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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Es dauerte nicht lange, nur wenige Wochen, und eine Andere reizte die Sinnlichkeit des Herzogs. Er beschloß, sich der Volkstädt durch ihre Verheirathung zu entledigen.

Auf einem einsamen Forsthause, zwanzig Meilen von Stuttgart, lebte ein junger Edelmann, Eduard von Schilling, der durch seinen trefflichen ehrliebenden Charakter die allgemeine Achtung genoß. Er lebte bei seinem Vater, dem achtzigjährigen Oberforstmeister von Schilling, der schon unter dem Großvater des Herzogs seine Laufbahn begonnen hatte. Dieser war der gewissenhafteste und rechtlichste, aber auch vielleicht der ärmste aller herzoglichen Beamten.

Eines Tages erhält Eduard den Befehl, sich zu dem Herzoge zu begeben.

„Hör’ Er,“ sagt der Herzog, „ich will Ihn versorgen.“

„Eure Durchlaucht sind sehr gnädig.“

„Ich will Ihn mit dem Fräulein von Volkstädt verheirathen. Er wird Jagdjunker und Seinem Vater adjungirt.“

„Wie, Ihrer Durchlaucht Geliebte? Bedenken Sie meine Ehre!“

„Von Seiner Ehre wird Er sich nicht satt essen.“

„Bedenken Ihre Durchlaucht meine Ahnen!“

„Sie sind todt.“

„Mein Wappen, die Verachtung der Welt!“

„Ist Einbildung.“

„Mein Gefühl empört sich.“

„Trink’ Er ein Glas Wein mehr.“

„Und mein Vater, Durchlaucht?“

„Muß wollen.“

„Gezwungen? Unmöglich!“

„Mit einem Worte, ich will es. Er muß. Und wenn Er sie nicht nimmt, so ist Er entlassen sammt seinem Vater, dann könnt Ihr sehen, wer Euch zu fressen giebt.“ –

Eduard von Schilling heirathete die Geliebte des Herzogs.

Der Herzog hatte auf seine Kosten für die Hochzeit die großartigsten Anstalten getroffen. Die Trauung fand in einem zu einer Capelle hergerichteten Gemache seines Schlosses statt. Eduard erschien in prächtiger Galakleidung, allein das heitere Grün seiner Jagduniform stimmte nicht zu dem matten Ausdrucke seiner edlen Gesichtszüge, zu den tiefen blauen Ringen, welche sein sanftes Auge umrahmten. Vor dem Altare erhielt die Braut, deren Gesicht eine tiefe Schamröthe überfloß, aus der Hand des Fürsten den Solitär, welchen sie an des Bräutigams Finger steckte. Ein prächtiges Souper schloß die kirchliche Feier.

Nach Mitternacht führte der Herzog das Paar zu der auf seinem eigenen Schlosse zubereiteten Brautkammer. Eduard machte eine tiefe Verbeugung und begab sich, nachdem sich der Fürst verabschiedet, nach einem nahe gelegenen Bedientenzimmer, wo er sich ein Lager auf einigen Stühlen herrichtete, indeß die Braut unter Thränen und Seufzern dem Morgen entgegenharrte.

Den anderen Tag machte er mit ihr seine Besuche, ohne auch nur ein einziges Mal ein Wort an sie zu richten. Als er ihr den Arm bot, berührte er zum letzten Mal in seinem Leben ihren Körper. Von diesem Unglückstage an würdigte er sie keines Blickes mehr. Sie wohnte mit ihm auf seinem Forsthause, allein er floh sie, und lag sie ermattet und von Fieberhitze gepeinigt auf dem Krankenbette, so stürzte er hinaus in die Wälder und suchte durch wilde Jagdfreuden den Wurm, der an seinem Herzen nagte, zu vergessen.

Julie war nicht so allen Gefühls baar, daß der Gemüthskummer ihres dem Wahnsinne zueilenden Gemahls spurlos an ihr vorübergegangen wäre, und ihr abgehärmtes Gesicht zeigte bald die tiefen Spuren der Reue, welche sie ergriff. Es dauerte nur wenige Jahre, und das Grab barg zwei Menschen, deren Existenz, sammt dem Glücke ihrer Angehörigen, die rohe Sinnenlust eines einzigen Menschen vernichtet hatte.

Wer erinnert sich nicht bei diesen einem Zeitgenossen nacherzählten Mittheilungen des Verhältnisses zwischen Schiller’s Ferdinand und Lady Milford und namentlich jener ergreifenden Scene, in welcher der jugendliche Held der fürstlichen Geliebten, die ihn heirathen will, seine Ehre, sein Wappen, seinen Stand als Officier entgegenhält?

Das eigentliche Charakterbild der Lady Milford hat unser Dichter unzweifelhaft der schönen Franziska von Hohenheim entnommen, der späteren Gemahlin Karl Eugen’s, einem Wesen, das bekanntlich, reich an Zügen edler Weiblichkeit, durch wohlthätiges Wirken die öffentliche Meinung mit sich auszusöhnen verstand und auch vor dem Richterstuhle der Geschichte seine Rechtfertigung erlangte. Indem Schiller den einzig und allein der Stimme seiner Ehre Gehör schenkenden Jüngling einem Weibe von trefflicher Charakteranlagen gegenüberstellt, gelangt er zu den ergreifendsten dramatischen Conflicten, in welchen sich seine ganze dichterische Größe offenbart.

