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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Mainau?“ sagte sie, vergeblich bemüht, ihrer Stimme einen spöttisch heiteren Klang zu geben. „Bisher haben Sie eifersüchtig Alles von sich gewiesen, was den Nimbus des interessanten Reisenden irgendwie schmälern konnte – Sie wollten allein Märchenprinz sein. … Und nun auf einmal dieses Erscheinen an der Seite einer modernen Lady Stanhope – nicht übel! Das muß verblüffen, ganz besonderes Aufsehen erregen.“

„Sicher nicht lange, Hoheit,“ sagte Mainau ruhig lächelnd, „da ich mit meiner ‚Lady Stanhope‘ nicht im Oriente reisen, sondern auf meinem einsam gelegenen Gute Blankenau in Franken leben werde.“

Serenissima wandte sich ab und gab mit einer sichern Bewegung das Zeichen zum Beginne des Concerts. Wer sie näher kannte, zitterte. Mit diesen unnatürlich weit geöffneten Augen in dem todtenhaft weißen Gesichte, mit den streng zusammengezogenen Lippen und dem fast brutal entschlossen vorgeschobenen Kinne gab sie nie einer Bitte Gehör, war sie nie einer sanfteren Regung zugänglich.




25.


Die herzogliche Capelle spielte meisterhaft, und die Primadonna sang hinreißend. Ihre Hoheit, die Frau Herzogin, gab selbst das Signal zum rauschenden Applaus und überhäufte die fremde Sängerin in den Pausen mit Beweisen ihrer Huld und Gnade. Es verlief Alles so glatt, so scheinbar zwanglos und doch die festen Linien der Etiquette innehaltend, daß Liane meinte, nur ihr treibe die innere qualvolle Unruhe, eine ahnungsvolle Bangigkeit das Blut fiebernd durch die Adern. Sie konnte das bleiche Medusenprofil der Herzogin nicht ansehen, ohne heiß zu erschrecken. Dort, inmitten einer Officiersgruppe, seltsam den Glanz der Gala-Uniformen unterbrechend, saßen zwei schwarze Gestalten, der Hofmarschall und der Hofprediger. Die junge Frau hätte aus den Zügen des alten Herrn fast lesen können, was er, leidenschaftlich erregt, seinem Nachbar unablässig zuflüsterte und in das Ohr zischelte; aber sie wandte in aufquellendem Zorne die Augen weg. Der Priester fixirte ungescheut und so dämonisch ausdrucksvoll ihr Gesicht, als schwebe ihm jenes furchtbare „Ich werde Alles dulden, schweigend, ohne Gegenwehr; aber abschütteln werden Sie mich nicht“ auf den Lippen. … Sie fürchtete ihn nicht mehr. Der hoch gewachsene Mann, der neben ihrem Sitze mit verschränkten Armen an der Wand lehnte, beschützte sie; er war mächtig und willensstark genug, die Viper, die zerstörend nach seinem häuslichen Glücke züngelte, zu zertreten. … Hätte sie nur erst diesen Saal mit den geschmückten Menschen im Rücken gehabt! Aber die Erlösungsstunde schlug noch nicht. Die wundersame Mähr, daß Mainau mit seiner jungen Frau nach Franken übersiedeln wollte, war wie ein Losungswort von Mund zu Mund geflogen, und nun, nach dem Concerte, strömten die Wißbegierigen herbei, um aus dem Munde der Betreffenden selbst die Bestätigung zu hören. Und dann wurde Mainau die Auszeichnung zu Theil, mit der Frau Herzogin den Ball zu eröffnen.

„Bitte, führen Sie mich in den anstoßenden Saal!“ befahl sie, den Walzer unterbrechend, in welchen sich die Polonaise aufgelöst hatte. „Zu viel Gaslicht und zu viele Menschen! Die Hitze ist wahrhaft tropisch.“

Sie traten über die Schwelle. Die anderen Paare flogen weiter in wirbelndem Reigen.

„Sie spielen Ihre neue Rolle unvergleichlich, Baron Mainau,“ sagte die Herzogin halblaut, während sie im Weiterschreiten mehreren erschrocken emporspringenden Herren zuwinkte, sich nicht stören zu lassen – sie thaten sich gütlich am Büffet.

„Darf ich erfahren, wie das Stück heißt, das der Hof aufführt und bei welchem ich mitwirke, ohne es zu wissen?“ versetzte er, auf den leichten, frivolen Ton eingehend, den sie angeschlagen.

„Mephisto!“ Sie hob graciös drohend den Fächer. „Nicht wir spielen; dazu sind wir zu gedrückt, zu müde und unelastisch – Dank den aufreibenden inneren Kämpfen. Wir haben auch nicht die Gabe, wie der geniale Baron Mainau, einen mächtigen Impuls immer wieder so wirksam, so packend auf die Scene treten zu lassen. … Soll ich Ihnen wirklich sagen, daß man sich drüben im Saale zuraunt, es sei heute der zweite Act des ‚Drama mit der Rachetendenz‘ ausgeführt worden?“

Bei diesen Worten betraten sie den Wintergarten. In raschem Weitergehen hatten Beide nicht bemerkt, daß in dem letzten, anscheinend leeren Salon dennoch zwei Menschen saßen, der Hofmarschall und sein Freund, der Hofprediger. Sie hatten Fruchteis und Champagner vor sich stehen; aber ein aufmerksames Auge hätte sehen können, daß das Eis zerschmolz und der köstliche Sect unberührt verschäumte.

