Seite:Die Gartenlaube (1874) 275.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Verlangen nach dem „großen magyarischen Nationalstaat“ war der Quell geworden, aus welchem sich in übersteigender Hast Gesetze, Einrichtungen und Unternehmungen ergossen, welche Ungarns übrige Völkerschaften bis zum Grunde aufwühlten und bei keiner einzigen nur den Schimmer einer Befriedigung erreichten.

Auf Seiten der Hunderttausende in Ungarn zerstreut wohnender, unter die übrigen Bevölkerungen gemischter Deutscher – oft der Mehrzahl großer Stadt- und Dorfgemeinden – hat freilich bisher das mit allen Mitteln der Regierungsgewalt betriebene Entnationalisirungswerk eine thatkräftige Gegenwehr nicht finden können. Nicht Wenige dieser Deutschen haben sogar durch liebedienerisches Ueberlaufen in das Lager der herrschenden Macht ihren Vortheil wahrzunehmen gewußt, spielen mit oder ohne Geschick die Rolle der heißspornigen Magyaren und beißen eine wüthige Deutschenfresserei heraus, ohne sich daran zu kehren, daß sie wegen dieser ehrlosen und vielfach sehr lächerlichen Verleugnung ihrer Abkunft der Verachtung preisgegeben und ihre magyarisirten Familiennamen – denn so weit geht die Erbärmlichkeit dieser Renegaten – wiederholt an den Schandpfahl geschlagen wurden. Ein anderer Theil hat allerdings den Wünschen und Forderungen der neuen Oberherren nicht eine so entgegenkommende Fügsamkeit gezeigt; er leistet vielmehr eine Art passiven und grollenden Widerstandes, der sich zuwartend verhält, aber den Fortschritt der Unterdrückung nicht hindern kann. Ein zusammenhangslos über ein ganzes Land sich verbreitendes Volkselement, mag es durch seine Zahl und seine höhere Cultur immerhin die gerechtesten Ansprüche besitzen, wird doch nur selten im Stande sein, den feindselig auf seine Vernichtung ausgehenden Maßregeln eines regierenden Stammes mit irgend einem durchgreifenden Erfolge Trotz zu bieten. War bisher in Ungarn von einer tapfern Gegenwehr des Deutschthums die Rede, so fand sich dieselbe nur bei der sogenannten „Sächsischen Nation“, jenen zweimalhunderttausend Sachsen Siebenbürgens, die hier, verbunden durch ein fest organisirtes Gemeinwesen, auf einem und demselben Territorium beieinander leben. Hat jemals ein der Heimath entrückter Stamm in vollständig fremder Umgebung die unzerstörbare Kraft seines Volksthums offenbart, so ist es Seitens dieser Deutschen im entlegensten Lande der österreichischen Monarchie, an dem äußersten Endpunkte der europäischen Civilisation geschehen. Vor sechshundert Jahren haben ihre Väter als friedliche Colonisten auf dem fernen Boden sich angesiedelt, und sechs Jahrhunderte hindurch haben alle ihre weiteren Geschlechter, oft genug von wilden Kämpfen umwogt, die von den Vätern ihnen gegründete Heimath als eine stolze Heim- und Pflanzstätte deutscher Cultur und Bildung, deutscher Sprache, Sitte und Sittlichkeit mit einer Ausdauer ohne Gleichen zu behaupten gewußt.

Von deutschen Reisenden, welche in jene Gegenden gekommen und sich hier plötzlich in deutsche Städte und Dörfer versetzt sahen, von deutschem Laut und Wesen sich angeheimelt fühlten, ist uns der überraschende Zauber dieses Eindruckes inmitten einer rumänischen Welt, sowie die ergreifende und schicksalsreiche Geschichte des wunderbar zäh seine Eigenart bewahrenden Völkchens längst in den wärmsten Farben geschildert worden. Seinem Ackerbau und seinem emsigen Landwirthschaftsbetriebe, seinem rüstigen und rührigen Gewerbfleiße, dem verständigen und gesitteten Ernste seines Charakters ist der behagliche Wohlstand des wahrhaft „prangenden“ Gebietes zu danken, und auf diesem Gebiete streuen vortreffliche deutsche Volks- und Mittelschulen, sowie höhere Lehranstalten den Samen geistiger Erweckung aus, ertönt in den Kirchen aus meistens freisinnigem Munde das deutsche Predigtwort, spricht eine wohlgeleitete Presse in reinem und schönem Deutsch zu einer Bevölkerung, deren gebildete Classen ihr Wissen und ihr Geistesleben durch einen innigen und regen Zusammenhang mit den Bewegungen der deutschen Literatur, der deutschen Wissenschaft und Kunst in frischer Strömung zu erhalten suchen. Niemals haben die deutschen Männer und Frauen, Jünglinge und Jungfrauen Siebenbürgens aufgehört, sich mit nachdrücklichem Stolze als Deutsche zu bekennen; das Bewußtsein ihrer Abkunft ist ihnen keine bloße geschichtliche Erinnerung, es ist der lebendige Kern ihres Daseins, die innerste Richtschnur ihres Denkens und Fühlens geblieben. Als es sich im Jahre 1870 für Deutschland um Sein oder Nichtsein handelte, da merkten wir die ganze Innigkeit der Wärme, mit welcher dort fern an den Karpathen ein längst versprengter Theil der deutschen Volksfamilie ob der uns drohenden Gefahren bangte und jubelnd das Hochgefühl der Rettung mit uns theilte wie einen Sieg der eigenen Sache.

