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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

die vor jedem Hause eine Salve loslassen und dadurch das am folgenden Tage zu fordernde „Pfingsterecht“ ankündigen. Vor den Thüren stehen die Väter und die älteren Burschen des Dorfes, schauen dem Treiben zu und beloben oder tadeln, je nach Geschicklichkeit ihres Klatschens, die Knaben.

Am Morgen des zweiten Feiertags, bei Tagesgrauen, wenn die Alten noch ruhen, kommen die Knaben zusammen, ihre Maien zu schmücken. Die Mädchen bringen ihren Strauß, die Knaben ihr Band. Jeder Knabe bindet sein Band an den Strauß seines Mädchens. Und so wird jeder Strauß an einen der Aeste befestigt und die also gezierte Maie wogt stattlich unter der bunten Last.

Ist der Morgengottesdienst vorüber, so ziehen die Knaben in Truppen von 10–15 mit ihren Maien im Dorfe herum, um von Haus zu Haus die Festgaben an Eiern, Dürrfleisch und Wein zu sammeln. Ihre frischen Gesichter verkünden hohen Jubel. Die bunten Bänder wehen in der Luft. Einer trägt den Maien, ein Paar den Korb mit Eiern und Dürrfleisch, noch ein Anderer das Logel, worein der Wein geschüttet wird. In manchen Dörfern wird ein Knabe ganz mit grünen Zweigen umgeben, und die grüne wandelnde Pyramide bedeutet den Frühling, den die Knaben heimführen mit dem Rufe der Meise: „Zitt ésch da! Zitt ésch da!“ Die Mädchen schauen in einer Ecke dem Zuge nach und blicken begehrlich nach den ihnen bestimmten Bändern. Die ältere Jugend steht in Gruppen vor den Häusern und sieht, die „Maienknechte“ freundlich neckend, dem Zuge zu, der bald von einem anderen ersetzt wird, während dem die Hausmutter das Hühnerhaus und die Rauchkammer besucht und den Maienknechten, worunter sie vielleicht einen Sohn hat, die übliche Gabe bereitet.

Welche malerische Tracht! Die Knaben tragen schwarzgraue, reich mit hellen blinkenden Metallknöpfen besetzte Mutzen (Wämser), die kaum bis zur Hüfte gehen, und gleichfarbige Hosen, die ebenfalls stark mit stählernen Knöpfen besetzt sind. Unter dem offenen Wamse blickt das scharlachrothe Brusttuch hervor, das auf dem Rücken von gleicher Farbe ist. Dabei tragen die Knaben die scheckigen, Wohlstand verkündenden Pelzkappen von Iltis, an welchen inwendig das Scharlachtuch hervorschimmert. Es ist die alte alemannische Tracht, wie sie noch theilweise in Schwaben, im Schwarzwald und den hanauischen Gegenden Badens von Stammverwandten getragen wird.

Die Maide sind noch bei weitem malerischer angethan. Kurze Röcke von allen Farben, grün, roth und blau, nicht so kurz wie diejenigen der Bäuerinnen des Berner Oberlandes, aber ungefähr nach dem nämlichen Schnitt, mit unten am Saume des Rockes besetzten breiten seidenen Bändern, die von anderer Farbe als die des Rockes sind. Desgleichen ist das vorne scharf ausgeschnittene Mieder mit Bändern ähnlicher Farbe besetzt. Das Mieder aber ist von andersfarbigem, seidendurchwirktem, blumigem Stoffe. Vorn steckt in dem Mieder der Brustlatz oder das Brusttuch, herzförmig mit den buntesten Bändern und Silber- und Goldflitter geziert. Auf den Köpfen haben die Mädchen kleine, niedrige Hauben, deren Rand mit breiten Seidenbändern besetzt ist, die vorn auf der Stirne in einen gewaltigen Schlupf auslaufen. Die Schuhe der Mädchen, alt oder jung, sind oben ganz ausgeschnitten, bis fast auf die Zehen und lassen von der an dem Ende des Leders angebrachten Schleife von Seidenband die schönen weißen Zwickelstrümpfe sehen, auf die sich die Mädchen viel zu gute thun.

Die älteren Personen sind meist in dunklere Farben gekleidet. Doch auch die Frauen tragen, wenn sie nicht im Leide sind um verstorbene Angehörige, blinkend weiße, leinene Schürzen.

Doch wir kehren zu unserm Maienfeste zurück. Auf ihrem Umzuge stimmen die immer herzhafter werdenden Knaben einen recitativartigen Gesang an, der also lautet:

Da komme die junge Majeknecht’
Und habe gerne Pfingsterecht!
Drei Eier, unn e Stück Speck
Von der Mohre Seit’ ewäck,
E halb Moos Wein
In de Küwwel ’nein,
Do wölle, do wölle
Die lustige Majeknecht’ zefredde sein.

