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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

allen Bedienten und Büchsenmachern danach gesucht, aber er war nimmer zu finden.‘ Das ist die wahre Geschichte von Hofer’s Stutzen.“

Nachdem Rothbart noch auf den dem Büffet gegenüber aufgestellten Schrank, ein Prachtwerk der Renaissance in Zeichnung und Ausführung, aufmerksam gemacht, folgten wir ihm quer über den Vorplatz in ein Zimmer voll größerer Schießwaffen. „Hier,“ sagte er, auf zwei Falconets auf Rädern zeigend, „sind unsere ältesten Hinterlader-Kanonen. Die eine trägt die Jahrzahl ‚1504‘. Noch älter und wohl der älteste Hinterlader der Art, welcher bis jetzt aufgefunden wurde, ist dieser ‚Gaisfuß‘ (ein Handfeuergewehr) mit Luntenschloß aus dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts. Er erinnert in der Idee ganz an das Zündnadelgewehr: die Patrone, eine eiserne Hülse mit angelötheter Zündpfanne, wird von hinten in den Lauf gesteckt und dieser dann ähnlich wie das Zündnadelgewehr geschlossen.“ Bei den zahlreich an den Wänden lehnenden alten Wallbüchsen erzählte Rothbart, daß er im Jahre 1851 in einem auf der Themse liegenden chinesischen Schiff Gewehre gesehen habe, die, zwar kleineren Calibers, aber mit Luntenschloß, diesen Wallbüchsen auf’s Haar glichen. „Man kam wirklich in Versuchung zu glauben, daß das Schiff aus den alten Vorräthen eines deutschen Zeughauses armirt worden sei.“ Wie der Hinterlader, ist auch die gezogene Kanone schon dagewesen. Man hat die Angabe alter Festungsbewohner, daß die Veste im Besitze einer solchen gewesen, die leider in schlimmster Zeit mit vielem andern Geschütz verschleudert worden sei, belächelt, bis endlich der Beweis für diese Behauptung gefunden wurde: eine sechspfündige Kanonenkugel, welche unterhalb der Veste in einer alten Eiche, und zwar auf der Seite nach der Festung hin, stak, also von dieser aus geschossen worden war. Diese Kugel, innen von Eisen, ist etwa einen Finger dick mit Blei umhüllt, ganz so wie in Preußen die ersten derartigen Projectile construirt waren, und in der Bleiumhüllung sind auf der einen Seite die Züge deutlich eingedrückt. Neuerdings sind auch einige sehr alte Spreng-Wurfgeschosse und sogar ältere Revolver, Gewehre, in welche mehrere Schüsse aufeinander geladen und nacheinander abgefeuert werden können, ein neuer Schmuck dieser geschichtlich gewiß höchst werthvollen Sammlung geworden.

Die Gesellschaft wollte das Zimmer verlassen, ohne ein kleines, freilich unansehnliches Stück, das mir aber an’s Herz gewachsen ist, nur eines Blickes gewürdigt zu haben. „Halt!“ rief ich. „Da Ihr den Geldwerth so hoch schätzt, so sagt mir, was wohl diese kleine Kanone da gekostet hat.“ Rothbart lachte; er verstand mich. Die Andern lachten auch und meinten: „Dieses Böllerchen wird wohl für ein paar Thaler zu haben sein.“ – „Respect, meine Herren!“ rief ich da, „für diese Kanone hat Herzog Ernst zehntausend Gulden bezahlt.“ – „Unmöglich!“ – „Und doch wahr, seht sie Euch recht genau an! Das ist die Kanone, welche Wilhelm Bauer mit dem Dampfschiffe ‚Ludwig‘ aus dem Bodensee gehoben hat. Diese kühne Schiffhebung, welche man damals, im patriotischen Festjahre 1863, als einen deutschen Triumph pries, wäre unmöglich gewesen, wenn nicht der Herzog unserm Bauer in dessen tiefster Noth durch jene Summe zur Erreichung seines Zieles geholfen hätte. Also, Achtung vor dem ‚Böllerchen‘! Es gereicht jedenfalls der Veste und dem Herzoge stets zur Ehre.“ Jetzt war’s freilich etwas Anderes. Alle drängten nach dem kleinen Stücke hin, beguckten es wie eine Merkwürdigkeit ersten Ranges und nahmen schließlich fast zärtlichen Abschied von der kleinen „Ludwigskanone“.

Von da führte Rothbart uns zu dem sogenannten Hornzimmer (das „Jagdzimmer“ unserer Illustration). Sämmtliche Wände desselben sind mit den seltensten Schnitzarbeiten ausgeschmückt, einer kunstvollen Holzmosaik, welche die großartigen Jagden des Herzogs Johann Casimir darstellt, und ebenso ist die Decke mit solcher eingelegten Arbeit bekleidet, Alles im reinsten Renaissance-Styl. Rothbart sagte: „Man darf mit Fug und Recht auch dieses ein Unicum nennen. Ich kenne nichts Reicheres und Besseres in diesem Genre.“ Die Zeichnungen dazu sind von Wolf Pirkner, dem Hofmaler des Herzogs. Nach den noch vorhandenen Rechnungen betrug der Kostenaufwand dafür zwanzigtausend Gulden, eine Summe, die jetzt mindestens den dreifachen Werth haben würde.