Mainau zog mit einer raschen Wendung seinen Arm an sich, so daß die Hand der Herzogin ihre Stütze verlor und herabsank. … Sie waren allein unter Palmen, unter einem grünen Regen tropischer Schlingpflanzen, der von der Glasdecke niedersank. Wie die vom Wunderbaume mit Gold überschüttete Aschenbrödelgestalt stand die schöne, blasse Frau in gelbem Atlaskleide da, dem das blendende Gaslicht metallisch glitzernde Farbenströme entlockte.

„Vollständig gekühlte Rache hat keinen zweiten Act; sie stirbt wie die Biene in dem Augenblicke, wo sie den Stachel eingesenkt,“ sagte Mainau mit leicht erblaßtem Gesichte.

Die Herzogin sah ihn mit funkelnden Augen an. „Ah, Pardon! Da haben sich also die guten Leute da drüben geirrt,“ sagte sie, die schönen Schultern emporziehend. „Nun denn, ein anderes Motiv! Das aber, was Sie uns in augenblicklicher, eigensinniger Laune octroyiren möchten, glaubt man Ihnen so wenig, wie man im Stande ist, zu denken, der prächtige Granatbaum dort mit seinen glühenden Blüthen fühle Neigung, im – Gletschereis zu wurzeln. … Mag Ihnen diese blonde Gräfin Juliane mit ihrer studirten Denkermiene, ihrem mühsam aufgepfropften Bischen Männerwissen imponiren, in Wirklichkeit geliebt wird eine solche Frau nie.“

„Sie sprechen von jener Leidenschaft, die auch ich einmal empfunden,“ versetzte Mainau in hartem, eiskaltem Tone. Es empörte ihn, den geliebten Namen von diesen Lippen aussprechen zu hören. „Wie wenig Wurzel gerade sie schlägt, hat sie am schlagendsten dadurch bewiesen, daß sie so vollständig – sterben konnte.“

Die Herzogin fuhr aufstöhnend zurück, als habe er eine todbringende Waffe gegen sie gezückt.

„Ist es so, wie Sie sagen,“ fuhr er unerbittlich fort, „daß eine solche Frau selten geliebt wird – wohl mir! Dann werde ich Qualen, die ich früher nie gekannt, und die jetzt oft an mich herantreten, die Qualen der Eifersucht, allmählich wieder von mir abschütteln können. … Und nun will ich Euer Hoheit sagen, weshalb ich heute in Begleitung ‚dieser blonden Gräfin Juliane‘ hier bin. Es ist kein Act der Rache, sondern der Buße, der öffentlichen Abbitte meiner beleidigten Frau gegenüber.“

Die fürstliche Dame lachte so überlaut und krampfhaft, als sei sie wahnsinnig geworden.

„Verzeihung!“ rief sie wie athemlos, wie halb erstickt vor Lachen, „aber das Bild ist zu drastisch. Der kühne Duellant, respective Raufbold – Pardon! – der tapfere Soldat, der gefürchtete Spötter und Leugner aller Frauentugend – bußfertig vor der Gräfin mit den rothen Flechten! Nach Jahren noch wird man sich amüsiren über den Löwen, der sich fromm vor dem Spinnrocken niederduckt.“

Er trat einen Schritt zurück. Ueber dieser Stirne schwebte die gefeierte Krone der Herrscherin; in ihre Hand war es gelegt, für den minderjährigen Landesfürsten zu entscheiden über Leben und Tod, Wohl und Wehe im Volke – und da stand sie vor ihm, in bacchantischem Gelächter sich schüttelnd, baar selbst der Würde, die die einfachste Frau aus dem Volke zu bewahren versteht.

„Hoheit, der Duellant, respective Raufbold, braucht nicht viel wirklichen Muth,“ sagte er mit finsterer Stirne, „weit mehr Willenskraft und innere Ueberwindung kostet es z. B. dem Spötter Mainau, dem frivolen Frauenverächter, die innere Umkehr zu bekennen, den ‚guten Leuten dort drüben‘ zu zeigen, daß der eifrige Fürsprecher der Convenienzehe keinen innigeren Wunsch hat, als – die eigene Frau zu erobern. Aber diese Sühne schulde ich ‚der blonden Gräfin Juliane‘, dem reinen Mädchen mit der enthusiastischen Künstlerseele, mit den unerschrockenen, eigenen Gedanken. … Ich habe mir die Buße auferlegt, ehe ich mir gestatte, mein neues Glück mir anzueignen.“

Der Fächer war den Händen der Herzogin entfallen; er schaukelte funkelnd an der feinen Kette, die vom Gürtel niederhing. Mainau den Rücken zuwendend, stand die schöne Frau

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 300. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_300.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)