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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

zu denen außer den Genannten der ausgezeichnete Jurist Wolfsen aus Hamburg, Friedrich Kapp, der Geschichtsschreiber der Deutschen in Amerika, Professor Tellkampf aus Breslau, bekannt als juristisch-politischer Schriftsteller, der geistvolle Publicist und Biograph Waldeck’s Heinrich Bernhard Oppenheim und „unser Braun“ gehören.

Wenden wir uns jetzt dem schwarzen Centrum zu, so zieht sogleich eine der interessantesten und bekanntesten Persönlichkeiten des Reichstages unsere Aufmerksamkeit auf sich. Gerade gegenüber dem Präsidentenstuhle sitzt auf der ersten Bank in Gedanken versunken ein kleiner untersetzter Herr mit kahlem Kopfe, kleinen kurzsichtigen, unter der stark gewölbten Stirn sich gleichsam versteckenden Augen und einer eigenthümlich herabhängenden Oberlippe, so daß ihn, wie man zu sagen pflegt, gerade die Schönheit nicht erdrückt. Aber auch hier gilt die französische Redensart: C’est sa laideur qui fait sa beauté, da ein gewisser geistreicher Ausdruck der nichts weniger als durch Schönheit blendenden Physiognomie einen eigenen Reiz verleiht, besonders wenn im Laufe der Debatte sich sein gewöhnlich scheinbar ruhiges, aber still lauerndes Gesicht belebt. Dann funkeln die kleinen Augen; die schlaffen Züge spannen sich, und um die herabhängende Lippe zuckt ein ironisches, spöttisches Lächeln. Plötzlich unterbricht er den Redner auf der Tribüne und schleudert eine sarkastische Bemerkung in die Versammlung, welche gewöhnlich die allgemeine Heiterkeit erregt, oder auch zuweilen ein unwilliges Murren hervorruft. Der kleine, originelle Mann ist kein Anderer, als „die Perle von Meppen“, der Abgeordnete von Windthorst, früher hannoverscher Staatsminister des Königs Georg und gegenwärtig der Führer und das Haupt der Centrumspartei. Zum großen Redner und Staatsmann, der er gewiß gern sein möchte, fehlt ihm vor Allem die Kraft der Wahrheit und die Wärme der Ueberzeugung, welche die Hörer unwillkürlich fortreißt. Dafür besitzt er einen scharfen Verstand, schlagenden Witz und die kühnste Rücksichtslosigkeit im Kampfe mit seinen Gegnern. Er erinnert vielfach an die Manier der französischen Fechtmeister mit ihrem spitzen, elastischen Fleuret. Wie sie, erspäht er mit scharfen Blicken jede Blöße seines Gegners und führt mit schlangenartiger Gewandtheit blitzschnell seine fein berechneten Stöße. Am interessantesten wird der Kampf, wenn er dem Fürsten Bismarck, seinem intimen Feinde, gegenübersteht. Dann verdoppelt sich seine Kühnheit und Rücksichtslosigkeit; seine kleinen Augen sprühen von Malice, und sein Witz wird immer beißender und schneidender. Aber trotzdem erliegt gewöhnlich der kleine Windthorst den wuchtigen Keulenschlägen des großen Bismarck, dem er mit seinem französischen Fleuret nicht gewachsen ist. Immerhin bleibt die Perle von Meppen ein gefährlicher Gegner, da er nach allen Seiten bis in die höchsten Regionen einflußreiche Verbindungen unterhält und in der Wahl seiner Mittel echt jesuitischen Grundsätzen huldigt. Bald reicht er den Elsässern die Hand, bald sieht man ihn Arm in Arm mit dem Socialaristokraten Sonnemann, bald lächelt er den Conservativen und Particularisten zu, bald coquettirt er selbst mit den Nationalliberalen und der Fortschrittspartei, wenn es sich darum handelt, der Regierung und besonders dem verhaßten Reichskanzler eine unangenehme Verlegenheit zu bereiten, ein schlauer Plänkler, ein unermüdlicher Parteigänger, ausgezeichnet im kleinen Kriege, aber kein Feldherr, der welthistorische Schlachten schlägt.

Sein nächster Nachbar ist der auch geistig ihm nahestehende und verwandte Herr von Mallinckrodt, ein begabter Redner, dem ebenfalls die Waffe des Witzes, wenn auch nicht in demselben Maße wie seinem Freunde Windthorst, zu Gebote steht, den er noch an Fanatismus, aber auch an Ehrlichkeit übertrifft. Beiden zur Seite sitzen die Brüder Reichensperger, gleichfalls Mitglieder der streitenden Kirche, sonst ebenso begabte wie achtungswerthe Männer, von denen der ältere, August, durch seine Arbeiten aus dem Gebiete der christlichen Kunst sich einen Namen erworben hat, während Peter, Mitglied des Obertribunals und scharfsinniger Jurist, auch als parlamentarischer Redner einen bedeutenden Ruf genießt, obgleich seine Reden an einer gewissen Breite und salbungsvollen Selbstgefälligkeit leiden. Aber jener junge, schlanke Mann in schwarzem Talar, dessen blasses, glattes Gesicht mit den bald zu Boden gesenkten, bald keck herumschweifenden und herausfordernden Blicken den unverkennbaren Typus des jüngeren katholischen Clerus zeigt, jene seltsame Mischung von seminaristischer Demuth und ultramontaner Streitlust, von römischem Uebermuthe und jesuitischer Schlauheit, kann wohl kaum ein Anderer sein, als der vielgenannte Herausgeber der „Germania“, Paul Majunke, der Journalist im Priesterkleide, der den Ton und die Taktik der auswärtigen ultramontanen Zeitschriften und Jesuitenorgane mit anerkennenswerther Geschicklichkeit in’s Deutsche übersetzt und mit seinen französischen und italienischen Vorbildern an Feindseligkeit gegen den protestantischen Staat wetteifert. Auch als Redner zeichnet er sich mehr durch eine gewisse kecke Schlagfertigkeit aus, als durch Reichthum an Gedanken und priesterliche Würde. Der helle Klang seiner Stimme hat etwas Schreiendes, Herausforderndes und erinnert im Vereine mit seiner ganzen demonstrativen Haltung an die Disputationsübungen junger Theologen im Convicte.

