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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

ihre Todten noch 1205, die Esthen 1225, und die Litthauer mußten den deutsche Rittern in einem Vertrage 1249 feierlich versprechen, daß sie als Neubekehrte von nun ab das Verbrennen der Todten unterlassen wollten.

Aus diesem Vertrage erfahren wir den Grund, weshalb auch in Deutschland die sonst allgemein gebräuchliche Sitte des Verbrennens verlassen wurde. Der Gebrauch galt als „heidnisch“. Das genügte, ihn bei den christlichen Priestern verhaßt zu machen. Mit derselben Urtheilslosigkeit, mit welcher fanatische Priester die Schriftdenkmale und Culturzeichen der Urbevölkerung des neu entdeckten Amerika zur großen Schädigung unserer Geschichtsforschung vernichteten, mit derselben Urtheilslosigkeit, mit welcher Bonifacius seinen Täuflingen den Genuß des Pferdefleisches untersagte, mit derselben Urtheilslosigkeit drang man auch auf Unterlassung der Feuerbestattung. Später erhielt geistige Trägheit und Denkfaulheit das den Urahnen gegebene Verbot in Kraft. Sollen diese Hemmnisse sich mächtiger erweisen als Vernunftgründe? Soll die Geistesarmuth einiger Urtheilslosen nach Jahrhunderten das für richtig Erkannte verhindern?

Die Verbrennung der Leichen ist ein Culturfortschritt, denn sie hindert, daß die Todten die Lebenden vergiften. Hierauf machte auch Professor Hermann Richter in Dresden aufmerksam, welcher sich das Verdienst erwarb, zuerst wieder die allgemeine Aufmerksamkeit auf diesen Gegenstand zu lenken (Gartenlaube 1856, Nr. 49).

Dieser Richter’sche Vorschlag erregte damals vielseitige Theilnahme und bezüglich der technischen Verwerthung von Verbrennungsproducten bei den Laien wie bei den Technikern Widerspruch. Er ist, so viel bekannt, niemals im Großen ausgeführt worden, und eine von mir unternommene Probe im Kleinen ermuthigte nicht zu weiteren Versuchen. Immerhin ist der Grundgedanke Richter’s, die Leiche mit Hülfe von Gas und Luft zu verbrennen, auch bei den neuesten Methoden wieder aufgenommen worden.

In Deutschland schien das Interesse an der Feuerbestattung nicht mehr rege zu sein. Aber in Italien arbeiteten zahlreiche Gelehrte an den Mitteln für die Ausführung des Verbrennungsverfahrens. Unter ihnen ist an erster Stelle Brunetti zu nennen, weil er die Ausführbarkeit seiner Methode bereits an sechs Leichen erprobt hat.

Brunetti, Professor der pathologischen Anatomie zu Padua, bedient sich zur Verbrennung eines Ofens, der die Form eines länglich viereckigen Kastens hat. Dem Erfinder bleibt das Verdienst, durch energisches Vorgehen nach einer Pause von Jahrhunderten nachgewiesen zu haben, daß man mit verhältnißmäßig wenig Brennmaterial einen menschlichen Leichnam verbrennen könne – aber nicht das Verbrennen allein ist unser Ziel, sondern es soll die Verbrennung auch so ausgeübt werden, daß der Pietät, welche wir der Hülle unserer geschiedenen Lieben schuldig sind, daß dem Gemüth der Hinterbliebenen das volle Recht gewahrt werde. Bei aller Unsauberkeit und Schädlichkeit hat das Vergraben in der Erbe doch eben den Vortheil, daß, so lange wir den Leichnam des Verwandten oder Freundes vor Augen haben, mit ihm in zartsinniger Weise verfahren wird. Freilich ändert sich das, sobald er den Mächten der Fäulniß im Schooße der Erde verfallen ist. Dort wird der Leichnam eine widerwärtige, scheußliche Carricatur. Aber die wenigsten Menschen wissen das, nur wenige haben es jemals gesehen; so gilt das „Begraben“ immer für ästhetisch nicht verletzend. Aber Brunetti’s Leichen werden geschmort und verkohlt; sie müssen angebunden werden, weil sie im Verkohlen Bewegungen ausführen – ein gräßliches Bild für unsere Phantasie. Jeder Fühlende lehnt diese Methode ab.

Prof. Gorini in Lodi veröffentlichte 1873 bei Gelegenheit der Einbalsamirung der Leiche seines geistreichen Landsmannes Mazzini Mittheilungen über eine neue Methode der Feuerbestattung. „Ich kenne,“ schreibt er, „eine Substanz, welche, auf eine äußerst hohe Temperatur gebracht, eine Flüssigkeit erzeugt, die in wahrhaft wunderbarer Weise in wenigen Augenblicken (?) eine Leiche, welche mit derselben behandelt wird, in ihre kleinsten Elemente auflöst. Wenn man dem Zerstörungsprocesse zuschaut, und die Leiche so äußerst schnell verschwinden sieht, so scheint es, daß die Flüssigkeit sich derselben bemächtige und sie buchstäblich auffresse. Kaum ist die Leiche“ (hier ist zu bemerken, daß Gorini noch niemals eine ganze Leiche auf ein Mal verbrannte, sondern nur Stücke derselben) „auf dieselbe gelegt, so schäumt letztere auf und erstere entbrennt lichterloh und geruchlos (?) und verwandelt sich gänzlich in ganz durchsichtige, ganz helle, gasige Substanzen, welche sich in Nichts (?) von der atmosphärischen Luft unterscheiden, mit der sie sich vermischen und in deren Schooß sie sich verlieren. In der Flüssigkeit bleibt nur die weiße Asche, und wenn man will, kann man diese mit Leichtigkeit durch Decantirung (Abklärung) oder Filtration aus der Flüssigkeit abscheiden.“

