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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

daß dieser Mainau für einen Augenblick wirklich niedergeworfen zu Ihren Füßen liegt. … Sie können ihn nicht lieben, der Sie oft genug in meiner und Anderer Gegenwart mit der schneidendsten Kälte behandelt, der der ganzen Welt gezeigt hat, daß es ihm widerstrebt, diesen schönen Körper auch nur mit seinem Athem zu berühren; er hat Sie beleidigt, wie ein Mann das Weib nicht schmählicher beleidigen kann – und das hätten Sie nie gefühlt? Es hätte Sie nie erbittert, und triebe Ihnen nicht noch zur Stunde die Gluth der Demüthigung in das Gesicht? Sehen Sie in diesen klaren Spiegel hinab!“ – er zeigte auf die durchsichtige Wasserfläche, die fast an ihre atlasschimmernden Füße schlug. – „Sehen Sie in Ihre eigenen Augen hinein! Sie können nicht wiederholen, daß Sie ihm für seine augenblickliche herablassende Laune das Wonnegeschenk Ihrer Liebe hinwerfen wollen.“

Sie sah in der That seitwärts in die Fluth hinab – aus namenloser Furcht vor den Augen, die sie anglühten.

„Sie lieben ja diesen See, schöne Frau,“ sagte er mit seltsam gedämpfter Stimme, als handle es sich um ein Geheimniß. „Sie haben mir verrathen, daß Sie seine weichen Wellen meiner Berührung weit vorzögen. Sehen Sie, wie er lockt und schmeichelt!“

Jäh zusammenschreckend fuhr sie empor und sah ihm mit einer wilden Angst in das Gesicht.

„Fürchten Sie sich vor mir?“ fragte er sardonisch lächelnd. „Ich will ja Nichts von Ihnen, als angesichts dieses reinen, klaren Spiegels die Erklärung, daß Sie für ‚Jenen‘ die Neigung und für mich der Abscheu nicht so erfüllt, wie Sie mich überzeugen möchten.“

Sie raffte ihre ganze Willenskraft, ihren Muth zusammen. „Unerhört! … Was ficht Sie an, mir eine Erklärung abzufordern? Ich bin Protestantin, und nicht Ihr Beichtkind; ich bin die Herrin von Schönwerth, und Sie der Gast; ich bin eine Frau, die ihr gegebenes Wort erfüllt, und Sie ein eidbrüchiger Priester. Ich könnte Sie einfach meinen Stolz fühlen lassen und schweigend gehen, aber weil Sie drohend vor mir stehen, sollen Sie wissen, daß ich mich nicht vor Ihnen fürchte, daß ich Sie vom Grunde meiner Seele verachte, schon deshalb, weil Sie so plump die erste und einzige Liebe eines Frauenherzens anfechten und zu entweihen suchen.“

Sie hob den Fuß zum Gehen, aber zwei Arme umschlangen sie: „Darf ich nicht, dann soll auch er Sie nie berühren,“ murmelte es vor ihrem Ohre. Sie wollte aufschreien, aber heiße Lippen preßten sich wild auf die ihren … dann ein Stoß, und die schlanke Frauengestalt stürzte kopfüber in die aufzischende Fluth. … Ein furchtbarer Schrei gellte über das Wasser hin, aber nicht die Hinabgestürzte stieß ihn aus – vom Laubgange flog das Hausmädchen her, ihr nach der Jägerbursche. … „Wir haben’s gesehen, elender Mörder!“ schrie sie wie toll, beide Arme weit ausbreitend, um den nach dem Laubgange fliehenden Priester aufzuhalten; „Hülfe, Hülfe! Haltet ihn!“ … Mit einem einzigen Griffe schleuderte der wie wahnwitzig fortstürzende Mann das Mädchen aus dem Wege und verschwand im Laubgange.

Inzwischen hatte der Jäger den Teich erreicht und den Rock von sich geworfen. Gerade hier war das Ufer nicht sumpfig und seicht; es stieg fast senkrecht hinab in die verrufene Tiefe. Das Wasser war so durchsichtig klar und ungetrübt, wie inmitten des Teiches. Im ersten Momente schlossen sich die Wellen über dem hinabgeschleuderten Körper; dann aber – es sah geisterhaft schön aus – wogte der starre Silberstoff des Gewandes empor; er sog das Wasser nicht ein und breitete sich wie ein glitzerndes Schwanengefieder weit entfaltet über den Teichspiegel hin, und darüber erschien der wasserüberströmte Frauenkopf mit den Juwelen im Haar; er sank tief in den Nacken zurück, während die weißen Arme hoch in der leeren Luft vergebens nach einem Halt griffen. Jetzt zitterte ein schwacher Hülferuf von den Lippen der jungen Frau herüber. Seltsam, der steife Silberbrocat schien sie zu tragen.

