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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

herabgefallen war, erstaunt ausrief: „Aber, mein Gott, wie ist das möglich! Seit siebenzehn Jahren ist er in Gebrauch und hat sich noch nicht gerührt.“

Es ist ein eigenthümlicher und seltener Anblick, eine geistvolle, liebenswürdige Frau als die Seele einer politischen Partei! Numa hatte seine Egeria, Perikles seine Aspasia; doch es waren das gleichsam Haus- und Privatgottheiten, welche ihre Offenbarungen nur im traulichen Verkehre verkündeten. Die Roland war die Egeria und Aspasia der ganzen Gironde; ihr Einfluß reichte in das Ministerium wie in die gesetzgebende Versammlung; sie war eine parlamentarische Größe hinter den Coulissen des Parlaments. Welch eine Zahl hervorragender Männer versammelte sich in ihren Salons! Da war der träge Vergniaud, vielleicht das größte Rednertalent der Revolution, dessen schlummernde Beredsamkeit es zu wecken galt; da war Brissot, der rührige Journalist, ein tumultuarischer Kopf, der Freude hatte an der Unruhe und Verwirrung; da war der feurige, jugendliche schöne Barbaroux, der ungestüme Guadet und andere, welche eine klar denkende Frau zu mäßigen und zu zügeln wußte; da war vor allem Buzot, der Einzige, dem sie sich unterordnete, den sie verherrlichte, weil sie ihn liebte.

Nicht, wie man oft annahm, Barbaroux, nicht der hochbegabte Vergniaud, nicht Bancal des Issarts, mit dem sie in einem 1835 veröffentlichten Briefwechsel stand – Buzot war es, den sie mit der glühendsten Neigung ihres Herzens umfaßte. Man hat neuerdings vier Briefe aufgefunden, die sie an ihn geschrieben, zwei Portraits mit einer von ihr selbst verfaßten Charakteristik des Originals. Ihm errichtet sie ein glänzenden Piedestal; man fühlt es heraus, er ist ihr nicht berühmt genug; seine Tugenden, seine geistige Bedeutung sind nicht genug anerkannt; sie will gut machen, was die undankbare Mitwelt versäumt. Sie schildert ihn als einen Mann von erhabenem Charakter, von stolzem Sinne und feurigem Muthe, gefühlvoll, auflodernd, als einen leidenschaftlichen Bewunderer der Natur, einen Freund der Menschheit, empfänglich für die zartesten Regungen der Seele, des höchsten Aufschwungs fähig, als einen begeisterten Republikaner; sie vergißt nicht sein gefälliges Aeußere, sein edles Gesicht zu erwähnen, und was sie an ihm tadelt, jene Trägheit, die er mit Vergniaud gemein hatte, das war ein Fehler, der ihr nicht unwillkommen war; denn gerade hier konnte sie, die stets entschlossene Frau, ihren Einfluß, ihre Macht auf sein Gemüth bewähren. Mit Eifer vertheidigt sie ihn gegen alle Gegner. Buzot war verheirathet wie Manon Roland; beide opferten ihre Neigung der Pflicht. Erst im Gefängnisse vollzog sich ein Umschwung im Gemüthe der heldenmüthigen Frau; sie opferte sich für Roland, um seine Unschuld zu beweisen. Durch dieses Opfer aber glaubte sie ein Recht zu gewinnen, nun auch ihrem Herzen zu folgen, die Sprache der Leidenschaft zu sprechen, frei von Schranken, aber auch frei von Vorwürfen. Es sind merkwürdige Bekenntnisse in diesen Briefen an Buzot, die auf das Geheimniß ihres Lebens ein ungeahntes Licht werfen. Die stolze Denkerin wird zur Sophistin; das Palladium der Pflicht zerbricht in ihren Händen; über die Todgeweihte bricht überwältigend das volle Bewußtsein vom Glück des Lebens und der Liebe herein, und fast klingt es wie Reue über die lange pflichtgetreue Entsagung, wenn sie in ihrem dritten Briefe an Buzot schreibt: „Du kannst Dir, mein Freund, den Reiz einer Gefangenschaft nicht vorstellen, in welcher man von dem Thun und Lassen jedes Augenblicks nur seinem eigenen Herzen Rechenschaft abzulegen braucht. Keine verdrießliche Störung, kein peinliches Opfer, keine langweilige Berufspflicht, nichts von jenen Pflichten, die um so drückender auf uns lasten, je mehr ein reines und edles Herz sie glaubt aufrecht halten zu müssen, nichts von jenen Gesetzen und Vorurtheilen der Gesellschaft, die mit den süßesten Empfindungen der menschlichen Natur in Widerspruch stehen.“


(Schluß folgt.)




Ein Bauerndramaturg im Hochgebirge.


Culturbild aus den Alpen von Fritz Keppler.


