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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

– „dem Erbprinzen seine Mama“ hatte er nun einmal nicht lieb, wie er stets hartnäckig versicherte. Desto besser gefiel ihm die Reitgerte der hohen Frau, die vor ihr auf dem Tische lag – der Griff bestand aus einem schöngearbeiteten Tigerkopf von Gold mit Brillantenaugen. „Die Reitgerte ist auch mit auf dem Bild, das auf Papa’s Schreibtisch gestanden hat,“ sagte er – er meinte die große Photographie der Herzogin im Reitcostüm. „Aber jetzt steht sie nicht mehr dort“ – pfeifend ließ er die Gerte durch die Luft sausen – „alle anderen Bilder auch nicht, und wo sie gehangen haben, ist die Tapete noch sehr schön roth – und der dumme blaue Schuh ist auch fort –“

„Wie, Baron Mainau, haben Sie tabula rasa gemacht?“ fragte die Herzogin mit zurückgehaltenem Athem. „Haben Sie alle diese pensionirten Andenken in einen Winkel zurückgestellt?“ Der ganze unbändige Stolz der regierenden Frau lag in ihrer Haltung; in ihrer tiefen, halbversagenden Stimme aber klangen tödtlicher Schrecken und eine wilde Angst und Spannung nebeneinander. … Sie kannte Mainau’s Zimmereinrichtung genau – zu Lebzeiten der ersten Frau hatte sie mancher Soirée in jenen Räumen beigewohnt.

Er stand ihr gegenüber – ruhig, fast amüsirt begegnete sein Blick ihren leidenschaftlich flammenden Augen. „Hoheit, sie sind sorgfältig eingepackt,“ sagte er. „Ich gehe ja fort auf lange und werde doch diese Andenken nicht dem Staube und den ungeschickten Händen der Bedienung überlassen.“

„Aber, Papa mein Bild hast Du doch nun dahin gestellt, wo erst die Glasglocke mit dem alten Schuhe stand,“ erinnerte Leo hartnäckig; „und darüber hängt das neue Bild, das die Mama gemalt hat.“

Nicht auf das Gesicht der Herzogin oder eines der anderen Anwesenden fiel Mainau’s Blick in diesem Moment – mit einer jähen Wendung des Kopfes sah er nach der jungen Frau hin, so scheu und dabei so zornig, als sei er wüthend darüber, daß gerade sie diese kindliche Ausplauderei mit angehört habe.

„Also Du hast das Bild confiscirt, Raoul?“ rief der Hofmarschall lebhaft. „Ich hatte mir erlaubt, die Behauptung der Frau Baronin, daß sie die Skizze nicht wieder an sich genommen habe, ein wenig zu bezweifeln – um Vergebung, meine Gnädigste! Ich that Ihnen unrecht.“ Er neigte den Kopf spöttisch feierlich gegen Liane. „Nun meinetwegen – bei Dir ist es gut aufgehoben, Raoul; mag es in der Fensterecke bleiben! … Weißt Du aber auch, zu welchem Preise es die Künstlerin selbst abgeschätzt hat? .. Vierzig Thaler –“

„Ich muß Dich sehr bitten es mir zu überlassen, wie ich den Ausgleich bewerkstelligen will,“ unterbrach ihn Mainau heftig. Der alte Herr schrak ein wenig zusammen vor diesem tief verfinsterten Männergesicht – sah es doch fast aus, als wolle die festgeballte Rechte dort sich drohend heben.

Die Herzogin und ihre Hofdame saßen verständnißlos bei diesem kleinen Wortwechsel – der Hofprediger aber, der sich bis dahin vollkommen passiv verhalten, stemmte, den Oberkörper vorgebeugt, beide Hände auf die Armlehnen seines Stuhles – es war eine Stellung, so dämonisch lauernd und gespannt lauschend, als spüre er in Blick, Stimme und Geberden des schönen heftigen Mannes einem scheuen Geheimniß nach.

„Mein Gott, rege Dich nicht unnöthig auf, bester Raoul!“ beschwichtigte der Hofmarschall. „Weshalb echauffirst Du Dich denn? Ich will ja nur Gerechtigkeit.“

Mainau sah ihm ernst in das Gesicht. „Das will ich glauben Onkel – nur passirt es Dir leicht, daß Du Dich im Ausüben derselben allzusehr in der Form vergreifst. … Niemand schwört lieber auf Dein Rechtsgefühl als ich – Du bist ja der einzige noch lebende Mainau, an den ich mich halten kann mit meinem Standesbewußtsein, mit dem Stolz auf die Ehrenhaftigkeit unseres Geschlechts. … Apropos, da fällt mir ein – kann ich nicht noch einmal Einsicht in die Papiere nehmen, durch die sich Onkel Gisbert auf dem Krankenbett seiner Umgebung verständlich gemacht hat? … Ich wurde in Wolkershausen lebhaft an ihn erinnert, als ich vor seinem wundervollen Oelbild stand und zu meinem Schrecken bemerkte, daß es durch Staub und Feuchtigkeit gelitten hat und restaurirt werden muß. … Aus den Papieren spricht doch noch sein scheidender Gruß zu uns.“

