Seite:Die Gartenlaube (1874) 166.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Nur in einer Gegend, welche fast niemals aufgehört hat, der Schauplatz erbitterter Kämpfe zu sein, konnten solche Verhältnisse allmählich sich bilden und erhalten. Während in anderen Ländern die Geschichte in den Thälern und auf der Ebene spielt, die Gipfel der Berge dagegen einsam in die Wolken ragen, ist hier das Umgekehrte der Fall: die Menschen haben die Tiefen verlassen, um in den Höhen ein beschwerliches, aber wenigstens sicheres Dasein führen zu können. Jetzt freilich ist dieser Zustand unnatürlich geworden, und sein Bestand, ohne irgend welche Vortheile zu bringen, hat nur noch die Folge, daß Jahr aus Jahr ein[WS 1] unberechenbares Capital an menschlicher Arbeitskraft verloren geht, wobei eben das wirthschaftliche Gedeihen


 Olevano. Casa Baldi.
 Nach einer Skizze von J. Zielcke in Rom.


solcher Gemeinden ein Ding der Unmöglichkeit bleibt. Aber wie denn das Schöne und der Nutzen meist auseinandergehen, so kann man sich vom malerischen Standpunkte aus damit nur einverstanden erklären, daß dieses Charakteristicum der Sabinergebirge sich noch immer erhalten hat.

Aber auch noch in anderer als malerischer Hinsicht ist diese Landschaft interessant: die außergewöhnlich hohe Lage dieser Städte hat selbstverständlich einen sehr mangelhaften Verkehr mit den benachbarten Orten zur Folge, und bei dieser natürlichen Isolirung erhalten sich mancherlei Eigenthümlichkeiten ihrer Bewohner merkwürdig lange. Eine solche Culturinsel ist z. B. das hoch auf einer Felsenspitze gelegene Saracinesco, eine im Jahre 876 von den Saracenen gegründete Colonie. Man glaubt sich in längstvergangene Zeiten versetzt, wenn man hier, in den Gassen wandelnd, durch die Tracht der Bewohner, ja theilweise sogar durch maurische Namen, wie Almansor, an die ersten Anfänge dieser Colonie erinnert wird. Sie hat sich gleichsam als Petrefact der Culturgeschichte erhalten.

Der intessanteste, besuchteste und für längeren Aufenthalt auch am besten geeignete Ort des Sabinergebirges ist Olevano. Man erreicht es von Rom aus am bequemsten unter Benutzung der neapolitanischen Bahn bis Valmontone, indem man von dort aus den Weg über Palestrina und Gennazano einschlägt. Bei einer Windung des steinigen Felspfades, der zu den vorliegenden Hügeln hinanführt, erblickt man plötzlich über sich das Städtchen, welches terrassenförmig an einem kahlen Berghang liegt. Die graue Steinmasse der dicht aneinander stehenden hohen Häuser, die gleichsam in geschlossenen Reihen herunterzusteigen scheinen, ist von den malerischen Ruinen eines zerfallenen Castells überragt. Zur Rechten des Städtchens aber liegt ein runder grüner Hügel, von einem einzeln stehenden Häuschen gekrönt.

Dies ist die Casa Baldi, die deutsche Künstlerherberge.

Vor einigen Jahrzehnten noch wagte sich der Fremde nur selten in diese Gegend, die nicht nur öde und unwirthlich, sondern auch noch durch zahlreiche Banditen unsicher gemacht war. Die Maler allein, bei welchen ja meist nichts zu holen war und die ihrerseits sich von den Räubern gerne verschmäht sahen, waren schon früher hier eingedrungen. Der seiner Zeit berühmte deutsche Landschaftsmaler und Radirer Koch war Ende des vergangenen Jahrhunderts der Erste, der nicht nur Olevano häufig besuchte,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: ein ein
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 166. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_166.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)