Seite:Die Gartenlaube (1874) 286.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Säulengange her, und Liane trat in das Vestibül. Mainau hatte ihr gesagt, daß die Damen in großer Toilette befohlen seien; deshalb erschien sie im silberstoffenen Brautkleide. Die einzelnen großen Smaragden ihres Brauthalsbandes funkelten als Nadeln im Haare und hielten da und dort einen kleine Schneeglöckchenstrauß in den zurückgeschlagenen rothblonden Wellen fest.

„Ah, welche Ueberraschung für unsern Hof!“ stieß der Hofmarschall heraus; er war wüthend. Der Gedanke, daß sie mitkommen werde, hatte ihm augenscheinlich vollkommen fern gelegen. „Allez toujours, Madame!“ sagte er, nach dem Ausgange winkend und seinen Stuhl mittelst eines Ruckes selbst zurückschnellend, als sie zögerte, an ihm vorüberzugehen.

Mainau reichte ihr den Arm und führte sie hinaus. „Meine Braut ist lieblich wie Schneewittchen, aber über ihrem holden Gesicht liegt ein Trauerflor,“ flüsterte er ihr zärtlich zu.

„Ich habe Dir viel Ernstes mitzutheilen; mir ist, als schritte ich über glühende Kohlen,“ sagte sie hastig und angstvoll. „Wären wir nur wieder daheim!“

„Geduld! Ich werde meine Mission am Hofe möglichst rasch durchführen, und dann, dann fliege ich, Feinsliebchen im Arm, in die weite, weite Welt hinein.“

Er hob sie in den Wagen. Die Apfelschimmel brausten davon, und in gemächlichem Trabe folgten die Braunen des Hofmarschalls.

In der Residenz hatte man sich daran gewöhnt, die zweite Heirath des Baron Mainau – trotz der hohen Abkunft der jungen Frau – als eine Art Mésalliance anzusehen. Man erzählte sich, sie sei eigentlich nur Beschließerin und Gouvernante; die schwarzseidene Schürze vorgebunden, den Schlüsselkorb am Arme, wandere sie durch Küche, Keller und Waschhaus; das sei ihr Element – abscheulich! Eine Baronin Mainau, die Gemahlin eines der reichsten Herren im Lande! … Gott, welche reizende Naivetät und Unwissenheit in solchen Dingen hatte doch das ganze Wesen der ersten Frau so anziehend, so unbeschreiblich distinguirt gemacht! Sie war nicht die Frau, sondern die Fee des Hauses, die echt aristokratische „Lilie des Feldes“ gewesen. Sie war nur auf Erden gewandelt, damit man kostbare Spitzenhüllen für sie klöppele, der feinste Champagner für ihre kleine Kehle perle und zahllosen Händen und Füßen das Glück werden sollte, ihr zartes, flaches Körperchen zu tragen, zu pflegen und zu schmücken. Hätte sie Jemand gefragt, wo die Küche in Schönwerth sei, sie würde dem Unverschämten im allerliebsten Zorn mit der Reitpeitsche Eins hinter das Ohr versetzt haben; dagegen war sie in den Pferdeställen zu Hause gewesen, wie in ihrem Boudoir, und der berühmte Jasminduft hatte oft das Stallparfüm in ihren Kleidern nicht zu decken vermocht; aber das war ja eben so undefinirbar aristokratisch, so köstlich originell gewesen. Die zweite Frau hatte von allen diesen guten Leuten noch keiner gesehen; man wußte aber, daß sie groß und rothhaarig sei, und fügte nun diesen zwei Eigenschaften als nothwendige Folge robuste Schulterbreite, derbe Füße, rothe Hände und die intensivsten Sommersprossen hinzu. … Weiter war man gewöhnt, den Baron Mainau als Garçon in der Residenz, am Hofe erscheinen zu sehen, und bei der letzten großen Soirée hatte er auf die boshafte Frage, wie es seiner jungen Frau gehe, achselzuckend geantwortet: „Ich vermuthe, gut – seit drei Tagen bin ich nicht in Schönwerth gewesen.“ … Es war ferner unumstößlich festgestellt, daß seine Abreise das Signal zur Scheidung sein werde – und nun, nun trat er auf einmal in den Concertsaal des herzogliche Schlosses, und an seinem Arme hing ein junges Wesen, schneeig weiß von der Stirn bis auf die feine atlasbedeckte Fußspitze, von so bleicher, ernster, aber auch kalter Schönheit, als habe er sich die schneeüberrieselte Eiskönigin von den Gletscherbergen herabgeholt.

