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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

nun einmal ein geschworener Feind der „Blondinen“, alle Damen, die droben in seinem Zimmer hingen, hätten braune oder schwarze Locken – die erste Frau auch – er müsse die zweite geradezu „unbesehen“ genommen haben. … In der höheren Region des Schlosses aber herrschte förmlicher Sonnenschein – das Parquet hatte Ruhe vor dem Krückstock des alten Herrn; Leo bekam einen Marstall voll prächtig aufgezäumter Pferde, der Kammerdiener einen Frack, der noch gar nicht sehr abgenutzt war – dabei kamen auch die sehr geläufigen Titel „Dummkopf“ und „Tölpel“ in Wegfall; er avancirte, für einige Tage wenigstens, zum „lieben Freund“ und „guten, alten Kerl“ – und das Alles, weil „die Gnädigste in der That das Genick gebrochen hatte“.

Mit seinem Neffen hatte der Hofmarschall noch nicht darüber gesprochen – es war auch gar nicht nöthig. Mainau hatte die protestantische, vermögenslose Frau in das Haus gebracht, ohne die Einwürfe, die inständigen Bitten und Vorstellungen des Onkels auch nur im Mindesten zu berücksichtigen; nun kamen die prophezeiten Folgen des unüberlegten, abenteuerlichen Schrittes, und das war Buße und Demüthigung genug, wenn er auch in Folge seines sprüchwörtlichen Glückes kaum mit einem blauen Auge aus der Affaire hervorging. … Es verlief Alles so hübsch glatt und anständig. Die junge Frau präsidirte nach wie vor als Hausfrau; sie bereitete Abends den Thee und unterrichtete Leo, ganz als sei nichts vorgefallen – nur vermied sie fast angstvoll, mit dem Hofmarschall allein zu sein; er bemerkte das und lachte ihr diabolisch in’s Gesicht, als sie einmal bei Ueberreichen der Theetasse seine Hand berührend, wie von einer Viper gestochen, zurückfuhr – ja freilich, er war aber auch ein schlimmer Prophet gewesen, er hatte ihr ja mit wenigen schneidenden Worten den Moment markirt, wo sie „unmöglich geworden“.

Die Abreise des jungen Herrn war allerdings vorläufig verschoben worden und zwar, weil er drüben auf seinem Gute Wolkershausen gewesen und bei einem zufälligen Einblicke in die Verwaltungsbücher eine beispiellose Unordnung vorgefunden hatte. Solche Dinge dürfe man doch nicht im Rücken lassen, wenn man eine so weite Reise antrete, wie er beabsichtige, hatte er zum Hofmarschall gesagt, der vor Erstaunen über diesen plötzlichen energischen Eingriff in das abwärts rollende Rad der Liederlichkeit und Verwahrlosung fast vom Stuhle gefallen wäre. … Die neuen Koffer von Juchtenleder hatten einstweilen in eine luftige Bodenkammer gestellt werden müssen, weil sie noch gar so betäubend stark rochen, und das glänzende Abschiedsdiner, das Mainau den Mitgliedern des Clubs im ersten Hôtel der Residenz geben wollte, war vorläufig vertagt worden. … Im Uebrigen geschah Alles, um dem Gerede in der Residenz die Spitze abzubrechen – die Herzogin bot selbst in ihrer unerschöpflichen Huld die Hand dazu; sie wußte ja am besten, wie die Sachen standen, und konnte deshalb ungefährdet den Wunsch aussprechen, die junge Frau noch vor ihrer „Besuchsreise in die alte Heimath“ bei Hofe vorgestellt zu sehen. Liane hatte sich nicht geweigert – es sollte ja das erste und letzte Mal sein –, und so war „die hochblonde Trachenbergerin im unvermeidlichen blauseidenen Kleide“, wie die Hofdame sarkastisch bemerkte, auf eine halbe Stunde bei Hofe erschienen, um wenigstens „eine glänzende Erinnerung in die Rudisdorfer Einsamkeit mitzunehmen“.

Das Kistchen mit dem Schmucketui und den getrockneten Pflanzen war nun nicht abgeschickt worden – Liane kam ja selbst; auch war sie nicht mehr im Besitze des Bildes, dessen Erlös das Badegeld für die Gräfin Trachenberg vervollständigen sollte. Mainau hatte es ebenfalls confiscirt, „weil man allerdings nicht wünschen könne, daß unliebsame Momente des Hauses Mainau auf diese Weise abermals in die Oeffentlichkeit drängen“. … Sehr viel abwesend und mit den Reformen auf seinen Gütern dringend beschäftigt, machte er es aber doch fast immer möglich, Abends beim Thee zu erscheinen, und da schlug er genau den Ton von früher an. Er unterhielt sich mit dem Onkel und dem Hofprediger und bemerkte es nicht, daß der Letztere Schönwerth fast gar nicht mehr verließ – die Herzogin hatte ihn für einige Wochen halb und halb beurlaubt, um seine angegriffenen Nerven in der Schönwerther Landluft zu stärken – nur als er eines Abends den Vorschlag machte, die Religionsstunden aus dem Salon des Hofmarschalls lieber hinunter in die Kinderstube zu verlegen, da er bemerke, daß das monotone Hersagen des Kindes den alten Herrn nervös mache, da zuckte es einen Augenblick sehr bedenklich über Mainau’s Gesicht, und mit einer Stimme, die so gepreßt klang, als werde ihm die Kehle zugeschnürt, gab er dem besorgten Geistlichen zu bedenken, daß man seiner protestantischen Gemahlin eine solche Zumuthung nicht wohl machen dürfe.