Irgend ein verständiger politischer Grund, der eine Staatsregierung veranlassen könnte, den Frieden dieses Menschenhäufleins durch einen Angriff auf ihre nationale Besonderheit zu stören, irgend ein Nutzen, der aus solchem Angriffe dem Bestande und dem Wohle des Gesammtlandes erwachsen sollte, läßt sich bei ruhiger und unbefangener Erwägung der Verhältnisse nicht finden. Die Siebenbürger Sachsen sind kein Staat im Staate, treu dem Boden anhängend, auf dem sie wohnen, sind sie seit Menschengedenken hingebend treue Bürger des Reiches, zu dem sie gehören, mit dem sie durch Bande der Liebe, der Gewohnheit und der Interessen verwachsen sind. Ihre Geschichte verzeichnet manche That der Nothwehr, aber keine That der Auflehnung oder Feindseligkeit gegen Oesterreich und Ungarn. Wie sie heute anerkannt die pünktlichsten Steuerzahler, die pflichtgetreuesten Patrioten sind, sind sie auch stets mit Herz und Hand opfervoll und aus ureigenem Eifer dabei gewesen, wo es das Gesammtland zu vertheidigen, seine Freiheit zu erringen, sein Wohl zu fördern galt. Verlangen sie also Selbstständigkeit, so ist es eine wesentlich ideale und besteht nur in der Wahrung innerer Güter: unbeschränkt wollen sie das Recht behalten, Deutsche zu bleiben in Sprache und Bildung, Sitte und Cultur, wollen sie weiter innerhalb des Staates gleichsam eine einheitliche Familie, eine zu Culturzwecken vereinigte Gemeinschaft bleiben, wollen sie die freie Verfügung über ihr althergebrachtes, in Stiftungen bestehendes gemeinsames Privateigenthum, das sächsische Nationalvermögen behalten, mit dem sie bisher die Kosten ihres blühenden Schul- und Bildungswesens gedeckt haben. Alle diese natürlichen Rechte sind ihnen denn auch früher nicht bestritten, sondern in zahllosen Urkunden ausdrücklich verbrieft, durch Gesetze, Verträge und Krönungseide gewährleistet, auch bei dem Ausgleiche des Jahres 1867 von Neuem feierlich bewilligt worden. Nüchterne und tiefer blickende Staatsmänner haben stets erkannt, daß der Staat von der sorgfältigen Erhaltung eines so edeln Gemeinwesens, eines solchen Cultureinflusses inmitten halbbarbarischer Umgebungen nur Vortheil, aber keinerlei Schaden hat. Nur die Magyaren verschließen sich dieser Einsicht, und von welcher Seite man ihr Verhalten auch betrachten mag, es läßt sich für dasselbe kein anderer Grund erkennen, als eben die Verblendung des zur Leidenschaft gewordenen Nationaldünkels, ein engherziger Widerwille gegen alles fremde Verdienst, der eingefleischte National- und Deutschenhaß. Seitdem die Magyaren an’s Ruder gekommen, ist ihnen das selbstbewußte Deutschthum Siebenbürgens ein Dorn im Auge, haben sie ihm den Strick immer fester um den Hals gelegt, so daß es in den letzten Jahren nur eine Frage der Zeit war, wann der Henker die in seinen Händen befindliche Schlinge anziehen und seine Vernichtungsarbeit vollbringen würde.

Dieser Augenblick scheint jetzt gekommen zu sein, und wenn die Magyaren in ihren gegenwärtig so schweren Wirrsalen zu einer so gänzlich unnöthigen, so weit von ihren wichtigsten Lebensfragen ablenkenden und die Verwirrungen nur vermehrenden Grausamkeit sich entschlossen haben, so zeigt das am besten, daß es hier nicht um ein Resultat besonnenen Ueberlegens sich handelt, sondern um die Befriedigung eines stürmischen und blinden Verlangens, die unwiderstehlich treibende Macht einer fixen Idee. Vielleicht rechneten sie auch darauf, daß gerade bei den heute so vielfachen Erregungen der europäischen Völker die Erdrosselung da draußen im fernen Winkel ganz in der Stille und ohne alles Aufsehen vollführt werden könnte und die Welt dann nachher der vollendeten Thatsache eine sonderliche Beachtung nicht schenken würde. Um aber das Urtheil des befreundeten Deutschlands schon im Voraus gegen das etwa herüberdringende Geschrei der Mißhandelten unempfänglich zu machen, wurden von Ungarn aus sogenannte aufklärende Artikel in die liberale deutsche Presse gespielt, welche den Sachverhalt beschönigen und das schnöde Attentat mit einem Walde großer Redensarten umhüllen sollte.

Darin aber hatten die diplomatischen Herren in Pest sich geirrt. Die Zeit der heimlichen Unterdrückungen ist vorüber, und wenn man heut in Europa Gewaltthat und Rechtsbruch verüben will, so muß man sich wenigstens darauf gefaßt machen, seinen Namen fortan mit einem unsterblichen Flecken behaftet zu sehen. Ob die Magyaren den traurigen Act ausführen werden, steht noch dahin; daß sie es wollen, ist unzweifelhaft. Man

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 275. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_275.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)