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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Mit Hassan beim Scheikh Ali.


Ich hatte den Schakal in den Bergen des Mokattam gejagt und kehrte, von der Sonne durchglüht, nach Cairo zurück.

„Was war das Resultat Ihrer Jagd?“

„Haben Sie viel Wild gesehen?“

„Lohnt es sich der Mühe, bei so erschlaffender Hitze Berg auf und ab zu laufen?“ – so drangen meine Bekannten in mich, als ich in den Garten meines heimathlichen Hôtel du Nile trat und die Flinte von der Schulter nahm, deren Last die ungeduldigen Frager lachend prüften. Ich kam ihnen, gering gesagt, thöricht vor. Bei so viel Hitze auf die kahlen Berge zu laufen und ein beschauliches Leben unter den Palmen des Gartens zu vermeiden, wo Gaukler, Schlangenbändiger, Verkäufer in bunter Tracht ihre sonderbaren Thiere und Künste zeigten und ihre prächtigen Waaren anpriesen – dazu gehörte nach Ansicht der kaffeeschlürfenden Schlaraffen allerdings ein gewisser Grad von Wahnsinn. Ich stand ihnen Rede und Antwort, aber schwieg von den Reizen der Natur, von dem weiten Blicke über das grüne Nilthal zu den Pyramiden hinüber, von den weißen Minarets Cairos, die aus Palmen und Sykomoren schauten – das verstand man nicht.

In der Nähe der Herren, mit denen ich sprach, standen mehrere Araber, die sich als Dragomanen für eine Fahrt auf dem Nile den Fremden erboten. Der Jagdanzug, den ich trug, und die Flinte erregte ihre Aufmerksamkeit.

„Mein Herr,“ redete mich Einer von ihnen französisch an, als ich mich nach meinem Zimmer begab, „Sie sind ohne Führer zur Jagd gegangen und haben nichts erlegt; ich biete Ihnen meine Dienste an. Sie sollen mit mir zufrieden sein.“

„Mein Herr, ich garantire Ihnen ein halbes Dutzend Schakals, wenn Sie mit mir gehen,“ sagte ein Anderer.

„Und ich,“ flüsterte mir ein Dritter zu, als ich meine Thür aufschloß, „bringe Sie binnen heute und drei Tagen auf eine Hyäne zu Schuß.“

Das ließ sich hören. Ich betrachtete den kühnen Sprecher näher und nahm ihn zu weiterer Verabredung in mein Zimmer mit. Es war ein kleiner brauner Kerl mit ungeheurem Schnurrbarte und großer Nase – ein neuer Louis Napoleon, nur fehlten ihm die freundlichen Augen und die großen Stiefel; dafür hatte er einen katzenartigen, lauernden Blick und ein Paar elegante englische Jagdgamaschen, die in absolutem Widerspruch zu seiner syrischen Tracht standen.

„Wie heißt Du, mein Freund?“ redete ich ihn an.

„Hassan nennt man mich, und ganz Aegypten bis hin zum blassen Nil und dem Sudan kennt meinen Namen,“ lautete die bescheidene Antwort.

„Das genügt mir, wenn es wahr ist. Doch was mache ich mit Dir, wenn ich innerhalb dreier Tage keine Hyäne geschossen habe?“

„Sie krümmen mir kein Haar, denn Sie haben entweder vorbei geschossen oder werden am vierten Tage zum Ziele gelangen.“

Gegen die Logik des ersten Satzes hatte ich nichts einzuwenden, die des zweiten war überraschend. Doch genug. Hassan sollte mein Führer werden. Ich traute auf mein gutes Glück und das schlaue Gesicht des Arabers. Ich erklärte bei Besprechung der Ausrüstung Zelte und Koch für überflüssig. Die Dauer der Abwesenheit von Cairo schien mir zu gering, um große Umstände zu machen. Nur Gesellschaft fehlte mir, und die führte mein guter Stern mir bald zu.

Ein stolzer junger Spanier, Marquis C., den ich unlängst hatte kennen lernen und der mir Löwenjagden in Algier erzählte, schloß sich mit Vergnügen der Partie an. Im Selbstgefühl seiner jugendliche Kräfte hielt auch er Alles für überflüssig, was irgend zur Bequemlichkeit beitragen konnte, und baute darauf, daß seine genaue Kenntniß der arabischen Sprache uns Thür, Bett und Küche jeder ägyptischen Häuslichkeit öffnen würde. – An die Wüste dachte der gute Junge nicht. Unsere Ausrüstung bestand schließlich aus Büchse, Munition, einer großen algerischen Decke und einer Zahnbürste, welch letztere Hassan als zur Jagd für vollkommen unbrauchbar erklärte.