Ueber mir den tiefblauen Himmel, der sich wie eine ungeheure Kuppel aus leuchtendem Azur über das Hochgebirge herwölbte, lag ich, von tagelanger Wanderung müde, auf der wild zerklüfteten Felsenspitze des Sonnwendjochs und schaute hinüber zu den hinter dem Zillerthale emporragenden krystallblanken Eisgipfeln der Tauern, an denen sich die Strahlen der Abendsonne purpurfarbig brachen, und hinab in’s tiefe, sonnige Innthal, das in der bunten Fülle herbstlicher Farbenpracht tief unter mir schwamm. Winzig kleine blaue und rothe Punkte wimmelten auf dem marmorweißen Straßenstreifen, der sich am silberblinkenden Strome entlang von der Mündung des Alpach- zu der des Zillerthales erstreckt. Es sind die Sommerfrischlerinnen aus Brixlegg, die ihre reichen städtischen Gewänder, vielleicht zum letzten Male in diesem Jahre, in der Alpenwildniß zur Schau tragen. Ein eigenthümliches Gefühl der Sehnsucht nach Seinesgleichen übermannt häufig, wie Heimweh, den Menschen, der sich aus dem lärmenden Gewühle der Großstadt in die Stille der Einsamkeit geflüchtet, wenn er aus sicherer Ferne einen Blick in’s wirre Wogen der großen Welt wirft. So erging’s auch mir, der ich hoch erhaben über dem Treiben der Menschheit auf dem Gipfel des Sonnwendjochs stand und mit mitleidigem Spotte auf das fremdartige Gebahren der Leute da unten herabsah, die all ihren städtischen Putz und Plunder in das stille Alpenthal mit sich geschleppt, wo sie Jedermann, zumeist aber sich selber, damit zur Last fielen. Ich mußte lächeln über die Leutchen da unten, und dennoch zog’s mich unwiderstehlich hinab, wieder einige Stunden mit ihnen zu verleben. Noch einen Blick warf ich zurück zu der grünen Alme auf dem fernen Guffertjoche, wo ich mondelang in beschaulicher Einsamkeit gewohnt, dann flog ich über stundenlanges Gerölle am schwanken Bergstock in’s Innthal hinunter.

Während ich den steilen Abhang des Sonnwendjoches hinabsauste, zogen am östlichen Himmel schwarze Wetterwolken empor, die mit unheimlicher Eile über das Ziller- und Alpachthal herüberrückten und langsam von den jenseitigen Bergspitzen in’s Innthal hinabkrochen. Mit langen, gellenden Athemzügen pfiff der Sturmwind durch das Thal, daß sich die Lärchen, die an den Berghalden hinaufwuchsen, zitternd neigten, und dichte Staubwolken vor ihm auf zum verfinsterten Himmel emporwirbelten, den schwarzen Nebelballen entgegen, die sich schwerfällig von den Bergen herabwälzten. Ein wüstes Wolkenmeer, wirr durcheinanderwogend, lag unter mir und füllte mit seinen hochgehenden Wogen das Thal aus, in das ich mit rasender Eile hinabflog. Aus der qualmenden Finsterniß züngelten blaue Blitze herauf zu mir, um den noch die Lichtfluthen des Tages wogten, und vor der Stimme des Donners erbebte das Gebirge in all seinen Fugen, so daß ich wähnte, die Gipfel des Sonnwendjoches brächen krachend über mir zusammen. Jetzt rauschten die nassen Wellen des Nebelmeeres auch über mich herein, und von allen Schauern des Unwetters überfluthet, kam ich nur mit Mühe vollends nach Brixlegg hinunter.

Während mir des „Judenwirths“ freundliches Töchterlein, die braunäugige Marie, die durchnäßten Kleider am Herdfeuer trocknete, verzog sich fast ebenso schnell, wie es gekommen war, das Gewitter, und der Mond schüttete seine goldgrünen Strahlen durch die zahllosen Spalten und Luken, die der siegende Sturmwind in den Wolkenhimmel gerissen. Von einer warmen Wollendecke umhüllt, lag ich am Fenster meines Stübchens, der trockenen Kleider harrend, und schaute hinab in den Garten des Judenwirthes, der im taghellen Mondenlichte vor mir lag. Eine mächtige Gruppe alter Kastanienbäume schloß ihn nach hinten zu ab und warf ihren unheimlichen tiefen Schatten weit hinein auf die hellbeleuchtete Grasfläche. Plötzlich flackerten blutrothe Lichter zwischen den schwarzen Blättermassen hindurch und ein dumpfes Summen von vielen Menschenstimmen drang aus dem Hintergrunde des Gartens hervor. In demselben Augenblicke trat mit in die Augen fallender Eilfertigkeit die flinke Tochter des Judenwirths in meine Stube, um mir die mittlerweile getrockneten Kleider zu bringen. Sie war mit auffälliger Sorgfalt in die ernst-anmuthige Tracht des untern Innthales gekleidet.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 354. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_354.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)