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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

von den Carmeliterinnen als Betsaal benutzt wurde und beim Abbruche des Klosters stehen blieb, um für die Zwecke der Waisenanstalt eingerichtet zu werden. In Zukunft beabsichtigt man, die Capelle als ein Hospital zur Aufnahme solcher Kinder zu benutzen, welche an ansteckenden Krankheiten leiden. Die Länge der Front des Hauptbaues beträgt hundertvier Fuß. Durch die Mitte des Gebäudes laufen zwei durch alle Stockwerke gehende Scheidewände, welche den Hauptgang oder die Halle einschließen. Das Gebäude besteht aus einem Erdgeschoß, drei Stockwerken und den nöthigen Dachräumen. Zum Haupteingange gelangt man mittelst einer von zwei Seiten hinaufführenden Granittreppe, zwischen welcher sich der geräumige Eingang zum Erdgeschosse befindet. Im ersten Stockwerke sind der geräumige Speisesaal, das große Zimmer des Damennähvereins und mehrere andere Räumlichkeiten, die größtentheils den Zwecken des Directoriums dienen, gelegen. Auf der Südseite des zweiten Stockwerks befindet sich der Schlafsaal für die Mädchen nebst Balkonzimmer. Der bedeutende, zweitausendvierhundertachtzig Quadratfuß haltende Raum des Schlafsaales gestattet die Aufstellung von zweiundachtzig Betten. Die nördliche Seite dieses Stockwerks enthält zwei große und drei etwas kleinere Zimmer, welche letztere als Krankenzimmer für die Knaben und Mädchen dienen sollen. Im dritten Stockwerke liegt außer anderen Räumlichkeiten der Schlafsaal für die Knaben, dessen Dimensionen genau mit dem für die Mädchen bestimmten Schlafraum übereinstimmen. Vor dem Haupteingange des neuen Gebäudes liegt ein von Bogen, Säulen und Pfeilern gebildeter Porticus. Das Hintergebäude hat eine Breite von sechsundzwanzig und eine Länge von vierzig Fuß und enthält die Küchen, die Speisekammer, die Backstube, zwei Waschzimmer, zwei Badezimmer etc. Das Waschhaus stößt an die Küche, von der aus es zu jeder Zeit mit heißem Wasser versehen werden kann.

Obgleich der ganzen deutschen Bevölkerung Baltimores die Ehre gebührt, zum Ausbau der Waisenanstalt beigetragen zu haben, so sind es doch besonders zwei Männer, die seit Jahren fast alle ihre Kräfte dem Waisenhause gewidmet und unendlich viel für dessen Aufblühen gewirkt und gethan haben. Der Eine dieser beiden Männer ist der Präsident des Waisenvereins, Herr Gustav Facius, und der Andere der Secretär, Herr E. C. Linden. Beiden hat das Schicksal keine goldenen Schätze in den Schooß geworfen, aber ein edles Herz für ihre Mitmenschen schlägt in ihrer Brust, und die Sache der Waisen geht ihnen über Alles. Manchen Tag und manche Nacht haben sie für das Wohl der verlassenen Kinder gearbeitet, ohne eine andere Entschädigung zu erwerben, als den Dank ihrer Mitbürger. Und ist dies nicht der schönste Lohn für ihre Mühe und Arbeit?

Louis Lübkert.




Blätter und Blüthen.


Ein neuer Märtyrerstein. (Mit Abbildung S. 359.) Daß die großen Ereignisse unsrer Zeit auch auf die Anschauung und Beurtheilung unserer näheren Vergangenheit klärend und versöhnend wirken, hat schon vor zwei Jahren die Gartenlaube anzuerkennen gehabt, als sie (1872, Nr. 37) in Bild und Wort das Denkmal brachte, welches zu Kirchheimbolanden in der Rheinpfalz den Volkskämpfern errichtet worden ist, welche in der Vertheidigung der auf dem gesetzlichsten Wege zu Stande gekommenen deutschen Reichsgrundgesetze von 1849 den Tod fanden.