Die vorstehenden Worte sind die Uebersetzung der Darlegung des Erfinders, entnommen der sehr interessanten und empfehlenswerthen Schrift: „Ueber Leichenverbrennung als rationellste Bestattungsart“ von Wegmann-Ercolani (Zürich, Cäsar Schmidt, 1874). Gorini glaubt mit dem geringen Kostenaufwande von etwa 6 Francs, also 1 Thaler 18 Groschen, die Verbrennung durchführen zu können. Er glaubt es, aber er weiß es nicht aus Erfahrung. Niemand Anderes kann es wissen, da er die Substanz, welche zur Verbrennung dient, geheim hält. Was wollen wir bei wissenschaftlichem Fortschritte mit Geheimnißkrämerei? Wie soll man über diese Methode urtheilen, wenn man nicht weiß, durch welche Mittel sie erreicht wird, und daher die Erfolge nicht prüfen kann? Dazu kommt die unglaubhafte Angabe der „geruchlosen“ Verbrennung „binnen wenigen Augenblicken“. Diese Angaben stehen mit allen bisherigen Erfahrungen in Widerspruch.

Professor Polli in Mailand hat eine Verbrennung der Leichen durch Leuchtgas erdacht und von dem Mailänder Ingenieur Professor Clericetti den Apparat dazu construiren lassen.

So weit man dieses Verfahren nach Beschreibung und Abbildung beurtheilen kann, hat es alle Nachtheile des Brunetti’schen, also großen Zeitaufwand, da es nur die mäßige Hitze der gewöhnlichen Flamme benutzt, und unter Umständen nur eine „Verkohlung“, nicht vollständige „Verbrennung“ der Leiche liefert.

Diese Uebelstände zu beseitigen, wählte ich für Feuerbestattung die von Fr. und C. W. Siemens eingerichtete Regenerativ-Feuerung, welche, für technische Zwecke vielfach verwerthet, auf der Ausstellung in Paris 1867 mit dem Preise gekrönt, mir von allen mir bekannten pyrotechnischen Verfahrungsweisen die größte Aussicht auf Erfolg zu bieten schien. Lassen wir über den auf meine Veranlassung construirten Ofen Herrn F. Siemens in Dresden selber reden:

„Der ganze Apparat besteht aus drei voneinander getrennten Theilen. 1) einem Gaserzeuger zur Herstellung des zum Aufhitzen des Ofens nöthigen Gases, außerhalb des Gebäudes; 2) dem eigentlichen Ofen mit dem Regenerator und dem Verbrennungsraume innerhalb des Gebäudes (siehe Abbildung); 3) dem Schornsteine zur Abführung der Verbrennungsproducte.

Denken wir uns ein großes, schönes, dem Zwecke entsprechend gebautes Leichenhaus, in dessen Mitte, unsichtbar für die in demselben befindlichen Personen, der Ofen erbaut ist. Der Leichenconduct langt vor demselben an und tritt, nachdem der Sarg dem Wagen entnommen ist, in dasselbe, gleich wie jetzt in den Kirchhof, ein. Nachdem der Sarg auf einen Katafalk niedergesetzt und die übliche Ceremonie beendet ist, wird er in die Gruft hinabgesenkt. (Diesen Moment veranschaulicht unser Bild.) Kurz vor dem Niedersenken des Sarges wird der Deckel des Ofens geöffnet und, sobald Letzterer den Sarg aufgenommen, alsbald wieder geschlossen.

Die Manipulation der Leichenverbrennung mittelst erhitzter Luft würde folgende sein: der Gaserzeuger wird derart in Betrieb erhalten, daß durch die Füllvorrichtung in Intervallen von vier bis sechs Stunden eine Wiederanfüllung des consumirten Brennmaterials an Steinkohle, Braunkohle, Torf oder Holz stattfindet. Das gebildete Gas wird durch einen mit einer Regulirungsklappe versehenen Canal in den Regenerator geführt, wo dasselbe, mit einem ebenfalls regulirbaren Luftstrome zusammentreffend, in Flamme verwandelt wird. Die so gebildete Flamme durchstreicht die Regeneratorkammer, wodurch das darin aufgeschichtete Ziegelmaterial bis zur Weißgluth erhitzt und so erhalten wird. Die der Flamme anhaftende noch übrige Wärme dient dazu, den Ofen oder die Kammer, welche zur Aufnahme der Leiche bestimmt ist, noch bis zur schwachen Rothgluth vorzuwärmen, worauf die Flamme durch einen Canal in die Esse entweicht.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 312. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_312.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)