Ebensowenig kann der Herr Domcapitular Moufang aus Mainz den katholischen Geistlichen verleugnen, wenn er auch einen ganz andern Typus repräsentirt. Eine untersetzte, gedrungene Gestalt mit kahlem, auf dem kurzen Nacken sitzendem Kopfe, an dessen breiter, flacher Stirn man das berüchtigte „Non possumus“ zu lesen, den Consultor der römischen Curie und Vertheidiger der päpstlichen Unfehlbarkeit zu erkennen glaubt, ebenso starr und unnachgiebig wie sein College Majunke elastisch und beweglich erscheint, der Eine ein mittelalterlicher Ketzerrichter, mit dem Scheiterhaufen, der Andere ein moderner Jesuitenzögling, mit dem socialistischen Petroleum drohend. Unter den übrigen schwarzen Herren, welche diesmal im Reichstage stark vertreten sind, bemerken wir noch den bekannten geistlichen Rath Müller aus Berlin, einen äußerlich gemüthlich aussehenden, blonden, wohlgenährten Herrn mit rosigen Wangen, der besonders auf socialem Gebiete unter den katholischen Arbeitern und Gesellen für den Ultramontanismus Propaganda macht; ferner den Stadtpfarrer Westermaier aus München und den Prinzen Radziwill aus Beuthen, eine elegante hocharistokratische Erscheinung, halb vornehmer Dandy, halb frommer Priester und ganz von dem Holze, woraus man in Rom gefügige Werkzeuge, deutsche Bischöfe und Kirchenfürsten zu machen pflegt.

Einen seltsamen Contrast mit diesen geistlichen Elementen bilden die weltlichen Herren des Centrums, unter denen man vorzugsweise den hohen Adel der Rheinprovinzen, Schlesiens, Westphalens, Baierns, Badens und Württembergs findet, die Grafen Stollberg-Stollberg, von der bekannten katholischen Linie, die Freiherren von Aretin, von Heeremann-Zuydwyk, von Landsberg und von Hafenbrädl, die Grafen Nayhauß, Ballestrem, Praschma, Chamaré, Galen, Preysing, Bissingen-Nippenburg[WS 1] und Waldenburg-Zeil, meist junge, lebenslustige Herren, die im ultramontanen Lager ohne besondere Auszeichnung dienen, zum Theil Schüler der Jesuiten, kaiserlich-königlich österreichische Kammerherren und Ritter päpstlicher Orden, von denen Einer oder der Andere sogar unter Lamoricière die Waffen für den heiligen Vater getragen, moderne Kreuzfahrer, die jedoch bis jetzt keine nennenswerthen Eroberungen gemacht haben.

Bedeutender sind dagegen die beiden Diplomaten des Centrums, die Herren von Savigny und von Kehler; Ersterer, der frühere Bevollmächtigte und Minister Preußens bei der Bundesversammlung in Frankfurt am Main bis zur verhängnißvollen Katastrophe am 14. Juni 1866, schloß sich später aus Unzufriedenheit mit der Politik des Fürsten Bismarck den Ultramontanen an, obgleich er ein Sohn des bekannten preußischen Justizministers und Rechtsgelehrten von Savigny ist. Ebenso stand auch Herr von Kehler als Legationsrath in preußischen Diensten; gegenwärtig aber gilt er für einen besonders eifrigen und in alle Geheimnisse eingeweihte römischen Emissär. Außerdem zählt die Partei noch einige bemerkenswerthe Persönlichkeiten, wie den Inspector der königlichen Erzgießerei in München, Herrn von Miller, der sich durch den schwierigen Guß der „Bavaria“ einen Namen und den Adel erworben hat, den Historienmaler Baudri, dem die neuere Glasmalerei manche gelungene Arbeit verdankt, und den Professor Herrn von Buß aus Freiburg im Breisgau, Verfasser verschiedener staats- und kirchenrechtlicher Schriften.

Umgeben von diesen Mitgliedern des Centrums erblicken wir einen alten Herrn, dessen weißes, würdiges Haupt uns statt


Anmerkungen (Wikisource)

  1. korrigiert, Vorlage: Vissingen-Nippenberg


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 293. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_293.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)