Heute schon können wir unsere Leser vor ein zweites Erinnerungsmal jener Zeit führen. Diesmal hat es jedoch nicht den Tod mit den Waffen in der Hand zu preisen, sondern es trauert jenen Opfern nach, welchen der Spruch eines Kriegsgerichts das rasche Ende bereitete.

Die Namen auf der Denkmalplatte nennen die Fünfe, welche auf dem Mannheimer Friedhofe jenseits des Neckar erschossen und begraben worden sind. An ihrer Spitze steht – Trützschler, – einer der edelsten und hochsinnigsten Männer der That, welcher der nationalen Bewegung des Jahres Achtundvierzig mit allem Feuer idealer Begeisterung sich anschloß, in der festen Ueberzeugung der Reinheit seines auf Deutschlands Größe und Einheit gerichteten Strebens. Standen vielleicht auch die andern Vier, die sein Schicksal theilten, nicht ganz auf seiner Bildungshöhe, so waren sie ihm doch gleich im tapferen Streben nach dem Ziele, das erst unsere Zeit, wohl auf viel blutigerem Wege, aber auch mit größerem Triumphe und Heimführung altverlorener Länder- und Städte-Perlen, endlich erreicht hat.

Wer an einem so errungenen Ziele steht, errungen nicht durch einen siegreichen Feldzug allein, sondern auch durch das vorhergegangene fünfzigjährige Bekämpfen des bösen Geistes der Undeutschheit, des Freiheitshasses und der Machteifersucht in den Kreisen, die den sogenannten deutschen Bund beherrschten – wer an dem Ziele steht, wo der deutsche Kaiser und der deutsche Reichstag gemeinsam für die Geistesfreiheit der Nation eintreten und die Einigkeit durch die Einheit der Macht gesichert ist – der darf sich wohl umsehen auf der langen Kampfbahn und gerecht und treu die Leiber der zerstreut gefallenen Helden desselben Kampfes zusammensuchen und unter einem Denkstein bestatten.

Dieser Gedanke ist’s, der in Mannheim zur Ausführung vorbereitet wird. Die im Mannheimer Friedhofe zerstreut begrabenen Opfer jener Zeit sollen in einer Gruft beisammen ruhen und über ihnen sich das Denkmal erheben, das unsere Abbildung mittheilt. Die dazu gewählte Stätte findet sich gleich am Anfang der zweiten Abtheilung des Friedhofs auf einem durch Wege abgegrenzten und nach der Eingangseite der Abtheilung abgestumpften Vierecke und umgeben von reich durch die Kunst geschmückten Familiengrüften.

Möge der gute Gedanke recht bald verwirklicht werden! Solche Märtyrersteine sind in unseren Tagen nicht Merkmale nachträglichen Vorwurfs und kleinlicher Genugthuung, sondern Zeugnisse der Versöhnung und der Gerechtigkeit, denen selbst der ehemalige Gegner jener Todten nunmehr, nachdem viel Vorurtheil und Wahn mit der alten Zwietracht versunken ist, die verdiente Ehre und Theilnahme nicht mehr versagt.




Das Scherflein der Kinderlosen. Unsere „Deutschen Blätter“ („Literarisch-politische Beilage zur Gartenlaube“) veröffentlichten im Jahre 1873 eine den Lehrerstand betreffende Anregung des Herrn Gustav Rietz, eines deutschen Kaufmanns in Bukarest. Der in der Ferne lebende patriotisch fühlende Mann beschäftigt sich seit Jahren ebenso herzlich wie emsig mit der Frage, wie Deutschland seinen Volksschullehrern eine ihrer wichtigen Aufgabe, der Hohheit und Würde ihres Berufes angemessene Lebensstellung verschaffen und sichern könne. Deutschland habe große Ziele errungen, sei zu machtvollem Aufschwunge gediehen, aber die bedrängte Lage seiner Lehrer, denen es doch zum großen Theile diese Erfolge zu danken habe, von denen es einen so wirksamen Einfluß auf die glückliche Gestaltung der weiteren Zukunft erwarten müsse, sei ein schwacher Punkt seiner Kraft und ein unleugbarer Flecken auf dem Glanze seines Ruhmes. Ob der Staat den Lehrern nicht durchgreifend helfen wolle, oder ob er es nicht könne, ist wirklich zunächst für die Nothleidenden gleichgültig, denn ihre Bedrängniß bleibt bis zur Entscheidung der Streitfrage nach wie vor dieselbe. Während aber der Staat doch etwas thut, verhält sich das Volk und der Bürgerstand dem argen Schaden, der schweren und beschämenden Calamität gegenüber noch immer theilnahmlos und unthätig, als ob es eine Sache beträfe, die sie nichts anginge, in die sie nicht gleichfalls aus eigenem Antriebe einzugreifen hätten. Eltern freilich, denen die Erziehung von Kindern obliegt, zahlen dem Schulwesen und somit den höheren Aufgaben der Gesellschaft schon einen entsprechenden Tribut, und man weiß, wie sauer ihnen das in zahllosen Fällen wird. Was aber thut die große Masse der Kinderlosen und Unverheiratheten, die sich doch gleichfalls aller Segnungen, Vortheile und Annehmlichkeiten erfreuen, welche die Förderung und der Fortschritt der Cultur der Gesammtheit aller Staatsbürger bringt?