Der Jäger schwamm gut; er mußte sich aber ziemlich weit hineinarbeiten; denn die Wucht des Stoßes hatte die unglückliche Frau sofort weitab vom Ufer getrieben; dennoch gelang es ihm, einen ihrer Arme zu erfassen, in dem Augenblicke, wo der Körper abermals zu sinken begann; er zog ihn an sich, und langsam, aber sicher schwamm er mit der Geretteten dem Ufer zu. Noch hatte er den festen Boden nicht erreicht, als es im Garten nach verschiedenen Richtungen hin plötzlich lebendig wurde. Das markerschütternde Aufschreien, das Hülferufen des Mädchens war sowohl im indischen Hause wie im Vestibüle des Schlosses gehört worden. Frau Löhn kam durch das Rosengebüsch gestürzt – sie sah noch, die Hände über dem Kopfe zusammenschlagend, wie ihre Herrin abermals unterzugehen drohte, und vom Schlosse stürmten die Lakaien her, gerade rechtzeitig, um die Halbbewußtlose an das Land zu ziehen. …




27.


Frau Löhn kniete auf dem Rasen und hielt den Oberkörper der jungen Frau in den Armen. Sie weinte und schrie laut, als das Mädchen mit heiserer, gebrochener Stimme den entsetzten Leuten zuflüsterte, was geschehen war. Die Kleine hatte das saubere, weiße Battistschürzchen abgenommen und trocknete sanft das niederrieselnde Wasser von Gesicht und Schultern der Herrin. Diese belebende Berührung und das laute Jammern der Beschließerin gaben der jungen Frau sehr schnell die volle Besinnung zurück. „Still, still, Frau Löhn!“ flüsterte sie sich aufrichtend. „Der Herr darf nicht erschreckt werden.“ … Mit einem lieblichen Lächeln reichte sie ihrem Retter herzlich die Hand, dann stellte sie sich mittelst einer energischen Bewegung auf die Füße. Die Bäume schwankten, wie vom starken Winde bewegt, vor ihren Augen, und der Weg zu ihren Füßen nahm eine wunderlich schlängelnde Bewegung an; es war ihr, als wandle sie in greifbarem Nebel, und dennoch ging sie vorwärts, und ihre Hand fuhr erschrocken nach dem Nacken – da hing die Kette noch – das wichtige Document lag nicht im See.

Mit jedem Schritte weiter verlor sich der Schwindel, der so beängstigend ihren Kopf gefangen gehalten, immer mehr; sie ging hastiger und wandte sich nur dann und wann, den Finger auf die Lippen legend, nach den ihr folgenden Leuten um, wenn ein Laut der Entrüstung ihr Ohr traf.

Im Vestibüle lief die übrige Dienerschaft durcheinander. Man wußte, daß etwas Unerhörtes geschehen sei; aber Keiner konnte sagen, was und wo. Die dienstthuenden Lakaien waren aus der Halle verschwunden, und ein fernes, wildes Schreien hatte man in der Küche und in den Gängen auch gehört, der Kutscher des Hofmarschalls aber schwur aufgebracht, er habe Seine Hochwürden keuchend, mit hochgehobenen Armen, wie einen Rasenden über den Kiesplatz stürzen und hinter dem nördlichen Flügel verschwinden sehen. … Dazu scholl aus de Gemächern der „gnädigen Frau“ unausgesetzt die aufgeregte, zornbebende Stimme des Hofmarschalls, manchmal unterbrochen von einem mahnenden oder auch heftig drohenden Ausruf des jungen Herrn. …

Da trat Liane auf die Schwelle und schritt an den erschreckt Zurückweichenden vorüber, das Gesicht blutlos und starr, wie das einer Wachsfigur; von den langen Flechten rieselten die Wasserbäche unaufhörlich über das silberrauschende Kleid, das sie als rollende Perlen abstieß, und die lange Schleppe zog einen breiten, feuchtglänzenden Streifen über die Steinmosaik des Fußbodens; es machte den Eindruck, als käme „die gespenstige Wasserfrau“ direct vom Grunde des Sees, um eine Seele hinab zu holen. …

Sie verschwand im Säulengange, und Hanna flog ihr nach in das Ankleidezimmer; dem Mädchen sträubte sich das Haar vor Entsetzen; sie hatte eben noch mit halbem Ohre erfangen, was die hereintretenden Leute den Anderen mittheilten; sie hörte das Stimmengewoge hinter sich in Ausrufen der Wuth, der Erbitterung gipfeln.

In angstvoller Hast kleidete sich die junge Frau um. Sie sprach nicht; aber ihre Zähne schlugen hörbar wie im Fieberfroste zusammen. Durch die Thür des anstoßenden Salons drang die scharfe, schrille Stimme des Hofmarschalls unermüdlich herüber; man konnte jede Silbe verstehen. … Er erging sich mit einer wahren Wollust in Schmähungen jener verstorbenen Brüder und des „Landstreicherlebens“, das sie geführt. Er griff in die fernste Vergangenheit zurück, um darzuthun, welch eine lange Kette von Leiden und Anfechtungen er, der echte Sohn seiner Väter, der allein den Nimbus und die Principien des Edelmannes

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 317. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_317.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)