Nun war seine mehrtägige unausgesetzte Anwesenheit in Wolkershausen dringend nöthig geworden. Er ritt eines Nachmittags fort; oben am Fenster erschien der Hofprediger neben dem Onkel; Beide sahen zu, wie er das Pferd bestieg, während die junge Frau, die eben mit Leo in den Garten gehen wollte, herantrat, um das Kind vom Papa Abschied nehmen zu lassen. Er reichte Leo die Hand vom Pferde herab – seiner Frau nicht. Sein Gesicht, auf welchem die vier Augen droben angelegentlich ruhten, blieb vollkommen unbewegt; den Hals des Pferdes klopfend, bog er sich nieder, und jetzt sah Liane in ein Paar finsterdrohende Augen. „Ich hoffe, Dich gut protestantisch wiederzufinden, Juliane,“ sagte er mit gedämpfter Stimme. Sie wandte sich erzürnt ab, und er sprengte mit einem flüchtigen Gruße nach oben aus dem Schloßhofe.

Jeden Morgen kam ein reitender Bote aus Wolkershausen mit einem Zettel von Mainau’s Hand, der hauptsächlich Nachrichten über Leo’s Ergehen verlangte. Der Hofmarschall lachte hell auf über diese neue Marotte des launenhaften Sonderlings, der früher nach Weib und Kind oft monatelang nicht gefragt habe, und sich nun mit einem Male auf die Rolle der zärtlich besorgten Affenmutter capricire. Er schrieb die Antwort stets eigenhändig unter die Nachfrage, die an Niemand speciell gerichtet war. Eines Morgens aber erschien der Bote, nach Abgabe des officiellen Zettels in der Bel-Etage, drunten bei der jungen Frau und brachte ihr einen versiegelten Brief. Beim Oeffnen fielen ihr eine Menge beschriebener Blätter entgegen – auf einer beiliegenden Visitenkarte bezeichnete Mainau dieselben als den Anfang eines Manuscripts, an welchem er nach den Anfechtungen und Sorgen des Tages in späten Nachtstunden zu seiner Erholung schreibe; er unterbreite diesen Anfang ihrem Urtheile.

Mit einem wunderlichen Gemische von froher Ueberraschung und beklemmender Scheu hielt sie die Blätter einen Augenblick unentschlossen in der Hand – diese neue, durch sie selbst heraufbeschworene Beziehung zu dem Manne, den sie binnen Kurzem auf immer verlassen wollte, machte sie stutzig, wie man plötzlich den Fuß zurückzieht auf unbewußt betretenem fremdem Gebiete – dann aber antwortete sie ihm in flüchtigen Zügen, sie bringe jetzt die Nachmittagsstunden mit Leo stets im Forsthause zu – dort, in der Stille des Waldes, wolle sie das Manuscript lesen.

Sie hatte ihm ja selbst gesagt, daß sie ein bedeutendes schriftstellerisches Talent in ihm vermuthe – und doch, als sie sich in diese an „Juliane“ gerichteten Reisebriefe aus Norwegen vertiefte, da stockte ihr der Athem vor Ueberraschung. Diese kräftigen Schriftzüge waren, wie es schien, nicht einmal in’s Stocken gerathen. Unaufhaltsam, wie vom Gewittersturm getragen, flogen und stürzten diese in langer Haft gehaltenen glänzenden Bilder und Schilderungen vor ihr vorüber. Die junge Frau dachte nicht mehr daran, wer sie geschrieben – der capriciöse Salonheld mit dem rücksichtslosen Spottpfeile auf den Lippen und der gemachten Blasirtheit in jeder Bewegung war abgefallen von dem einsamen Manne, der von hoher, sturmgepeitschter Klippe sinnend auf das winzige und doch so hochmüthige Treiben der Menschheit herabsah. Der ganze Plunder der höfischen Umgangsformen war abgestreift von dem Jäger, der mit fieberhaft siedendem Blute den Bären verfolgte und weite Schneewüsten verirrt durchkreuzte, um dann wochenlang in den tief in die Einöde versprengten Gehöften zu rasten, hingerissen durch die seiner innersten Natur verwandte altgermanische Kraft, ja Wildheit der Bewohner, durch ihre reinen Sitten, durch die Züchtigkeit der Frauen. Ganz besonders diesen Charakterschilderungen gegenüber gedachte Liane stillbeschämt ihres harten Vorwurfes, daß er überall nur das Auffallende und Blendende wegnasche.


(Fortsetzung folgt.)




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