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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

durfte sie kaum ansehen, geschweige denn anreden, wenn sie wie ein kleines Kind durch die Schloßgänge lief und ihr Reh nachzerrte und sich von ihrem Schatze nicht haschen ließ, und wenn er wie toll hinterdrein brauste, bis sie sich auf einmal wie ein flinkes Bachstelzchen schwenkte und husch mit beiden Armen an seinem Halse hing – da mußte ich manchmal die Zähne zusammenbeißen, um nicht hinzulaufen und das federleichte Ding im rothen Jäckchen und Florkleidchen vor Liebe zwischen meinen groben Händen zu zerdrücken. Sehen Sie sie doch an! So was Wunderschönes sieht die Welt so bald nicht wieder.“

Jetzt brach ihre Stimme; sie stand auf und schob ordnend wie eine zärtlich stolze Mutter an den schweren, schwarzblauen Flechten, die zu beiden Seiten der leise verathmenden Brust niederhingen.

„Ja, die Haare, die hat er manchmal auf der Hand gewogen und geküßt,“ seufzte sie auf – sie blieb am Bett stehen. „Er mag wohl auch gedacht haben wie ich, daß sie schwerer seien, als das ganze kleine Mädchen selbst. Perlen und Rubinsteine und Goldstücke sind nur immer so drüber hingestreut gewesen; das Alles hab’ ich dem Herrn Hofmarschall herausgeben müssen. … Sie hatte eine feine Kammerjungfer, die der Herr Baron aus Paris oder Gott weiß woher mitgebracht hatte; die mußte sie bedienen, und mit der war sie so gut wie ein Engel – die gelbhäutige Hexe hat’s ihr schlecht genug vergolten. … Der gnädige Herr ist einmal früh umgefallen und für ein paar Stunden so gut wie todt gewesen, und nachher beim Aufwachen, da hat es sich gezeigt, daß die Dunkelheit in seinem Kopfe – sie sagen, die Melancholie – die schon vorher angefangen hatte, vollends ausgebrochen ist. Von dem Augenblicke an waren der Herr Hofmarschall und der Caplan, der jetzige Herr Hofprediger, die Herren im Schönwerther Schlosse.

Ich hab’ Ihnen ja schon einmal erzählt, daß die ganze Schloßgesellschaft zu den zwei – Spitzbuben gehalten hat – nichts für ungut, gnädige Frau – und die Schlimmste ist die noble Kammerjungfer gewesen. Sie hat die schändliche Geschichte, daß die arme Frau den schönen Reitknecht Joseph lieb habe, ausgeheckt und dem kranken Herrn weisgemacht. Dafür hat sie auch ein paar tausend Thaler mitgenommen, wie sie nach Hause gereist ist. … Nun bin ich ’nübergegangen in’s indische Haus – heimlich, denn mein Mann durfte es ja nicht wissen. Sie kauerte dazumal hier auf dem Bette, verwildert und halb verhungert; aus Angst vor dem Hofmarschall wollte sie lieber nicht essen und im unordentlichen Bette schlafen, um nur die Riegel nicht wegzuschieben. … Ich weiß bis heute nicht, wie es gekommen ist, aber er hat nie gemerkt, daß sie an mir eine Stütze gehabt hat; vielleicht bin ich doch nicht so dumm, wie er immer sagt. … Sechs Monate lang hat sie wie eine Gefangene hier im Hause gesteckt. Das Jammern und Weinen vor Sehnsucht nach dem Manne, der nichts mehr von ihr wissen wollte, vergesse ich in meinem Leben nicht. … Nachher ist der Gabriel geboren worden, und von da an wurde ‚die harte, grobe, unbarmherzige Löhn‘ als Zuchtmeister im indischen Hause angestellt. … Manchmal bin ich auch bei dem kranken gnädigen Herrn gewesen, wenn mein Mann seine Schwindelanfälle hatte, da mußte ich bedienen, denn ich wußte, wie er’s gern hatte. … Wie oft habe ich da ihren Namen auf der Zunge gehabt, um ihn nur einmal an sie zu erinnern und ihm zu sagen, daß er einen Sohn habe, und daß Alles niederträchtige Lüge sei, was sie ihm weisgemacht hatten, aber es mußte tapfer wieder hinuntergeschluckt werden, denn wenn er auch noch so gut und gescheidt war, sobald seine schwarze Stunde kam, da beichtete er dem Caplan Alles, und da wäre ich ohne Gnade an die Luft gesetzt worden, und die Beiden im indischen Hause hätten gar Niemand mehr auf der Welt gehabt.“

Liane griff nach ihrer Hand und drückte sie innig; diese Frau hatte einen unglaublichen Fond von Liebe, Selbstverleugnung und zärtlicher List für die beiden Unglücklichen entwickelt, wie kaum eine Mutter für ihr eigen Fleisch und Blut. … Sie wurde ganz roth und schlug förmlich erschrocken die Augen nieder, als die schöne Hand sich so weich und lind um ihre groben Fingerknöchel legte.

