den weißen strähnigen Haaren, im schleppenden zerfetzten Gewande, wie er dahin geht durch die Welt, ohne Ruhe, ohne Rast weiter – und weiter.

Fr. Helbig.


Anmerkung. Ausführlicher ist derselbe Gegenstand von dem Verfasser in einer Abhandlung in Heft 196 der „Sammlung gemeinverständlicher wissenschaftlicher Vorträge“, herausgegeben von R. Virchow und Fr. von Holtzendorff (Verlag der Lüderitz’schen Buchhandlung) behandelt, auf welche wir Freunde des Stoffes hinweisen.

D. Red.




Die Jagden des Kaisers.


Mit Illustrationen von H. Lüders.


Was der Wald von Fontainebleau für Paris, das ist „der Grunewald“ für Berlin. Wie jener das alte Jagdrevier der Bourbons, so ist dieser gleichsam der privilegirte Hofforst für die Hohenzollern, mögen diese auch keine so hervortretenden Jagdpassionen haben wie die Nachkommen des Bearners. Wie von Paris im Sommer Alles, was ein paar Franken in der Tasche, einen leidlichen Sommeranzug auf dem Leibe und ein verstaubtes und nach Grün und reiner Luft sehnsüchtiges Herz besitzt, nach dem Forêt von Fontainebleau auswandert, so ist für das Berliner Publicum der Grunewald das Lustrevier, wo es seine Sommerfeste feiert. Am Morgen geht es mit gefüllten Kobern und unter Singen und Klingen, wobei die in unseren Tagen so vernachlässigte Guitarre wieder zu Ehren kommt, hinaus in „den Jrunewald“. In anderthalb bis zwei Stunden ist der grüne Hag erreicht. Zwar nicht die üppige Vegetation wie im Walde von Fontainebleau schützt die Wandernden vor den brennenden Sonnenstrahlen, es ist lediglich Kiefernbestand, und das Marschiren in dem tiefen Sande ist oft sehr beschwerlich, aber es sind doch recht respectable Bäume, die da ihre grünen Nadeläste niederbeugen, und die saftgrünen, behaglichen und schattigen Plätzchen, welche sie den Ankömmlingen bereitet haben, sind deutscher Boden. Durch die grauen Stämme hindurch blinkt das dunkelblaue Wasser eines Sees; ein Kranz von Kiefern und Fichten schlingt sich um denselben, und in dem klaren Spiegel des Wassers zeigen sich die Fronten und Giebel eines ansehnlichen Hauses aus der Renaissancezeit, dem man die Bezeichnung eines Schlosses beigelegt hat, einfach in den Ornamenten, hin und wieder sogar verwittert, sonst ist es ernst und still im grünen Tann – nur manchmal fliegt aus dem dichten Schilfe ein Wasservogel auf –, bis der Berliner kommt mit seiner Amusirlust. Dann geht das Singen und Jauchzen durch den ganzen sonnenlichten Tag – und am andern Morgen kann der Wald aus fetten Papieren, zerstreuten Wursthäuten und geknickten Kümmelflaschen von dem Sommervergnügen der Berliner erzählen.

Das geht so bis Ende September. Dann werden die Morgen und Abende kühl, das Laub gelb und der Grunewald bereitet sich zur Winterruhe vor. Zuvor aber ladet er noch zu einem letzten Feste ein. Das findet am 3. November, am Namenstage des heiligen Hubertus, des Herzogssohnes von Guyenne, statt, der ein so gewaltiger Nimrod war, daß der Schöpfer und Erhalter der Thiere im Walde das Abschießen seiner prächtigen Geschöpfe nicht mehr so ruhig ansehen konnte und ihm als Mahner einen Hirsch mit einem goldenen Kreuze zwischen dem Geweihe sandte, worauf der Genannte von seinen blutdürstigen Neigungen sich bekehrte, ein frommer Bischof und sogar selig gesprochen wurde, was indeß seine ganze jagdlustige Nachkommenschaft nicht hinderte, ihn als ihren Patron zu betrachten und dem edeln Waidwerke je nach den Bedingungen und Wandelungen der Zeit noch ferner nachzugehen.

Am dritten November wird’s im Grunewalde noch einmal lebendig. Zu Tausenden strömt das Publicum herbei, aus Berlin, Charlottenburg, Potsdam und Spandau. Für alle diese Städte ist der Wald gleich günstig gelegen. Sie kommen zu Fuße und zu Wagen; sie kommen im Arbeitskittel mit dem Pfeifenstummel im Munde und der platten „Kümmelpulle“ in der Seitentasche; sie kommen in prächtigen Kaleschen, mit duftenden Havannas, mit feinen Damen und gefüllten Speisekörben, und stellen sich am Wege beim Ausgange aus dem Schloßhofe auf. In den weiten Hof fahren nur die Equipagen des Kaisers und der Prinzessinnen ein. Die Prinzen sind zu Pferde. Für sie wie für die übrigen an der Jagd Theilnehmenden ist ebenfalls der Schloßhof der Sammelplatz.

Die Parforcereiter ergänzen sich zumeist aus den Officieren der Garde, und die jugendlichen schönen Gestalten nehmen sich in den kleidsamen Jagdcostümen gar schmuck aus. Roth war von Alters her die brandenburgische Jagdfarbe, wie aus den im Schlosse aufgehängten Schildereien berühmter Hetzjagden zu erschauen ist. Nur ist aus den goldbetreßten Röcken, in denen die Herren vom Hofe des großen Kurfürsten erschienen, ein eleganter Frack geworden und weiße oder graue hirschlederne Beinkleider, Stulpenstiefel, eine weiße Weste und Cravatte und ein schwarzer Cylinderhut vervollständigen die Toilette eines Parforcereiters. Nur Einer von den im Hofe beim Frühstück Versammelten macht davon eine Ausnahme. Er trägt einen schwarzen Sammetrock und Brust und Rücken mit einem grellfarbigen Plaid umwickelt. Er ist der Aelteste unter Allen und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_130.jpg&oldid=- (Version vom 10.11.2023)