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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Bei den Coroados-Indianern.

Es war im Monat Juli des Jahres 1864, als ich mich mit meinem Vater und einem alten portugiesischen Major als technischem Gehülfen mitten auf dem Ivahy, einem Seitenflusse des gewaltigen Parana, in der brasilianischen Provinz letzteren Namens, befand. Vierzig Mestizen und Mulatten als Ruderknechte und Bemannung von acht kleinen, je aus einem Stamme gezimmerten Canots begleiteten uns.

Mehr als zwei Monate waren schon verflossen, seitdem wir zu Pferde die sechszig geographische Meilen, meist wellenförmiges Prairieland, von dem Hafenorte Antonina über das hochliegende Städtchen Curityba nach der Colonie Thereza zurückgelegt hatten. Unter theilweisem Landtransporte unserer Fahrzeuge hatten wir auf diesem äußersten Vorposten civilisirten oder vielmehr halbcivilisirten Lebens gegen die endlosen Urwälder des Innern uns nach mühevollen Vorbereitungen schließlich eingeschifft und durch brausende Stromschnellen, aus deren weißem Gischt glänzend schwarze Doleritklippen drohend hervorlugten, eine Region des Thales erreicht, wo die sich mehrenden Anzeichen der Anwesenheit von wilden Indianern zur Vorsicht mahnten. Wir fanden nämlich Schlingen zum Einfangen von Säugethieren und schön befiederte Pfeile, untrügliche Spuren von Indianern.

Regelmäßiger als sonst wurde Munition vertheilt und die Waffen in steter Bereitschaft gehalten; die Mannschaften der einzelnen Canots erhielten den Befehl, sich nicht, wie bisher geschehen, den Tag über oft vollständig außer Sicht zu begeben, sondern mehr beisammen zu bleiben, und für die Nacht mußte der Wachtdienst, welcher, obgleich im Beginne der Fahrt richtig organisirt, schon seit längerer Zeit mehr oder weniger zur Mythe geworden war, wieder regelmäßig gethan werden.

Wie gering jedoch bei alledem die Sicherheit war, welche uns diese bei dem kindisch-leichtfertigen Wesen der an keine Disciplin gewöhnten Mulattenbande nur mit vieler Mühe durchzuführenden Maßregeln gaben, sollte mir gerade in jener Zeit durch einen charakteristischen Zwischenfall klar werden.

Müde von der Tagesarbeit, dem Aufschreiben topographischer Notizen, Mikrometer-Ablesungen, Sondirungen und Geschwindigkeitsmessungen, hatten wir uns, nachdem ich noch kurz nach Sonnenuntergang eine Monddistanz behufs der Längenbestimmung gemessen, bald nach der Einnahme unseres einfachen, aus Tapirbraten und schwarzen Bohnen bestehenden Mahles zur Ruhe begeben. Es war Winter auf der südlichen Hemisphäre; fröstelnd hatte ich mich in meine wollenen Decken gehüllt, und war, das Haupt auf meinem kleinen ledernen Reisekoffer, auf der harten, als Unterlage dienenden Kuhhaut unter Gedanken an die ferne Heimath alsbald in tiefen Schlaf versunken, als ich durch einen in nächster Nähe abgefeuerten Schuß, der, kaum gebrochen durch die dünne Zeltwand, wie der Donner eines schweren Geschützes an mein Ohr schlug, plötzlich aufgeschreckt wurde.

Mein erster Griff war nach dem mir zur Seite liegenden Revolver, um im nächsten Augenblicke, als gerade ein zweiter Schuß krachte, die feuchte Zeltwand aufzuschlagen und mit einem Sprunge in’s Freie zu treten. Ich erwartete schwirrende Pfeile, Kampfgewühl und gellendes Geheul, kurz die ganze Inscenirung eines regelrechten Indianerüberfalles, für den die Tageszeit – es ging schon gegen Morgen – nicht passender hätte sein können. Statt dessen – wer beschreibt mein Erstaunen? – lagen der breite Strom, dessen Oberfläche qualmende Nebel bis in’s Unendliche zu verlängern schienen, sowie die unter dem überhängenden Buschwerke des Ufers halb versteckten Zelte der Mannschaft und die verglimmenden Reste des Wachtfeuers im Morgengrauen des anbrechenden Tages so friedlich, so zauberhaft still vor meinen schlaftrunkenen Blicken, daß ich die erhobene Waffe mit lautem Lachen zur Erde senkte.

Doch da kam ja der nächtliche Schütze, einer der beiden Wache haltenden Ruderer, dessen Leidenschaft für die Jagd ich wohl kannte, hinter dem Zelte hervor, den noch rauchenden Trabuco am Arm.

„Aber was zum Kukuk, Hippolyto, machst Du denn?“ fuhr ich ihn an.

„Jawohl, mein Patron, sie ist leider entwischt; es war wirklich nicht hell genug, um scharf zielen zu können, aber fett, sehr fett war sie,“ antwortete er im Tone höchsten Bedauerns.