„Nun ging’s aber bei dem kranken Herrn auf’s Sterben los,“ fuhr sie unsicher, fast bewegt fort. „Der Herr Hofmarschall und der Caplan waren die ganze lange Zeit nicht von seiner Seite gewichen. Einer war immer da und sah d’rauf, daß Alles am Schnürchen ging, wie sie’s eingefädelt hatten, und da mußte es doch passiren, daß der Herr Hofmarschall sich erkältete und krank wurde, und der Caplan mußte in die Stadt, um dem katholischen Prinzen Adolph die Sterbesacramente zu reichen – und das war eine Fügung vom lieben Gott; es mußte Alles so kommen; den wie der geschorene Kopf zum Schloßthore ’naus war, da kriegte mein Mann seinen Schwindelanfall so derb, daß er nicht vom Kanapee aufstehen konnte. Na, ich war ja da! … Ich stand im rothen Zimmer neben dem kranken Herrn und reichte ihm die Medicin – und die dunklen Vorhänge hatte ich von den Fenstern wegziehen müssen; da fiel die liebe Sonne herein auf sein Bett, und da war’s doch gerade, als wäre auch ein Vorhang von seinen Augen weggezogen worden; er sah mich ganz hell an, und auf einmal streichelte er meine Hand, als wollte er mich loben für meine Bedienung – da ging mir’s wie Feuer durch den Kopf. ‚Du riskirst’s,‘ sagte ich mir und rannte fort. Zehn Minuten d’rauf kroch ich mit der armen Frau durch das Maßholdergebüsch drüben beim rechten Flügel und durch die kleine Bohlenthür an der eisernen Wendeltreppe. Niemand sah uns; kein Mensch hatte eine Ahnung, daß da Etwas passirte, wofür die ganze Schloßgesellschaft vom Herrn Hofmarschall ausgepeitscht worden wäre, wenn er’s gewußt hätte. … Ich machte die Thür im rothen Zimmer auf – mein Herz hämmerte ordentlich vor Angst – und sie flog mir voraus – den Aufschrei vergess’ ich nicht, so lange mir die Augen im Kopfe stehen. Das arme Weib! Aus ihrem schönen Herzallerliebsten, aus dem stolzesten Herrn war ein Gespenst geworden. … Sie warf sich über sein Bett hin. Ach, neben seinem gelben, hohlen Gesichte sah man erst, wie frisch und schön sie war; wie eine rothweiße Apfelblüthe lag sie auf den grünseidenen Decken. … Er sah sie zuerst ernsthaft an, bis sie ihre Arme um seinen Hals legte und ihr kleines Gesicht an seines drückte, ganz so wie früher. Da streichelte er ihr das Haar, und sie fing an zu sprechen, in ihrer Sprache – ich verstand kein Wort – und das ging immer schneller, und sie mußte wohl Alles ’runter sagen, was sie auf dem Herzen hatte, denn seine Augen wurden immer größer und funkelten, und das bischen Blut, das er noch in den Adern hatte, trat ihm in die Stirn. … Und was ich auf dem Herzen hatte, das sagte ich auch. … Herr Gott, mir wurde aber doch angst und bange; ich dachte, er stürbe auf der Stelle.

Er wollte mit aller Gewalt sprechen – es ging nicht. Da schrieb er auf ein Papier: ‚Können Sie mir Gerichtspersonen herbeischaffen?‘ Ich schüttelte den Kopf, das war unmöglich; er mochte es wohl selbst am besten wissen. … Da schrieb er nun wieder. Wie mich das dauerte! Die Schweißtropfen standen ihm auf der Stirn, und in den Augen hatte er Angst, ich sah’s wohl, wahre Seelenangst um das schöne, liebe Wesen, das ihm fortwährend das Gesicht streichelte und so selig war, daß es wieder bei ihm sein durfte. … Er war fertig, und ich mußte ein Licht anbrennen und Siegellack bringen. Mit dem kostbaren Ringe, den er dem Herrn Hofmarschall geschenkt hat, machte er zwei große Siegel unter das Geschriebene – er that es selbst; aber weil er zu schwach war, so mußte ich seine Hände derb niederdrücken, damit das Wappen ja recht klar und scharf in dem Lacke ausgeprägt wurde. Er sah es nachher durch ein Glas an, und es mußte recht sein, denn er nickte mit dem Kopfe. Er hielt mir den Zettel hin; ich sollte die Aufschrift laut lesen; und da buchstabirte ich denn auch heraus: ‚An den Freiherrn Raoul von Mainau.‘ Und da übergab er mir das Papier zur Besorgung; aber sie sprang auf und riß es mir weg und küßte es in einem fort; nachher schüttete sie das, was in dem kleinen, silbernen Buche lag, auf die Erde und legte den Zettel dafür hinein. … Wie ein Lachen ging es dabei über sein Gesicht, und er winkte mir zu, als wollte er sagen, es sei da einstweilen gut aufgehoben. Er hat sie nachher noch geherzt und geküßt – zum letzte Male auf Erden; er hat’s gewußt, aber sie dachte es nicht. … Sie wollte auch nicht fort, als er mir ein Zeichen machte, daß ich sie heimbringen sollte. Sie fing zu weinen an wie ein Kind; aber sie war ja so sanft und folgsam – er sah sie nur ernsthaft an und hob den Finger, und da ging sie hinaus. … Wenn sie nur immer so gefolgt hätte!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 284. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_284.jpg&oldid=- (Version vom 26.3.2019)