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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

keine heiligere Verpflichtung haben kann, als für die Gesundheit ihrer Angehörigen zu sorgen. Soll in dieser Beziehung einem Manne der Dank der Bevölkerung Wiens dargebracht werden, so gebührt dies unzweifelhaft dem hochverdienten Professor der Geologie Herrn Sueß; nicht minder haben sich die beiden technischen Chef-Leiter, die Herren Ober-Ingenieure Mihatsch und Junker, ein dauerndes, ehrenvolles Andenken dabei erworben.




Das Schmerzenskind der Breslauer.


„London hat seinen Theodor von Abessinien, einen großmächtigen Elephanten, als Beutestück des bekannten afrikanischen Feldzugs – warum sollten wir in Breslau, einem der Krystallisationspunkte des deutschen Reichs, nicht auch unseren Theodor haben? Unserem zoologischen Garten fehlt ein Elephant – also schafft auch uns einen Theodor!“ heischten die Breslauer, und mit dem hochzuverehrenden Publicum ist bekanntlich nicht zu spaßen. Ein Elephant ist aber ein kostbares Schaustück, kostbar an sich schon, noch kostbarer sein Haus, am kostbarsten sein Unterhalt. Und dann vor allen Dingen – wo einen Elephanten hernehmen? Er fand sich wider Vermuthen schnell. Unser Theodor stand im Londoner zoologischen Garten um den Preis von dreitausend Thalern feil, zwölf Jahre alt, acht Fuß hoch, kerngesund, zugeritten. Nunmehr drängte die nackte Frage: „Wie das Heidengeld zu beschaffen?“ Man verfiel auf den nicht mehr ungewöhnlichen Weg, das Geld durch eine Lotterie aufzubringen. Die Idee wirkte elektrisirend, zündend. Von allen Seiten strömten Gewinne herbei, und in wenigen Wochen schon baute sich ein Bazar auf, bunt und reich. Auch für den Futteretat des Elephanten war gesorgt. Ich schiffte mich nach London ein, um das Thier zu mustern, erreichte aber mein Ziel, in Folge einer höchst unerquicklichen Verzögerung durch Sturm und Wetter, sehr verspätet.

In London angekommen, fand ich den Elephanten schön, fromm und sogar zugeritten. Natürlich konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, mich auf seinem Rücken durch den Garten tragen zu lassen, und bedauerte dabei nur, endlich doch wieder absteigen zu müssen. Am liebsten, wenn nicht ein Stückchen Ocean dazwischen gelegen, würde ich meinen Weg gen Breslau fortgesetzt haben. Bis dahin hatte ich niemals Gelegenheit zu einem Elephantenritte gehabt. Einmal nur versuchte ich neben einem Elephantenreiter einherzuschreiten, mußte aber wirklich traben, um nur dem gemächlichen Schritte des allerdings kolossalen Thieres folgen zu können. Bischof Heber schildert die Bewegung des Thieres als gar nicht so unangenehm, obschon von der eines Pferdes sehr verschieden. Beide Beine einer Seite heben sich nämlich gleichzeitig, und so entsteht das Gefühl, als ob man auf den Schultern eines Mannes getragen würde. Ein anderer englischer Reisender, Williamson, dagegen fand die Arbeit auf einem Elephanten zu reiten höchst unbehaglich, widerlich, sogar peinlich und schier ermüdend, zumal wenn es Tagereisen gilt. Gerade die größten Elephanten schienen ihm die schlechtesten Reitthiere. Ich für meinen Theil fand die Schenkelbewegung recht angenehm, doch will ich nicht in Abrede stellen, daß bei größerer Schnelligkeit und längerer Dauer schließlich doch eine Anwandelung wie Seekrankheit hätte erfolgen können.

