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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

von einem versöhnlichen Schimmer umgeben; sie wollte die hier verlebte Prüfungszeit, wenn sie einmal hinter ihr versunken war, für einen schweren, glücklich abgestreiften Traum halten und seiner nicht mehr gedenken. … Zurück zu Magnus und Ulrike! Mit ihnen wieder zusammenleben und weiter forschen in Rudisdorf, im trauten Gartensalon! … Wie gern wollte sie jetzt die schlimmen Launen der Mama, ihre heftigen Zornausbrüche ertragen! Die Hölle dort – wie die Geschwister sich ausgedrückt, war nichts gegen die Qualen des Verlassenseins in der Fremde. Sie ging ja auch nicht zur Mutter, sondern zu Magnus – er hatte es ja fest und entschieden erklärt, daß Rudisdorf Heimath und Zufluchtsort für die Schwestern zu allen Zeiten sein werde. … O Magnus! Thränen füllten ihre Augen bei der Vorstellung, ihn wiederzusehen.

Hinter ihr stürmten in diesem Augenblicke die Jagdhunde freudig bellend aus dem Jägerhäuschen; sie wandte den Kopf – dort kam eben Mainau und beschwichtigte mit einer gebieterischen Handbewegung die an ihm aufspringende Meute. … Wollte er in das Jägerhaus gehen, vielleicht den Shawl der Herzogin holen, der dort niedergelegt war? … Wie stolz und hoch er seinen Kopf trug, als sei er die personificirte Mannesthat und Manneskraft! Und er war doch der Erbärmlichste von Allen – er sprach wider Wissen und Gewissen und schwieg wiederum bei den rohesten Angriffen, lediglich um einer Frau nicht beizustehen, die nicht in seine Pläne paßte. … Sie ging rasch weiter, als habe sie ihn nicht gesehen; aber da stand er schon neben ihr.

„Wie, Thränen Juliane? … Du kannst weinen?“ sagte er mit der ganzen Wollust gesättigter Grausamkeit und sah ihr mit funkelnden Augen unter das Gesicht. Zornig fuhr sie mit dem Taschentuch über die Augen. „Nun, ereifere Dich nicht – Niemand weiß besser als ich, daß sie nicht aus weichem Herzen kommen. Es giebt Thränen der Erbitterung, des gekränkten Stolzes“ –

„Und der tiefsten Reue,“ unterbrach sie ihn.

„Ah, Du bereust Deinen Heldenmuth von vorhin? … Wie schade – ich habe Alles, was Du sagtest, für die innigste Ueberzeugung gehalten, habe gemeint, Du würdest nöthigenfalls für jedes Wort märtyrhaft zu sterben wissen. … Du bereust also? … Soll ich Dir den Hofprediger schicken? Er suchte Dir vorhin mit ganz unerklärlicher Bereitwilligkeit zu Hülfe zu kommen – die Herzogin ist außer sich darüber. … Soll ich ihn schicken, Juliane? – Einen liebenswürdigeren Beichtvater hat die Welt nicht – ich weiß es von Valerie.“

„Ich sollte es gestatten,“ sagte sie, erbittert auf seinen lächelnden Hohn eingehend, „um mich im Hexen- und Gespensterglauben unterrichten zu lassen, damit ich“ – sie verstummte unter glühendem Erröthen mit einer ausdrucksvoll zurückweisenden Geberde gegen ihn.

„Damit Du geliebt würdest, wie ich vorhin ausgesprochen,“ ergänzte er.

Hier nicht! Hier nicht!“ rief sie in Leidenschaft ausbrechend und streckte die Arme verneinend über die Schönwerther Gegend nach dem Schlosse hin. „Ich bereue,“ setzte sie ruhiger hinzu, „daß ich mit meiner unbesonnenen Fürsprache Gabriel’s Geschick beschleunigt habe – alles Andere, was ich ausgesprochen, bin ich bereit Wort für Wort zu wiederholen, ja, wenn ich dazu herausgefordert werden sollte, noch ganz anders zu begründen, jener hochgestellten Lügenhaftigkeit und Deinem ätzenden Spott gegenüber … Ich bereue ferner“ –

„Lasse mich das aussprechen, Juliane – ich möchte mir das nicht gern aus Frauenmunde sagen lassen,“ unterbrach er sie plötzlich sehr ernst unter jenem raschen Farbenwechsel seiner Wangen, der sie heute schon einmal innerlich erschüttert hatte. „Du bereust ferner, daß Du so blindlings, unwissend, so taubenhaft harmlos in die Ehe gegangen bist, und richtest nun gegen mich, ‚den erfahrenen Mann, der genau wissen mußte, was er that, was er verlangte‘, Deine leidenschaftlichen Anklagen“ –

„Ja, ja!“

„Und wenn nun auch er bereute?“

„Du wolltest, Mainau? Du würdest mir gestatten zu gehen? Heute noch?“ fragte sie mit zurückgehaltenem Athem und aufstrahlenden Augen – sie preßte beide Hände wie inbrünstig bittend auf ihre Brust.

