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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

„Herr Hofmarschall, ich muß Sie dringend bitten, vorläufig noch zu schweigen,“ rief der Hofprediger in seltsam gebietendem, halbem Flüsterton, dem man aber doch die Angst anhörte.

Aber da stand Mainau schon auf der Schwelle. „Soll ich’s nicht wissen, Hochwürden?“ fragte er schneidend – sein scharfes, argwöhnisches Ohr hatte den Zuruf erfangen. Durchbohrend glitt sein flammender Blick von dem Geistlichen hinweg auf das Gesicht der jungen Frau. „Ein Geheimniß also – ein Geheimniß zwischen dem Herrn Hofprediger und – meiner Frau, das Du nicht verrathen sollst, Onkel?“ setzte er mit langsamem Nachdruck hinzu. „Ich muß gestehen, das könnte mich lebhaft interessiren. Ein Geheimniß zwischen einem streng katholischen Priester und einer ‚Ketzerin‘ – wie pikant! … Rathe ich recht, interessante Bekehrungsversuche, Onkel?“

„Denke nicht d’ran, Raoul – unser Hofprediger ist viel zu klug und verstandesüberlegen, um sich nicht zu sagen, daß da Hopfen und Malz verloren ist – die Frau Baronin ist ja nicht einmal protestantisch. … Nein, mein Freund, das Geheimniß gehört der Gnädigen ganz allein, und der Hofprediger, der es unfreiwillig belauscht, ist so ritterlich und christlich, sie nicht compromittiren zu wollen. … Auch ich würde geschwiegen haben – mein Gott, man ist und bleibt ja doch Cavalier – aber was soll ich Dir nun sagen? Mein Kopf ist viel zu unbeholfen und auch zu alt, um rasch ein Märchen zu erfinden –“

„Zur Sache, Onkel!“ rief Mainau mit harter, gepreßter Stimme – sein Gesicht mit den krampfhaft nach innen gezogenen Lippen und den wie im Fieber glimmenden Augen war furchtbar anzusehen.

„Nun ja doch – es ist rasch erzählt. Du hast den Schlüssel am Schreibtisch stecken lassen, just an dem Kasten, in welchem der Brief der Gräfin Trachenberg lag. Ich muß mich freilich anklagen, die Frau Baronin allzuhäufig mit dem kleinen, interessanten Actenstück geneckt zu haben, und da hat sie wohl gemeint, es sei doch besser, wenn es eines schönen Tages für immer verschwinde. … Sie war allein hier im Salon, hat den günstigen Zufall benutzt und meinen kleinen Liebling, das hübsche, rosenrothe Briefchen in – das Kaminfeuer geworfen – eh, was sagst Du dazu? … Es war nur sehr fatal, daß ich kurz vorher das Fehlen des Schlüssels bemerken mußte – der Herr Hofprediger erbot sich, ihn zu holen, und so hat ihn seine Gefälligkeit zum unfreiwilligen Zeugen des Autodafés gemacht. Als ich, über sein allzulanges Ausbleiben beunruhigt, hier plötzlich eintrat, da stand mein verehrter Freund in sichtlicher Bestürzung noch am Kamin, und die Frau Baronin machte zu spät den Versuch, vor mir zu fliehen. … Sieh’ hin! Das offene Schubfach sagt genug.“

Die junge Frau, die den kommenden Sturm nun völlig entfesselt auf sich losstürzen sah, ließ jetzt das Taschentuch sinken, das sie an ihre Lippen gepreßt hatte, und trat mit entfärbtem, fast wachsweißem Gesichte ihrem Mann einen Schritt näher.

„Lasse das, Juliane!“ sagte er kalt wie Eis, indem er zurückwich und die Rechte, Schweigen gebietend, erhob. „Der Onkel beurtheilt die Sachlage von seinem vorurtheilsvollen kurzen Gesichtspunkte aus – Du hast das Papier nicht berührt – ich weiß es, und wehe dem, der es wagt, diese gemeine Beschuldigung zu wiederholen! … Dagegen muß ich mein Befremden aussprechen, Dich zu dieser Zeit hier zu sehen –“

„Aha – wir gehen von ein und demselben Punkte aus,“ lachte der Hofmarschall kurz auf.

„Die Theestunde ist noch fern –“ fuhr Mainau fort, ohne den Einwurf zu beachten – „bei dieser armseligen Beleuchtung kannst Du unmöglich gestickt haben – ich sehe auch weder Deinen Arbeitskorb, noch ein Buch, das auf irgendeine Beschäftigung schließen ließe – Du bist ferner stets die Erste, die geht und sich in ihre Appartements zurückzieht, und die Letzte beim Wiedererscheinen Aller. Ich wiederhole, aus allen diesen Gründen befremdet mich Deine Anwesenheit hier höchlichst, und ich kann sie mir nur so erklären: Es ist irgend eine Aufforderung an Dich ergangen, hierher zu kommen, und – Du bist ihr gefolgt. Juliane – der Vogel hat also doch den Kopf in die Schlinge gesteckt, und ich gebe ihn verloren, unrettbar verloren. Du bist an die Hand gefesselt, die, sicher ohne Deine Billigung und wohl auch zu Deinem eigenen Schrecken Dir den Liebesdienst erwiesen hat, den compromittirenden Brief zu verbrennen. … Gefallen bist Du noch nicht, aber verloren dennoch – warum bist Du gekommen!“

„Was soll denn das heißen, Raoul? Was sprichst Du da für tolles Zeug?“ rief der Hofmarschall ganz verblüfft.

