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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

obwaltenden feindseligen Stimmung keineswegs gefahrlosen Auftrag ausgeführt und gerade an einer Stelle, wo durch die schwer zu passirende Stromschwelle unvermeidlich ein gewisser Aufenthalt eintreten mußte, in zwei verschiedenen Partieen, am Ufer und auf der kleinen Insel, uns erwartet hatten, verdiente allerdings einige Anerkennung. Sie hatten übrigens noch einen anderen Grund, unser gerade an dieser unter den allzu zahlreichen Schnellen des Ivahy zu harren, denn an demselben Platze befand sich einer ihrer sogenannten Pary’s, das ist ein zum Zwecke des Fischfangs errichteter Bau.

Indem sie nämlich auf der vielfach gebrochenen Kante des Absturzes durch eingeworfene Steine die Mehrzahl der Canäle verbauen und nur zwei oder drei der Hauptöffnungen offen lassen, zwingen sie die Fische, welche, einem eigenthümlichen Naturtriebe folgend, zur Laichzeit in zahllosen Schwärmen stromaufwärts gegangen waren, bei der Rückkehr thalabwärts den Weg durch diese Luken zu nehmen.

Dort aber fallen sie in die Hände der schlauen Rothhäute, welche eine aus gespaltenen Bambusrohren etwas weit geflochtene Rinne von vier bis fünf Meter Breite und entsprechender Länge derart zwischen die Steine eingesetzt haben, daß, wenngleich die Hauptwassermasse am oberen Ende sich sprudelnd und schäumend auf dieselbe ergießt, der untere Theil derselben doch trocken zu liegen kommt. Hier nun ist es, wo die irregeleiteten Schuppenträger plötzlich an’s Licht geschleudert, machtlos um sich schlagend, von den mit Speeren und Stöcken bewehrten, toll lärmenden und schreienden Wilden mit Leichtigkeit erlegt und dann auf’s feste Ufer gebracht werden.

Wenngleich ein Theil der zu Thal gehenden Fische, die kleineren besonders, so glücklich ist, durch die Zwischenräume des wenig dichten Steinwalles zu entwischen, so ist die Menge der gefangenen und getödteten Fische doch so groß, daß die ganze Indianerbande sammt deren magern Hunden damit nicht zu Ende kommen kann und große Quantitäten eines ausgezeichneten Nahrungsmittels in schmählichster Weise verderben müssen.

Zerstörten die Hochwasser nicht regelmäßig den wenig soliden Bau und erschwerte nicht die gewaltige Breite jener Ströme, die gerade an den Schnellen das Doppelte und Dreifache der normalen erreicht, den vollkommenen Abschluß, so wäre wohl selbst der außerordentliche Fischreichthum jener Gewässer nicht genügend, auf die Dauer einer solchen Verwüstung zu widerstehen, und längst schon vernichtet. Bei alledem soll jedoch an jenen Punkten, wo, wie bei Sao Pedro d’Alcántara, beinahe ständig zahlreiche Indianerhorden sich aufhalten und den Strom durch mehrere Parys verbaut haben, eine bedeutende Abnahme bemerklich sein. Doch kehren wir zu der denkwürdigen Episode unserer Ivahyfahrt zurück.

Nachdem wir noch auf einen Augenblick das hohe Ufer erkletternd an Land gegangen und uns die aus Palmwedeln leicht zusammengestellten provisorischen Hüttchen angesehen, trafen wir endlich Anstalten zum Aufbruche, da wir aus guten Gründen trotz nicht mißzuverstehender Einladung von Seiten unserer neuen Freunde unter keiner Bedingung in deren unmittelbarer Nähe übernachten wollten. Die Mannschaften, von welchen nur ein Theil zur Bewachung der Canots zurückgeblieben war, wurden also zusammengerufen und unter Beihülfe der Coroados die letzten Riffe der langen Schnelle glücklich passirt.

Einen charakteristischen Zwischenfall, der sich gerade in den letzten Augenblicken unseres Zusammenseins abspielte, kann ich, so unbedeutend er an und für sich war, nicht übergehen.