„So war es nicht gemeint, Juliane,“ antwortete er, sichtlich bestürzt über diesen mühsam verhaltenen Jubel. „Du hast mich falsch verstanden,“ betonte er mit einem eigenthümlich nervösen Aufzucken der Lippen. „Lassen wir das jetzt – es ist hier weder Zeit noch Ort für eine Verständigung.“

„Verständigung?“ wiederholte sie tonlos und ließ die Arme sinken. „Sie ist ja ganz unmöglich! Wozu denn dieses Hinschleppen? … Mein Gott, ich habe ja jetzt nicht einmal mehr den guten Willen, die ehrlich gemeinten Vorsätze, mit denen ich die neue Lebensstellung angetreten – ich bin verbittert und behaupte nur mühsam meine äußere Ruhe – mit Kopf und Herzen bin ich in Rudisdorf – nicht hier! Das läßt sich wohl eine kurze Zeit durchsetzen, aber lebenslang – unmöglich! … Eine Verständigung!“ – Sie lachte bitter auf – „Vor vier Wochen noch hätte ich sie aus eigenem Antriebe gesucht, im aufrichtigen Wunsche, die so unverzeihlich leichtsinnig übernommenen Pflichten zu erfüllen; heute, nach Allem, was vorgefallen, nicht mehr! Ich weise sie zurück.“

„Aber ich nicht, Juliane!“ rief er heftig, mit schwellenden Stirnadern. … Einen Moment stand sie stumm und eingeschüchtert vor ihm, den sie in solchen Augenblicken fürchtete; aber war es nicht am besten für beide Theile, wenn es noch in dieser Stunde zum Bruch kam?

„Ich glaube zu verstehen, weshalb Du vorderhand mein Verbleiben in Deinem Hause wünschest, und das ist mir in diesem schweren Moment eine große Genugthuung,“ sagte sie sanft. „Du hast erkannt, daß ich Dein Kind mit aufrichtiger Liebe an mein Herz genommen habe – gieb mir Leo mit nach Rudisdorf, Mainau! Ich schwöre Dir, daß ich nur für ihn leben, ihn wie meinen Augapfel behüten will. Ich weiß, Magnus und Ulrike werden ihn freudig aufnehmen; was Alles kann er lernen von diesen zwei Menschen, die geistig so hochbegabt sind! … Dann kannst Du unbesorgt draußen in der Welt sein und auf Jahre verreisen – gieb mir Leo mit, Mainau!“ Sie hielt ihm bittend die Hand hin – er stieß sie heftig zurück.

„Wahrhaftig, es giebt eine Nemesis! … Ich möchte sie lachen hören, Alle, Alle!“ Er warf, selbst hohnlachend, den Kopf zurück und starrte in die blaue Luft hinein, als sähe er Alle, die er meinte, vorüberfliegen. „Weißt Du, wie die furchtbar gezüchtigte Eitelkeit aussieht, Juliane? … ich werde es Dir später einmal sagen; jetzt nicht, noch lange nicht, bis –“ Die junge Frau schritt plötzlich, ihm, der mit dem Rücken nach dem Jägerhäuschen stand, schweigend ausbiegend, nach den Ahornbäumen – dort kam die Herzogin in Begleitung der Hofdame.

… Wie peinlich für Liane! Die brennenden, neugierig vorwärtsstrebenden Augen der fürstlichen Frau hatten die heftige Bewegung beobachtet, mit welcher Mainau ihre Hand zurückgestoßen. Tieferröthend, wie mit Rosengluth überschüttet, ging sie den Damen entgegen – das boshafte Lächeln, das den Mund der Hofdame verzog, entging ihr nicht und machte sie noch befangener.

Ah, die Frau Herzogin hatte eben einen unerquicklichen ehelichen Auftritt durch ihr Erscheinen unterbrochen! Der Eheherr hatte die junge Frau wegen ihrer Tactlosigkeit von vorhin gescholten und ihre Bitte um Verzeihung in so rauher Weise zurückgewiesen, wie es eben nur – die entschiedenste Abneigung vermochte. Jetzt gestand sie sich mit vollkommenster Ruhe, daß dem befangen daherkommenden „Rothkopf“[WS 1] dort zum vollendeten Bild des echt deutschen Gretchens nur die weissagende Sternblume in der Hand fehle – warum sollte sie nicht zugeben, daß diese von allen Seiten geschmähte und angefeindete zweite Frau von bestechendem Liebreiz sei? – Faust liebte sie ja nicht; er behandelte sie grausam, weil – nun, weil sein Tollkopf dieses Mädchen mit den rothgoldenen Flechten nicht so rasch wieder abzuschütteln vermochte, wie er es in glühender Rachsucht an sich gerissen hatte.

„Meine beste Frau von Mainau, warum isoliren Sie sich?“ rief sie der jungen Frau gütig und herzlich entgegen. Sie trug ein Körbchen voll Obst in den Händen und hätte sie es ein wenig höher gehalten, so wäre man versucht gewesen, zu glauben, sie wolle „Tizian’s Tochter“ als lebendes Bild verkörpern, in einer so anmuthigen Stellung blieb sie stehen und erwartete die Herankommenden. „Hier mein Dank für Ihre schönen Blumen – ich habe sie mit eigener Hand gebrochen,“ sagte sie und reichte Liane eine Frucht hin. Die Hofdame warf einen erstaunten

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: „Rothlopf“
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 156. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_156.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)