Wir rüsteten uns nun zum Besuche der letzten der großen Sammlungen der Veste, der Kupferstichsammlung, indem wir im Voraus – der Abend nahte heran – auf die Beschauung der Münz- und Autographensammlung verzichteten, wie sehr wir auch dies bedauerten, denn auch diese Sammlungen zeichnen sich, wie wir bei allen anderen gesehen haben, durch mit besonderem Glücke erworbene Glanzstücke aus.

Ueber die für Künstler und Gelehrte (Kunsthistoriker, Alterthumsforscher etc.) ohne Zweifel hochwichtige Kupferstichsammlung, eine der bedeutendsten in Deutschland, gab Rothbart uns eine sehr dankenswerthe Belehrung. Nachdem er uns erst durch die drei Säle geführt hatte, von denen einer den Deutschen allein gewidmet ist, der zweite die Niederländer und Franzosen, der dritte die Italiener, Engländer etc. enthält und in welchen diese Kunstschätze in Eichenholzschränken aufbewahrt sind, benutzte er die Verwunderungsfrage eines unserer Künstler, „wie es möglich gewesen sei, daß ein so kleiner Hof so große Kunstreichthümer habe erwerben können,“ zu folgender Auseinandersetzung.

„Die herzogliche Kupferstichsammlung ist gesammelt von dem Großvater des jetzigen Landesherrn, dem Herzog Franz (starb 1806) in der Zeit, in welcher es im lieben deutschen Vaterlande nur Wenige gab, die auf solche Dinge besonderen Werth legten, und wo leider und besonders in unseren alten Reichsstädten, wie in Nürnberg etc. diese Schätze um ein elendes Stückchen Geld an Juden und sonstige Zwischenhändler im wahren Sinne des Wortes verschleudert wurden. Zum großen Theil sind sie in’s Ausland gewandert, denn der heimische Markt hatte keinen Begehr danach. Aus diesem Grunde ist Ihnen nun erklärlich, wie der in seinen Mitteln so sehr beschränkte Herzog Franz im Stande war, eine so werthvolle, zwischen zweihundert- bis zweihundertfünfzigtausend Nummern enthaltende Sammlung Kupferstiche, Holzschnitte und Handzeichnungen zusammenzubringen. Seine Hauptbezugsquelle waren Nürnberg, die alten Patricierhäuser und sein Vermittler dort Frauenholz.

Die Sammlung ist vor zwölf Jahren auf Befehl des Herzogs Ernst des Zweiten hierher auf die Veste gebracht und chronologisch und nach Schulen geordnet aufgestellt. Die Kataloge sind soweit vorgeschritten, daß auf Verlangen jeder Meister sofort vorgelegt werden kann, und Kenner und Liebhaber haben jeden Tag Zutritt zu der Sammlung, können auch auf Wunsch dieselbe zu Studien etc. benutzen. Wegen der dazu nöthigen Erlaubniß wendet man sich an mich.

Am reichhaltigsten vertreten ist die deutsche Schule; sie umfaßt etwa siebenzigtausend Blätter und beginnt mit den Blättern des Meisters E. S. – um 1460. Aber auch die übrigen Schulen, besonders die italienische und französische, sind, wenn auch nicht so zahlreich, so doch in ihren besten Meistern und in guten Abdrücken vertreten. Als besonders bemerkenswerth sind zu bezeichnen Originalkupferplatten von Marco Antonio Reymondi, Agostina Veneziano und J. E. Ridinger.

Für uns Deutsche ist offenbar hier der liebste und werthvollste Schatz bewahrt. Hier ist der fast vollständige Albrecht Dürer! In durchgängig sehr guten, zum Theil vortrefflichen Abdrücken besitzt unsere Sammlung seine derartigen Werke vollständig bis auf etwa zehn Holzschnitte und folgende sechs Kupferstiche: ‚Die Dreieinigkeit‘, ‚Sanct Hieronymus‘, ‚Veronica‘, ‚Das Urtheil des Paris‘, ‚Der große Courier‘ und ‚Joachim Patenier‘. Im Ganzen enthält die Dürer-Sammlung einhundertsiebenzehn Blätter Kupferstiche, vierhundertsiebenzig Blätter Holzschnitte, darunter ‚Die Eule‘ als ein Unicum, und eine Anzahl Handzeichnungen, unter letzteren eine Armstudie zu einem Christus am Kreuze und das Brustbild einer Nürnbergerin, beide in Kohle gezeichnet und in natürlicher Größe.“

Nicht blos unsere Künstler, auch wir Laien betrachteten mit patriotischer Erhebung diesen deutschen Kunstschatz; trotzalledem konnte Einer die Frage nicht unterdrücken: „Wie hoch möchte sich wohl der Geldwerth dieser großen Kupferstichsammlung belaufen?“

„Darauf,“ antwortete Rothbart, „muß ich Ihnen die Antwort schuldig bleiben. Nur Das kann ich Ihnen sagen, daß diese unsere Dürer allein jetzt nicht unter vierzigtausend Thaler erworben, bei einer Auction aber leicht auf sechszigtausend Thaler gesteigert werden könnten.“

Zum Schlusse zeigte uns Rothbart die letzte Erwerbung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 337. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_337.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)