Kleine Elephanten kann man mit Sattel und Steigbügel reiten. Gewöhnlich bedeckt man den Rücken des Thieres mit einem Kissen oder sicherer mit einem Armsessel, in London sogar zweiseitig zur Aufnahme mehrerer, vier bis sechs Personen. Beim Aufsteigen wird das Thier knieend oder mittelst Leiter bemannt. Ebenso wird das Absteigen ermöglicht, falls man nicht vorzieht, nach Art der Eingeborenen, sich mittelst Tau herunterzulassen. Sämmtliche Elephanten des Londoner Thiergartens – damals deren vier – sind zugeritten und an großen Tagen sämmtlich in Thätigkeit. In keinem anderen Thiergarten Europas kennt man dieses Vergnügen, obgleich einige derselben mehr als einen Elephanten besitzen. So ohne Weiteres läßt sich das Thier freilich nicht besteigen. Auch ihm muß das angelernt werden. Beim indischen Elephanten, dessen Ahnen seit Jahrtausenden schon im Dienste des Menschen stehen, mag das etwas leichter sein. Der Afrikaner, der uns sein Lebenlang nur als Elfenbeinjäger kennen gelernt hat, gebehrdet sich etwas widerwilliger, nimmt aber schließlich doch Lehre an, ganz der vielgerühmten Intelligenz seines Geschlechtes entsprechend. Die indischen Elephanten gelten obendrein als begabter, und unter ihnen werden die Ceyloneser wieder als besonders brauchbar zu Menschendiensten geschätzt. Unser Theodor rühmt sich, seine Heimstätte auf jener Insel zu haben. Möglich wohl, daß die größere Entwickelung der geistigen Fähigkeiten lediglich durch den langdauernden anregenden Verkehr mit Menschen bedingt worden ist, möglich auch, daß der indische Elephant in seinem Abhängigkeitsgefühle gleichsam sich ohne Mißtrauen ganz in der Weise giebt, wie er es von Natur aus ist, friedlich, zuthulich, anstellig. Jung ist das Thier natürlich leichter zu gewinnen und zu gewöhnen. Doch in Indien werden selbst erwachsene Elephanten unschwer gezähmt, zumal sie unter bereits gesittete Genossen gerathen. Immerhin aber rechnet man fünf bis sechs Monate recht sorgfältige Arbeit, bis daß der Wildling auf den Wink parirt. In Europa zieht man indische Elephanten zur Abrichtung vor und zwar weibliche Thiere, weil diese für gelehriger gelten als die männlichen. Im Londoner Thiergarten werden die Elephanten ohne Unterschied der Nationalität zum Reiten benutzt, und aus neuester Zeit sei nur an den prächtig dressirten Elephanten Broeckman’s erinnert, der von Afrika stammt.

Unser Theodor hatte die beste Schule in London genossen, und bei der Aussicht in unserem Garten Gelegenheit zu einem Elephantenritte zu haben jubelte unsere Jugend laut auf. Jeder gelobte sich, fernerhin nie mehr unsere Reitesel, ja kaum die prächtigen bis dahin so sehr beliebten Shetlands-Ponies zu beachten. Schließlich mußte ein Machtspruch gethan und solch romantischer Ritt nur als Belohnung für recht artige, recht fleißige Kinder in Aussicht gestellt werden. Censur Nr. 3 reitet Esel (unter 3 aber rücklings den Schwanz in der Hand), Nr. 2 trabt auf dem Pony und Nr. 1 schaukelt sich als mongolischer Khan auf dem Rücken unseres Elephanten. Der Anblick des imposanten Thieres, hochbeladen mit sechs bis acht Kindern, klein und groß, einem wandelnden Berge, oder wie Aelian sagt, einer Wetterwolke gleich, gelassen an uns vorüberziehend, wirkt geradezu elektrisirend. Dicht neben ihm schrumpft der Beschauer zum Zwerge zusammen. Wirksamer kann keines der Thiere unserer zoologischen Gärten zur Geltung gebracht werden als ein frei sich bewegender, zwischen dem Publicum durchschwankender Elephant.

Der Wärter des Londoner Gartens, der das Thier zu begleiten hatte, war gewonnen, auch wegen Ueberfahrt und Unterkunft des Elephanten mit der Dampfschiffs-Gesellschaft verhandelt worden. Alles in Ordnung. Da kam ein Hinderniß von unerwarteter Seite. Die englische Hausfrau ließ ihren Gatten nicht ziehen, und anderen Tages erklärte mir der Mann ganz entschieden, daß er dem nicht zuwiderhandeln könnte, außer auf Befehl des Directoriums. Die verlockendsten Versprechungen fruchteten nicht. Gezwungen konnte er zu dem immerhin bedenklichen, wenigstens ganz unberechenbaren Transporte keinesfalls werden, und der directe Befehl dazu schloß selbstverständlich ein, daß im Falle eines den Mann treffenden Ungemachs für die ganze Familie zu sorgen sei und zwar nach englischem Pfundfuße. Jedenfalls war aber auch der Mann auf Einflüsterung seiner Collegen und seiner wohl rechnenden Ehehälfte zu der Ueberzeugung gekommen, daß es der allerdümmste Streich gewesen wäre, den er sich jemals zu Schulden kommen lassen konnte, zur Entfernung dieses um seiner Intelligenz willen bei dem Publicum äußerst beliebten und darum für des Kornaks Tasche höchst einträglichen Thieres seinerseits bereite Hand zu bieten. Neben dem Wärter hatte ja auch unser Theodor Sitz und Stimme, und der war schlechterdings nicht von seiner altgewohnten Heimstätte wegzubringen, nicht einmal mit Hülfe des Kornaks, unbedingt aber ganz und gar nicht ohne denselben.

Nachdem das Thier zehn Jahre seines Lebens im dortigen Garten und zwar stets in Gesellschaft mehrerer Genossen zugebracht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 216. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_216.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)