Hier ist der Punkt, an welchen der Vorschlag des Herrn Rietz sich knüpft. Ungefähr nach der Organisation des Gustav-Adolf-Vereins will er einen über ganz Deutschland sich verbreitenden, etwa in Berlin centralisirten Verein gegründet sehen, in dessen Casse jeder selbstständige Mann, der keine Kinder zu ernähren und zu erziehen hat, jährlich nicht mehr als einen einzigen Thaler zahlt. Aus den reichen Mitteln, die hierdurch zusammen kämen, sollen dann Volkspensionen für alte und gebrechliche Lehrer, für Wittwen und Waisen von Lehrern und zur Aufbesserung von Lehrergehalten in armen Gemeinden bestritten werden. Der Anreger des Gedankens setzt voraus, daß in jeder Stadt, in jedem Städtchen und Dorfe sich einige Männer finden, die sich der Sache annehmen, und daß kein „Kinderloser“ sich der kleinen Steuer entziehen wird, wenn er den Blick auf den Nachbar richtet, der jährlich so viele Thaler für die Kinder ausgeben muß. Wir unsererseits setzen das nicht so ohne Weiteres voraus, aber schon die „Deutschen Blätter“ bemerkten zur Zeit, daß Schwierigkeiten allein nicht von der Verwirklichung eines guten und edlen Planes zurückschrecken dürfen. In der That ist die Idee schon in vielen Kreisen mit warmer Theilnahme aufgenommen worden, so daß Herr Rietz sich ermuthigt fühlte, die Verwirklichung der von ihm sehr rüstig betriebenen Angelegenheit der binnen Kurzem in Breslau tagenden „Allgemeinen deutschen Lehrer-Versammlung“ in einem besonderen Flugblatte an’s Herz zu legen. Was freilich die Lehrer selber in Bezug auf eine Dotation thun können, die ihnen von dem dankbaren Pflichtgefühle des Volkes entgegengebracht werden soll, steht noch dahin. Jedenfalls aber hielten wir uns für verpflichtet, auch unsererseits die Aufmerksamkeit auf ein immerhin der ernsten Erwägung würdiges, aus den reinsten und selbstlosesten Motiven hervorgegangenes Project zu lenken.




Kleiner Briefkasten.


H. M. in Minden. Lieber Herr, warum so viel Lärm über die „Erinnerungen einer Siebzigjährigen“? Wer es trotz „dieses Lebens Ungemach“ zu so hohen Jahren gebracht hat, der darf sich wohl einmal ungestraft einen kleinen Gedächtnißfehler zu Schulden kommen lassen. Es ist nach so langen Jahren kein Verbrechen, der Lamberti-Kirche in Münster, welche – Sie haben Recht – nur einen Thurm hat, einen zweiten anzudichten und die Käfige der Wiedertäufer zu vergessen.




Mit nächster Nummer beginnt die bereits angekündigte Novelle:


„Gesprengte Fesseln“.


Von E. Werner, Verfasser von „Am Altar“, „Glück auf!“ etc.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 362. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_362.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)