Sie erhalten das Begehrte, Eier, und wenn die Hausmutter an ihre glücklich verlebte Jugendzeit zurückdenkt, so erweitert sich das Herz und sie holt aus der wohlgefüllten Rauchkammer ein Stück aus der Seite eines Schweines; der Vater steigt wohl auch in ähnlichen Gedanken hinab in den Keller, zapft vom weniger starken Weine, indem er den Knaben doch mit der Stärke desselben droht und sie vor dem Rausche warnt.

So wird das ganze Dorf durchzogen. Kein Haus wird übergegangen, es sei reich oder arm. Der Eierkorb, den zwei Knaben an einem durch die beiden Henkel durchgestoßenen Stabe tragen, füllt sich mit Eiern und Speck. Der große Weinlogel muß, wenn der Wein im Vorjahre gerathen ist, wohl ein oder zwei Mal geleert werden.

Ist der Umzug vollendet, so wird aus den Vorräthen in dem Hause eines Cameraden die Mahlzeit bereitet. Die Knaben eilen heim und holen sich Jeder ein tüchtiges Stück Mohzen (weißer Semmelkuchen), den man auf die Feiertage bäckt, wie es auf den Dörfern üblich ist.

Nun aber wollen auch die Sträußespenderinnen ihren Dank. Sie nähern sich allmählich dem Hause, wo der Maien prangt. Manche bleiben scheu in der Ferne stehen. Die Buben knüpfen jetzt ihre Bänder vom Maien los und bringen sie ihren Schätzchen. Wie eigen! Oft muß Einer dem Seinigen weit durch das Dorf nachlaufen und ihm das Band gleichsam aufdringen.

Auch die Mädchen haben sich Eier und sonstige Lebensmittel, auch etwas Wein zusammengetragen und freuen sich miteinander ihrer Bänder. Aber bald wird es draußen auf der Gasse immer lebendiger. Rauschende Musik aus der Ferne erschallt. Die Jauchzer der Bursche des Dorfes, die, mit den Musikanten an der Spitze, ihre Maide zum Tanze abholen wollen, kommen immer näher. Die Knaben lassen sich bei ihrem Essen nicht mehr länger halten. Der leichte Wein hat doch am Ende die jungen Herzen fröhlicher gestimmt. Sie eilen hinaus und schließen sich springend und singend dem Zuge der größeren Jugend an. Die Musikanten spielen die im Dorfe seit alter Zeit beliebtesten stattlichen Märsche. Mit Jauchzern vermischt ertönt der Gesang:

Jetzt kome–n ihr Maide
Zum Spiele, zum Tanz.
Der Pfingstequack springet
Im grüne Kranz.

Wir drehen euch lustig
Im Wirbel herum; –
Der Spielmann, er spielet
Mit der kleine Gikelgeia,
Mit der große Bumbum.

Den Jungen ist der Tanzplatz nicht verwehrt, und wie die älteren „Burscht“ kaufen sie ihren Mädchen einige scheibenförmige, in der Mitte mit einer Mandel gezierte Lebkuchen oder ein mit Rosen, Tulpen und Vergißmeinnicht bemaltes Lebkuchenherz, das diese verschämt und freudig hinter den Brustlatz stecken und so zum Tanze geführt werden.

Welche schöne harmlose Jugendzeit, wo noch jede rohere Regung schweigt! Es ist die Zeit der reinsten Liebe. Die Kinder, sie lieben, wie ihre Eltern es gethan; durch den losen Hag der Nachbarsgärten ihrer Eltern reichen sie sich die Händchen, kommen zusammen an der trautesten Stelle, spielen allerlei Spiele, „Hochzitles“, „Kindtäufels“, „Grablöchels“, wobei sie einen todten Vogel oder ein in dem Stalle von dem Großvieh todtgetretenes Kaninchen weinend und lachend begraben und auf den Grabhügel ein mit zwei Stäben verfertigtes Kreuz pflanzen. Bald treffen sie sich auf dem Kreisplatze, ersetzen die ihnen vorangehende ältere Jugend und werden wieder ersetzt. Die Liebe erwacht lebendiger, aber ach! auch die Leidenschaft und das Leiden. Doch vor Liebesweh stirbt nicht leicht an Auszehrung Einer oder Eine. Dafür ist das Landvolk noch zu kernhaft, die Luft zu gesund, der Wein zu gut, die Burscht und die Maide dabei allzu fröhlich, und der festeste Stab für jeden Lebenspfad ein unbegrenztes Gottvertrauen.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 376. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_376.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)