„Die Wollust der Großen,“ rechtfertigt sich die Geliebte, „ist die nimmersatte Hyäne, die sich mit Heißhunger Opfer sucht. Fürchterlich hat sie schon in diesem Lande gewüthet, hat Braut und Bräutigam getrennt, hat selbst der Ehe göttliches Band zerrissen, hier das stille Glück einer Familie geschleift, dort ein junges unerfahrenes Herz der verheerenden Pest aufgeschlossen, und sterbende Schülerinnen schäumten den Namen ihres Lehrers unter Flüchen aus. Ich stellte mich zwischen das Lamm und den Tiger, nahm einen fürstlichen Eid von ihm in einer Stunde der Leidenschaft, und diese abscheuliche Opferung mußte aufhören.“

In der That wurde die schöne Franziska eine Wohlthäterin des Landes. So wie Karl’s frühere Jahre durch Ausschweifungen aller Art, Verschwendung und Prunksucht berüchtigt sind, so ist es auch gewiß, daß er sich unter dem Einflusse Franziska’s bemühte, durch Ordnung und eine weise Regierung seine furchtbare Vergangenheit einigermaßen wieder gut zu machen. Noch lange nach ihrem Tode seufzten die Bürger, wenn sie den Namen „Franziska“ aussprachen, und wünschten sich ihre gute Landesmutter zurück.

Ferdinand Dieffenbach.




Die erste Nacht im Grabe.*[1] (Mit Abbildung, S. 310.) Es war noch Morgendämmerung, als mich der Herzensdrang nach einer stillen Feier zur Grabstätte unseres todten Meisters trieb. Gestern Abend haben sie ihn bestattet, den Wilhelm Kaulbach! Es war eine Feier, wie sie der Kampfgeist unserer geharnischten Zeit erforderte und wie sein eigenes Herz sie nicht anders hätte wünschen können. Wie ein Wallfahrtsheiligthum lag das Grab unter seinem Blumenbaldachin, umstanden von den erhabensten Priestern der Wahrheit und Schönheit und den tapfersten Rittern der Freiheit und des Rechts: ihnen gebührte der Altardienst bei dieser Feier des deutschen Genius. Und ringsumher in endlosen Kreisen lauschte voll Andacht das Volk als freie große Gemeinde der Verherrlichung eines Unsterblichen aus seiner Mitte. Es war Dämmerung geworden, ehe die Schaaren wie die vorüberbrausende Sturmfluth verronnen waren, und es war gut, daß die Nacht die Spuren bedeckte, die sie auf Tausenden von Gräbern hinterlassen hatten. Ueber sie hin schritt ich im Morgengrauen zur Schlummerstätte des Meisters. Die erste Nacht im Grabe – sie war kaum vorüber, und schon hatte die Liebe und Verehrung den kränzereichen Hügel mit neuen frischen Blumen geschmückt. Ebenbilder jener Goethe’schen Frauengestalten, die des Meisters Griffel verewigt hat, kamen aus der dunklen Umrahmung des Grabes mir entgegen; sie waren noch vor der Sonne hier gewesen mit den sinnigen Spenden ihrer Huldigung und ihres Dankes. So wie sie das theure Grab verlassen haben, so, dachte ich, mußt du es den Freunden der Gartenlaube vor Augen stellen, überwölbt von seiner Blumenlaube, von der Liebe geschmückt und begrüßt vom ersten Morgen, der über ihm aufging.

R. P.




Kleiner Briefkasten.


Frau „Selma“ in Br. Die sogenannten schwedischen Streichzündhölzchen sind zwar frei von der Zündmasse der gewöhnlichen Streichhölzchen, die bekanntlich in Leimauflösung etwa ein Zwölftel fein vertheilten Phosphor und salpetersaures Bleioxyd und Bleisuperoxyd enthält, etwas Blei haben sie aber doch, und wenn ein Kind auch ein bis drei solcher Zündhölzchen ohne Schaden in den Mund nehmen kann, so könnte eine größere Anzahl doch von unangenehmen Folgen sein. Dennoch empfehlen sie sich für Räume, wo muntere Kinder verweilen, von allen Zündhölzchensorten noch am meisten, weil sie, abgesehen von dieser äußerst geringen Gifthaltigkeit, sich nur auf der für sie besonders präparirten Reibfläche, welche rothen Phosphor enthält, entzünden, in Kinderhändchen also ohne diese Reibfläche weniger feuergefährlich sind. Da man aber die Erfahrung gemacht hat, daß größere Schachteln derselben bei raschem Oeffnen leicht explodiren, so ist immerhin im Beisein von Kindern sehr vorsichtig damit zu verfahren.

Frau Elisabeth. Ihre Frage können wir Ihnen nur brieflich beantworten. Also, bitte, Ihre Adresse!




Berichtigung. In Nr. 6 des laufenden Jahrgangs ist der Artikel „Amerikanische Unsterblichkeitspolicen“ irrthümlicher Weise mit der Unterschrift Eduard von Leyh statt Eduard Leyh zum Druck gekommen. Indem wir diesen Setzerfehler hiermit berichtigen, bedarf es wohl nicht der Erklärung, daß eine Fälschung gut bürgerlicher Namen in adlige niemals in unserer Absicht liegen kann. Mögen aber die Herren Autoren an diesem Beispiele ersehen, zu welchen Entstellungen die heute fast epidemisch gewordene Undeutlichkeit der Namensunterschriften führen kann!



  1. * Selbstverständlich beschränkt die Gartenlaube ihre Todtenfeier Kaulbach’s nicht auf diese nur vorläufige Mittheilung; ein des großen Meisters würdiger Nachruf wird bald folgen.
    D. Red.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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