Am Morgen des nächsten Tages begaben wir uns zur Eisenbahnstation in Boulak, um nach der Stadt Fayûm zu fahren, die wir zum Ausgangspunkt unserer Excursionen erkoren hatten. Nach zweistündigen Warten langte endlich der Zug an, und eine Rücksprache mit dem Locomotivführer, begleitet von dem unvermeidlichen „Bakhschisch“ (Trinkgeld), brachte den Zug in eine möglichst beschleunigte Gangart. Schon auf der nächsten Station wurde drei Stunden auf einen Pascha gewartet. Der Stationschef warf auf unsere dringende Bitte um Beförderung einfach den Kopf zurück und blieb bei seinem rauhen „la“ (Nein).

Also Geduld. Die Klänge eines Saiteninstruments lockten uns nach einem Palmwäldchen am Nil. Ein Araber präludirte und sang in seinen Gutturaltönen ein Liebeslied. Als Zuhörer figurirten Kinder, die mit Jubel die obscönen Scenen des Liedes begrüßten. Taubenschwärme zogen uns von der Scene ab, und eine besondere Kiebitzart, von der uns Hassan erzählte, daß sie im Rachen des Krokodils Käfer und Maden fräßen und sich vermittelst ihrer eigenthümlichen Haken am oberste Gelenk der Flügel den Ausgang erzwängen, wenn sich etwa einmal der große Rachen schließen sollte, ließ uns für eine Weile die Langeweile vergessen. Wir erlegten einige der seltsamen hübschen Thiere und ergötzten uns an der Gewandtheit, mit der junge Araber die geschossenen Vögel aus dem Nil holten.

Laute Klagetöne führten uns nach dem kleinen Stationsgebäude zurück. Der Herr Stationschef ließ einem armen Eisenbahnarbeiter, der wenig oder gar nichts begangen hatte, die Bastonade geben. Der absolute Herrscher dieses Gebietes war jedoch liebenswürdig genug, auf unsere drohende Einrede die weitere Ausführung der Execution fallen zu lassen. Das waren die Ereignisse bis zur Ankunft des Paschas und dem Abgange des Zuges.

Der hohe Herr setzte sich zu uns in’s Coupé und verzehrte, durchdrungen von der Würde seiner Erscheinung, ein Stück Hammelbraten, während er die Finger an den Polstern der Bänke reinigte. Die Gegend wurde mehr und mehr einförmig, bis die Bahn einen Theil der Wüste durchschneidet. Hier sahen wir in der Entfernung aufgescheuchte Gazellen flüchten. Ein Wolf, der ganz in der Nähe des Dammes in einer Grube sein Mittagsschläfchen hielt und der beim Herrannahen des Zuges mit allen Geberden der Furcht das Weite suchte, ließ unsere Jagdpassion in hellen Flammen auflodern.

Endlich am Abend langten wir in Fayûm an. Die Stadt liegt, umgeben von Wasser, in sumpfiger Gegend. Prächtige Sykomoren beschatten das Eingangsthor, und der eigenthümliche Charakter desselben lieferte die besten Studien für mein Skizzenbuch.

„Wo schlafen wir?“ fragte ich Hassan, der sich als aufmerksamer, wenn auch sehr redseliger Führer zu documentiren schien.

„In einem Hause auf weichen Strohmatten, bei sprudelndem Wasser, Ihr Herren, und Allah wird Euch milden Schlaf geben,“ lautete die vielversprechende Antwort.

Das Haus war eine verlassene, halb eingestürzte Lehmhütte; die weichen Strohmatten waren nur stückweise vorhanden; der Quell bestand aus einer Cisterne mit verfaultem Wasser, und den milden Schlaf verwandelte Allah durch großes und kleines Ungeziefer, vom tückischen Scorpion bis zum heiteren Floh, zu einer Hölle, deren Qualen nur durch die Aussicht auf Erlösung am kommenden Morgen zu ertragen waren. – Laß dir deine Illusionen nicht rauben, poetisches Volk!

Früh wurde aufgebrochen. Ein weißhaariger Araber, der von den Fayûmer Bürgern angestellt war, Raubthiere in den Gemeindepflanzungen zu tödten, und durch die an seinem Leibgurt befestigten Hyänen- und Wolfsohren, freilich vergeblich, darzuthun versuchte, daß er mit seinem alten verrosteten Feuerschloßgewehre die Thiere erlegt habe, schloß sich auf unsern Wunsch als Führer der Partie an. Unsere Behauptung, die Scalpe gehörten räudigen crepirten Hunden an, wies er mit Entrüstung zurück, und sein Zorn war um so gewaltiger, als er seine Lügen von Ungläubigen durchschaut sah.

Beförderungsmittel waren kleine magere Esel, die jedoch im Gegensatze zu den unserigen munter trabten und selbst ohne

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_226.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)