Als wir nämlich, noch umgeben von mehreren Dutzend Indianern, vor uns den glatten Strom, auf unsere Bootsstangen gestützt, ruhig dalagen und ich nach all’ dem Treiben endlich die nöthige Ruhe fand, noch ein paar lange Bogen und schönbefiederte Pfeile einzutauschen, von denen wir schon an Land einige mitgenommen, riß einer der rothen Burschen einen schon an Bord befindlichen schönen Bogen, für den ich kurz vorher ein großes Messer gegeben, mit Blitzesgeschwindigkeit wieder an sich und klatschte, nachdem er ihn geschickt unter Wasser und unter seine Füße gebracht, gerade so wie die Anderen unter lautem Geschrei und mit der unschuldigsten Miene von der Welt in die freigewordenen Hände. Seine List war jedoch bemerkt worden und ein nicht zu sanfter Stoß, durch den er auf einen Augenblick das Gleichgewicht verlor, so daß die schon geborgene Beute an die Oberfläche des Wassers kam und von einem unserer Ruderer ergriffen werden konnte, brachte ihm die unter den Weißen gangbare Auffassung von Mein und Dein in eindringliche Erinnerung. Möglicher Weise wäre bei längerem Verweilen das gute Einvernehmen durch Aehnliches noch ernstlich gestört worden; so wie es war, glitten die Boote alsbald in tieferes Wasser, und wir sahen uns mit einem Male von der nach und nach allzu lästig werdenden Umgebung befreit. Einige Dutzend Ruderschläge brachten uns an die nächste Flußkrümmung: unter überhängendem Buschwerke und gordisch verschlungenen Lianen schossen die schmalen Fahrzeuge pfeilschnell dahin, und in wenig Augenblicken waren uns Pary und Coroados entschwunden.

Die Fahrt wurde dann noch fortgesetzt, bis die langgestreckten Schatten der Palmwedel, die sich auf den weißen Sandbänken malten, und die Tinten, mit denen die Sonnenstrahlen golden durch die Laubkronen brachen, dazu mahnten, beizulegen und die Vorbereitungen zum Nachtlager zu treffen.

Nachdem einige Notizen niedergeschrieben und die eingehandelten Waffen, die sich bei näherer Betrachtung als außerordentlich schön und vollkommen gearbeitet erwiesen, in feste Bündel zusammengeschnürt und an passendem Platze verstaut waren, wurden dann am flackernden Wachtfeuer bei einem Glase dampfenden Punsches die Erlebnisse des Tages nochmals durchgesprochen.

F. Keller-Leuzinger.




Das Original der Don Juane.


„Schöne Dame! Dieses kurze Register giebt von einigen Herzensgeschichten meines Herrn einen kleinen Prospect. Wenn’s beliebt, so laufen wir’s durch.“ Wer von den vielen Herren der Schöpfung, an deren Ohr schon die Worte dieses treuen Dieners seines Herrn geschlagen sind, hat sich nicht im Stillen sagen müssen, daß auch er einen Beitrag zu diesem Schatzregister Leporello’s leisten könne? Gestehen wir’s nur offen: Den Glauben an eine Unwiderstehlichkeit gegenüber dem schwachen Geschlechte hat fast Jeder von uns – und war’s auch nur ein „süßer Wahn“ – eine Zeitlang in sich getragen. Wollen wir doch immer etwas von Faust in uns haben! Dann müssen wir aber auch den Don Juan mit in den Kauf nehmen, denn Beide stehen, sich ergänzend, zueinander. Freilich sind wir dabei gegenüber unserem großen Vorbilde, das es allein in Spanien auf tausendunddrei gebracht, doch nur erbärmliche Stümper. Dafür empfangen uns aber nach Ablauf unserer Don-Juan-Periode auch nicht die Pforten der Hölle, sondern die – der Ehe. Und es sind nur schlechte Spaßmacher, welche behaupten wollen, daß diese beiden Begriffe sich decken.

Wir sind gewohnt, immer Mozart dafür verantwortlich zu machen, daß er dieses bedenkliche Beispiel, dieses Hauptexemplar aller Herzensräuber, diesen gottlosen Heuchler und verführerischen Schmeichler, diesen Bekenner des männlichen Unfehlbarkeitsdogmas unserem biederen deutschen Gemüthe noch dazu unter der Zaubergewalt einer berückenden Musik zugängig gemacht hat. Indeß sind Mozart und seine Librettodichter nicht die eigentlichen Schöpfer dieser gewaltigen, dämonischen Figur. Als sie umrauscht von den zauberhaftesten aller Melodienklänge im Jahre 1787 zum ersten Male über die Prager Bühne schritt, hatte sie bereits eine Geschichte. Langsam und in großen Pausen war sie schon von ihrem Heimathlande Spanien aus durch Italien nach Frankreich gewandert, überall dort Herzen und Boden erobernd.

Das Land der blühenden Kastanien ist also die jedenfalls auch naturgemäßeste Heimath unseres Helden. Andalusische Chroniken berichten uns zuerst die Historie seines Lebens und verlegen dessen Anfangs- und Endpunkt nach Sevilla, dieser Stadt, welche in ihrer Verschmelzung maurisch-romanischer Elemente immer als das Arkadien aller Romantik gegolten hat.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 322. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_322.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)