„Du sollst sie haben – muß es denn sofort sein?“

„Sie sind ja wohl dort in einem der Raritätenkasten aufbewahrt?“ meinte Baron Mainau leichthin und zeigte nach dem Rococoschreibtisch. „Wenn Du die Güte haben wolltest, aufzuschließen –“

Der Hofmarschall stand schon auf seinen Füßen und stelzte bereitwillig durch den Saal. Er schloß denselben Kasten auf, in welchem das Billet der Gräfin Trachenberg lag. Mit spitzen Fingern faßte er zart das rosenfarbene Papier und zeigte es diabolisch lächelnd der Herzogin hinüber. „Schöne Erinnerungen, Hoheit – ein rosiger Duft – nichts weiter, und ist mir doch Tausende werth!“ rief er frivol auflachend und warf es in den Kasten zurück. Dann nahm er eine mit schwarzem Band umwickelte dicke Papierrolle heraus. „Hier, mein Freund!“ – Er reichte sie Mainau hin, der das Band sofort löste.

„Ah – da liegt ja die Verfügung bezüglich Gabriel’s obenauf,“ sagte Mainau, einen schmalen Papierstreifen aus dem Inneren der Rolle nehmend. „Es war ja wohl der letzte schriftliche Ausdruck seines Willens?“

„Es war sein letzter Wille,“ bestätigte der Hofmarschall unbefangen, indem er zu seinem Rollstuhl zurückkehrte.

Mainau nahm noch einige Papiere heraus und legte sie nebeneinander auf den Tisch. „Merkwürdig!“ rief er. „Diese letzte Verfügung ist nur wenige Stunden vor seinem Tode geschrieben, wie man mir sagt, und doch sind es die unverändert eigenthümlichen, krausverschlungenen Schriftzüge; selbst bis auf Punkt und Komma bleiben sie sich treu – der herannahende Tod hat keine Gewalt über die Festigkeit seiner Hand gehabt. … Und das ist gut – wie leicht könnte sonst dieses ohne gerichtliche Zeugen geschriebene Blatt angezweifelt werden.“

Die Herzogin nahm ihm neugierig den Papierstreifen aus der Hand. „Charakteristisch, aber schwer zu entziffern ist diese Hand,“ meinte sie. – „Ich bestimme den Knaben Gabriel ausdrücklich für den geistlichen Beruf – er soll im Kloster für seine tiefgefallene Mutter beten“ – las sie stockend einen der Sätze ab.

„Willst Du Dir diese interessanten letztwilligen Verfügungen eines Sterbenden nicht auch einmal ansehen, Juliane?“ wandte sich Mainau unbefangen an die junge Frau, die, ihre Hände auf die hohe Lehne gelegt, hinter einem leeren Fauteuil stand. Sie sah nicht auf zu ihm, der sie tief zu beschämen suchte. Niemand von Allen, die um den Tisch saßen, ahnte, was er bezweckte – für sie allein war jedes Wort ein gutgezielter Messerstich. Warum war sie auch so vermessen gewesen, die Hand nach dem bedeckenden Schleier auszustrecken, auf den Frau Löhn bedeutsam hingewiesen! … Mainau hielt ihr zwei Blätter hin, und sie verglich sie, ohne dieselben zu berühren, mit pflichtschuldiger Aufmerksamkeit. Es war genau eine und dieselbe Handschrift, genau ein und derselbe Schnörkel am Schlußwort – dabei waren diese Züge zu originell, zu sonderbar eigenwillig, als daß man an eine Fälschung hätte denken können, und doch –

Ein eintretender Lakai, der auf silbernem Teller Mainau eine Karte überbrachte, machte der peinlichen Situation ein Ende.

„Ach ja!“ rief der Hofmarschall und schlug sich leicht vor die Stirn; „das habe ich rein vergessen, Raoul! … Vor einer Stunde fuhr ein junger Mann vor und stieg aus dem Wagen, so selbstverständlich und ungezwungen, als beabsichtige er hier zu bleiben. … Er hat auch behauptet, auf Deinen Befehl gekommen zu sein, und wäre mir nicht das unschätzbare Glück zu Theil geworden, Ihre Hoheit begrüßen zu dürfen, dann hätte ich ihn angenommen, um zu hören, was er eigentlich will –“

„In der That dableiben, Onkel – es ist Leo’s neuer Hofmeister,“ versetzte Mainau gelassen und legte sorgfältig die Papiere aufeinander.

Der Hofmarschall bog sich vor, als höre er nicht recht. „Mein lieber Raoul, ich glaube, ich habe Dich falsch verstanden,“ sagte er langsam, jedes Wort accentuirend. „Sagtest Du wirklich: Leo’s neuer Hofmeister? … Mein Gott, sollte ich denn monatelang geschlafen haben ober fieberkrank gewesen sein, daß ich davon nichts weiß?“

Mainau’s Mundwinkel zuckten sarkastisch. „Die Veränderung hat sich durchaus nicht monatelang vorbereitet, Onkel. Der junge Mann ist mir früher schon einmal vorgeschlagen worden, und jetzt, wo ich seiner bedurfte, habe ich ihn kommen lassen. Glücklicherweise war er gerade frei und so unbehindert, daß er zwei Tage früher hier eingetroffen ist, als ich bestimmt hatte. Das ist mir

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