Die Frau Herzogin hatte einen ganz besonderen Glanz zu entfalten gewünscht; es war das erste Hofconcert seit dem Tode des Herzogs und, wie man sich freudig zuraunte, auch der erste, kleine, scheinbar improvisirte Ball, mit welchem sie die hoffähige Jugend zu überraschen gedachte. Der Concertsaal mit der anstoßenden Reihe von kleineren Sälen schwamm in weißem Tageslicht. Es troff von den mächtigen Gaskronen am Plafond, den Candelabern an den Ecken, und im fernen Wintergarten, der die Zimmerreihe beschloß, schossen Lichtfontainen aus riesigen Lilienstengeln, aus Maiblumenglocken von weißem Glas, die sich gleichsam aus der fremdländischen Pflanzenwucht der Boscage emporrangen. Was die hoffähigen Damen an Juwelen aufzubringen vermochten, es lag hingestreut auf Locken, Busen, auf schwerniedersinkendem Atlas und in hochgepuffter Gaze. Und die Seidenpracht rauschte; die flimmernden Fächer schwirrten, und alte wie junge, schöne wie häßliche Lippen flüsterten und kicherten in den Tönen der Medisance, der Schmeichelei, der heimlichen Liebe und des versteckten Neides. Dieses verworrene Geräusch verstummte einen Augenblick vollständig beim Eintritt „der Schönwerther“. … So sah sie aus, die fast mythenhaft gewordene zweite Frau? So eigenartig stolz und gelassen? So wenig berührt und eingeschüchtert durch die versammelte glänzende Hofgesellschaft? Und was war das nun wieder für eine neue Marotte des Sonderlings, des Phantasten, der sie führte? Er hatte diese Gräfin Trachenberg durch die Scheinehe in ein abscheulich schiefes Licht gebracht; er hatte sie, als schäme er sich ihrer, bisher scheu versteckt; sie war der Gegenstand mitleidiger Spöttereien gerade bei Hofe gewesen, und weil dadurch das Verhältniß nachgerade ein unhaltbares geworden, so befand sich die Bitte um Lösung desselben bereits auf dem Wege nach Rom. Da gab es keinen Zweifel mehr, und gerade da führte er sie bei Hofe auf, mit einer Ostentation, als wollte er sagen: „Seht, so schlecht ist mein Geschmack doch nicht gewesen! Selbst zum Zwecke meiner Komödie habe ich es nicht über mich vermocht, meinen Schönheitssinn ganz zu verleugnen. Seht sie Euch noch einmal an, die Vielbespöttelte, ehe ich sie – heimschicke!“ Und die Herren meinten, er sei geradezu toll geworden vor Uebermuth und Eitelkeit; etwas Harmonischeres als diese zwei hohen Gestalten nebeneinander lasse sich nicht denken. Die erste Frau sei stets wie ein Schmetterling vor ihm hergegaukelt, und wenn sie ja einmal um der Etiquette willen ihre Fingerspitzen auf seinen Arm gelegt und ihr schmales Figürchen an ihm in die Höhe gereckt habe, so sei das ein fast lächerlich gezwungener Anblick gewesen. Ehe die zweite Frau noch ihren Weg durch den ungeheueren Saal vollendet, war es bereits festgestellt, daß sie eine Lorelei-Erscheinung und er – ein blinder Narr sei.

Man sah freilich nicht, wie er plötzlich den schönen, weißen Arm fester an sich drückte, als überkomme ihn die Reue, sein junges Weib diesen sie gierig anstierenden Augen ausgesetzt zu haben; man hörte nicht, daß es zärtliche Worte, Worte einer jäh erwachenden, heftigen Eifersucht waren, die er ihr zuflüsterte; man verstand ihn nicht, als er sie so feierlich betonend mehreren alten Damen als seine Frau vorstellte – es war eine Farce, eine neue Caprice, in der er sich gefiel und bei welcher das arme Opfer an seiner Seite und der ganze Hof wohl ober übel mitwirken mußten – wie immer.

Die einzelnen Töne aus dem Orchester herüber schwiegen plötzlich; die Anwesenden standen wie die Statuen, und sämmtliche Augen richteten sich auf die Seitenthür, durch welche die Herzogin kommen mußte. Die Flügel wurden feierlich zurückgeschlagen, und Serenissima, gefolgt von den beiden kleinen Prinzen und mehrere Damen und Herren, trat in den Saal.

In diesem Augenblicke suchte Liane unwillkürlich Mainau’s Gesicht. Eine dunkle Flamme lief ihm bis über die Schläfen, und ein böses Lächeln flog um seinen Mund.

„Ah, in gelber Seide, und Granatblüthen in den Locken!“ sagte er leise, ohne den Blick der jungen Frau zu erwidern. „Liane, sieh Dir diese schöne Fürstin genau an! So sah sie aus an dem Ballabende, an welchem sie mir versprach, mein zu werden. Himmlische Reminiscenzen, die sie, wie es scheint, gerade heute aufzufrischen wünscht!“

Die Herzogin sah in der That überraschend schön aus. Das feurige, glänzende Gelb, das um die tief entblößten Schultern wogte, die gluthvollen, ungezwungen aus den schwarzen Locken auf die Stirn fallenden Blumenkelche hoben das blutlose, wachsartige Weiß ihrer Haut in fast dämonischer Wirkung; dazu die geschmeidigen, schlangenhaft weichen Bewegungen, der seltsame, lustathmende Zug um die blaßrothen Lippen, um die leicht bebenden Nasenflügel, das Flammen der großen Augen – Liane mußte unwillkürlich an die Willis denken, die den Gegenstand ihrer Leidenschaft zu Tode tanzen. … Wenn er diesem Zauber abermals verfiel? … Die junge Frau bebte in sich hinein; sie legte ihre schönen, schlanken Finger enger um seinen Arm und

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 286. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_286.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)