Mainau lachte auf so bitter und so schallend, daß es von den Wänden wiedergellte. „Lasse Dir’s vom Herrn Hofprediger übersetzen, Onkel! – Er hat so lange die fetten Karpfen in das große römische Fischernetz getrieben, daß es ihm nicht zu verdenken ist, wenn er auch einmal auf eigene Faust fischt und ein schönes, schlankes Goldfischlein für sich behalten will. … Hochwürden, Ihr heiliger Orden leugnet zwar in neuester Zeit den oft citirten Grundsatz ‚der Zweck heiligt die Mittel.‘ Möglich, daß er aus Vorsicht niemals niedergeschrieben worden ist – desto energischer wirkt er als zugeflüstertes Losungswort, und ich mache Ihnen mein Compliment darüber, wie Sie diese kostbare Abfindung mit dem Gewissen auch im Privatinteresse zu verwerthen wissen – oder sollen wirklich die schönen Lippen dort lediglich den Rosenkranz beten?“

„Ich muß gestehen, ich weiß nicht, was Sie damit sagen wollen, Herr Baron,“ versetzte der Hofprediger vollkommen unbefangen. Er hatte Zeit gefunden, eine imponirend ruhige, ja herausfordernde Haltung anzunehmen, wenn auch die rachefunkelnden Augen in dem fahlgewordenen Gesicht durchaus nicht auf inneren Gleichmuth schließen ließen.

„Possen – ich verstehe absolut nicht, wo Du hinaus willst, Raoul,“ sagte der alte Herr, ungeduldig auf seinem Stuhl hin- und herrückend.

„Ich weiß es, Mainau,“ murmelte die junge Frau wie vernichtet – dann streckte sie plötzlich mit einer stummen Geberde die Arme gegen den Himmel – ihr war, als stürze mit der Erkenntniß verzehrendes Feuer auf sie herab.

„Komödie!“ sagte der Hofmarschall mit seiner schnarrenden Stimme und wandte indignirt den Kopf auf die Seite – aber der Hofprediger trat mit dröhnenden Schritten vor ihn hin.

„Versündigen Sie sich nicht, Herr Hofmarschall!“ warnte er streng und gebieterisch. „Diese arme, gequälte junge Dame steht unter meinem Schutze. Ich leide nicht, daß man die himmlische Reinheit ihrer Seele –“

„Kein Wort weiter, Herr Hofprediger!“ rief Liane empört mit flammenden Augen. „Sie wissen doch, daß ich mich ‚mit einer einzigen Wendung meines Hauptes über das Gesindel stelle, das in den Staub gehört –‘ Sie wissen, daß ich ‚hochmüthig bin, wie kaum eine aristokratisch Geborene, die Fürstenblut in ihren Adern weiß‘ – Ihre eigenen Worte von vorhin, Herr Hofprediger! – Und dennoch wagen Sie es, unaufgefordert sich zu meinem Vertheidiger aufzuwerfen? Sagen Sie sich nicht selbst, daß die Gräfin Trachenberg eine solche Aufdringlichkeit nicht duldet, sondern gebührend zurückweist? … Da steht der Schauspieler, der Komödiant ohne Gleichen, Herr Hofmarschall!“ – sie streckte die Hand gegen den Geistlichen aus – „Werden Sie mit ihm fertig – lassen Sie sich von ihm die Vorgänge hier im Salon erklären, wie es ihm und Ihnen am bequemsten ist! Ich halte es für verlorene Mühe und auch meiner selbst nicht würdig, Ihnen gegenüber zu meiner Vertheidigung auch nur die Lippen zu öffnen.“

Sie wandte sich rasch ab und blieb vor ihrem Manne stehen – sie standen Auge in Auge. „Ich gehe, Mainau,“ sagte sie – so energisch und fest sie eben noch gesprochen, jetzt mischte sich eine Art von Schluchzen in die Töne. „Vor wenig Tagen noch hätte ich Schönwerth verlassen können, ohne auch Dir gegenüber ein Wort zu meiner Ehrenrettung zu verlieren – heute ist das anders – seit ich einen tieferen Blick in Deinen Geist gethan, bin ich ihm näher getreten; ich achte ihn, wenn ich mich auch in diesem Augenblicke wieder zu meinem Schmerze überzeugen muß, wie schwach und verblendet Du sein kannst, und wie vergiftet Deine Anschauungsweise ist, daß Du nicht mehr an den Abscheu vor der Sünde in der Seele Anderer zu glauben vermagst. … Ich selbst kann Dir freilich den wahren Sachverhalt weder sagen noch schreiben – aber ich habe ja Geschwister – durch sie sollst Du von mir hören.“

Sie schritt durch den Saal nach dem Ausgange.

„Um Gotteswillen, keinen Scandal, Raoul! – Du wirst doch dieser abgefeimten Intriguantin nicht glauben? – Bei dem Andenken Deines Vaters beschwöre ich Dich, lasse Dich nicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 237. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_237.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)