„Aber wer denn, was denn?“

„Nun, die Anta (Tapir); sehen Sie hier den ‚rasto‘!“ und er wies auf eine tief in den feuchten Ufersand eingedrückte Tapirspur, „und wie der mittlere Ballen schön rund sich abgeformt hat; ich sagt’ es ja, sie war fett wie ein gemästetes Schwein.“

Ueberdem und gerade als ich dem tollen Burschen, dem es unfaßlich war, daß es Umstände geben könne, unter welchen man auf ein in Schußweite kommendes Wild auch einmal nicht anlegen solle, sein rücksichtsloses Gebahren verwies, waren unsere halbwilden Burschen aus ihren Zelten hervorgekrochen, zuerst erstaunt um sich spähend, dann aber schwatzend und lärmend die Antaspur umstehend und den spaßhaften „Caso“ besprechend.

Nach einer längeren Disputation begab sich Jeder auf seinen Posten; die Köche, deren jede Bootsmannschaft einen stellte, besorgten die großen Kessel, in welchen die schwer weich zu kochenden Bohnen die Nacht über am verglimmenden Feuer gestanden; Andere schleppten die Säcke mit Mais und Mandiocca-Mehl, das im ganzen Innern Südamerikas die Stelle des Brodes vertritt, herbei, und nachdem Jedem seine Portion in die selbst verfertigten Hornschüsseln zugemessen und er von dem keineswegs beliebtest, nach unserer Ansicht jedoch ausgezeichneten Palmkohl, der à discrétion war, sich selbst bedient, wozu irgend ein Spießbraten, sei es Tapir, Pecari oder Reh, ein Waldhuhn, Jacu oder Jacutinga, oder einer der herrlichen Fische jener Ströme kam, breitete sich jene feierliche Stille über die Versammlung, welche die natürliche Folge einer ausschließlichen und eifrigen Thätigkeit der Kauwerkzeuge zu sein pflegt.

Nach dem Essen macht in jenen Ländern, den Südprovinzen Brasiliens, wie in der argentinischen Republik, Montevideo etc., stets die unvermeidliche kleine Calebasse mit dem etwas vegetabilisch zusammenziehend, im Allgemeinen jedoch angenehm schmeckenden Paraguay-Thee, Herva-Mate, einer Ilexart und nahen Verwandten unserer Stechpalme mit den prächtig glänzenden Blättern, die Runde, und auch unsere Ruderer hätten sicherlich viel lieber den von Zeit zu Zeit gespendeten Branntwein, so sehr sie ihn auch liebten, als das geliebte Nationalgetränk entbehrt.

Für uns jedoch war selbst die Süßigkeit des Mateschlürfens nicht von Dauer und rastloses Vorwärtsdringen unsere Losung.

Das Zeichen zum Aufbruche wurde also gegeben, die Zelte, Decken, Waffen, Kessel und Lebensmittel wieder in den engen Canots, so gut es ging, verstaut, und nachdem ich zuletzt noch eigenhändig die Chronometer, jene empfindlichsten aller Instrumente, an Bord gebracht, wurde endlich die Reise stromab fortgesetzt.

Nicht weit jedoch waren wir gefahren, als die Bemannung der vordersten Canots, welche soeben in eine starke Krümmung eingelenkt hatten, gegen ein paar Felsen in der Nähe des rechtseitigen Ufers sich drückend, uns durch Winken und Zeichen zu verstehen gab, daß stromabwärts etwas Neues in Sicht sei.

Eiligst rückten wir Alle bis dahin vor und sahen nun auf eine Entfernung von vielleicht achthundert Metern das hohe Ufer einer kleinen, dichtbewachsenen Insel von einer großen Zahl von Indianern besetzt. Durch das Fernrohr konnten wir beobachten, wie auch sie durch den Anblick unserer Boote lebhaft erregt waren und mit einem andern auf der Insel postirten Trupp Zeichen wechselten.

Es hatte wirklich allen Anschein, als wollten sie uns den Durchgang verwehren, und ich begann zu befürchten, daß es ohne Kampf nicht ablaufen werde, um so mehr, als ich die blutige Tradition, eine Art von Vendetta, welche in diesen Grenzdistricten zwischen den Ansiedlern und den Ureinwohnern leider immer noch lebendig ist, recht wohl kannte. Hatten doch mehrere unserer Ruderer vor mehreren Jahren die Leichen von vier Bewohnern der Colonie Thereza, welche beim Einsammeln von Herva-Mate von den Coroados überrascht und erschlagen worden waren, nach Hause gebracht, und war der Eine und der Andere auf der Jagd schon durch einen von unsichtbarer Hand abgeschossenen Pfeil ober durch gellendes Indianergeheul erschreckt worden. Zu Einem jedoch war ich fest entschlossen: zu verhindern, daß von unserer Seite der geringste Schritt zur Eröffnung der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 320. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_320.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)