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verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Absonderlichen dieser Stellung. Alle übrigen Bewegungen des Thieres geschehen mit außerordentlicher Langsamkeit und Bedächtigkeit, auch ungleich schwerfälliger als die des zweizehigen Faulthieres, welches unzweifelhaft viel höher begabt ist, als der Aï, und durch eine gewisse Behendigkeit in den Füßen das zu ersetzen weiß, was dieser durch die Gelenkigkeit des Halses vor ihm voraus hat.

Beim Klettern setzt der Aï langsam einen Fuß vor den anderen, die langen Sichelkrallen einfach wie Haken benutzend, und ehe er einen anderen Ast gepackt hat, läßt er den ersten sicherlich nicht los. So ungeschickte Werkzeuge die hakigen Krallen zu sein scheinen, so trefflich erfüllen sie ihren Zweck. Die Fertigkeit aller Faulthiere, an einen Ast oder auch an eine glatte Stange sich anzuklammern, setzt in Erstaunen. Man kann solche Stange drehen und wenden, wage- oder senkrecht, schief nach oben oder nach unten halten, ohne daß das Thier seinen Halt verliert. Selbst wenn es sich nur mit zwei Füßen, gleichviel ob mit den beiden vorderen oder hinteren, deren einer Seite oder mit einem Vorder- und dem andersseitigen Hinterfuße angehakt hat, hängt es fest und sicher, ohne jemals Ermüdung bemerken zu lassen, möge seine Stellung sein wie sie wolle. Die Gliedmaßen zeigen bei dem Wechsel der verschiedenen Stellungen eine Gelenkigkeit, welche man am liebsten Gelenklosigkeit nennen möchte, so vollständig weiß das Thier sie um ihre Achse zu drehen. Ob die Krallen nach dieser oder nach jener Seite hin gewendet werden, ist dem Faulthiere gleichgültig; seine Beine gleichen in Ansehen und Bewegung Stricken mehr als gegliederten Geh- beziehentlich Hängewerkzeugen.

In der Regel verschläft das Faulthier den ganzen Tag, es sei denn, daß trübes Wetter es an der Tageszeit irre werden läßt. Es erwacht in den späteren Nachmittagsstunden und beginnt nun zunächst, das Haarkleid zu ordnen. Zu diesem Ende hängt es sich mit den beiden Beinen einer Seite auf und benutzt die Klauen der freigewordenen Füße als Kämme. Ist die eine Seite geputzt, so wechselt es die es tragenden und strählenden Füße einfach um. Die Ordnung der Haare geschieht mit ebensoviel Sorgfalt als Bedachtsamkeit, und in dem so wenig beweglichen Gesichte zeigt sich dabei der unverkennbare Ausdruck jener Behaglichkeit, welche alle Thiere beim Kratzen ihrer Haut oder Krauen ihres Felles erkennen lassen. Nachdem das Geschäft des Putzens beendet, denkt das Faulthier an seine Nahrung. Ist es gewöhnt worden, aus einem Napfe zu fressen, so läßt es mit den Vorderfüßen die Hängestange los, beugt sich kopfabwärts nach unten, stützt sich vielleicht auch leicht mit den Vorderfüßen auf und frißt; wird es von seinem Pfleger geatzt, so läuft es, unruhig denselben erwartend, im Käfige hin und her, geht oder klettert dem endlich erscheinenden Manne eilfertig entgegen, versucht sich an ihn anzuhängen und nimmt, ergriffen und in den Schooß des sitzenden Pflegers gelegt, sofort die diesem bequemste Stellung ein, indem es sich auf den Rücken legt, alle vier Glieder von sich streckt und mit den Krallen an den Kleidern seines Freundes sich festhält. Der Unau öffnet sein großes Maul weit und frißt, eifrig kauend, mehrere Bissen rasch nacheinander; der Aï ißt sehr zierlich und nur kleine dünne Scheibchen. Eine Art wie die andere bekundet Vorliebe für den einen oder den andern Nahrungsstoff und nicht allein einen keineswegs unentwickelten Geschmack, sondern selbst eine gewisse Leckerhaftigkeit. Nach geschehener Sättigung pflegt das Thier eine nochmalige Ordnung seines Haarkleides vorzunehmen, hierauf in seiner Weise spazieren zu gehen, sodann eine Weile verdauend zu ruhen, hierauf sich wieder zu bewegen etc. So verbringt es die Nacht.

Um andere lebende Wesen bekümmert sich das Faulthier erst dann, wenn dieselben ihm in unerwünschte Nähe kommen. Daß es weder Haß noch Liebe an den Tag legen soll, ist falsch. Wenig gesellig, läßt es sich zwar anscheinend mit Gleichmuth gefallen, wenn man ein zweites Stück seiner Art zu ihm bringt, keineswegs aber, wenn man ihm die Gesellschaft anderer Thiere aufzwingt. Als ich versuchsweise einen Aï zu einem längere Zeit von mir gepflegten, in seinem Käfige bereits eingewohnten Unau unterbringen wollte, gerieth letzterer in eine Aufregung, welche mich in Erstaunen setzte, eilte rasch auf den Ankömmling zu, versetzte ihm zunächst, weit ausholend, einige Schläge mit den Klauen des einen Vorderfußes, näherte sich sodann mehr und gebrauchte die Zähne, so gut deren Mangelhaftigkeit gestattete. Der Wärter, welcher beide Thiere trennen mußte, bekam ebenfalls den Zorn des erbosten Geschöpfes zu fühlen. Daß das Thier auch der Liebe nicht unzugänglich ist, erfuhr mein Berufsgenosse Funk, Leiter des Kölner Thiergartens, welcher das außerordentliche Glück hatte, ein trächtiges Faulthier und von ihm ein Junges zu erhalten. Letzteres wurde von seiner Mutter sehr sorgfältig gepflegt und erst, nachdem es halb erwachsen war, von ihr abgestreift und zur Selbstständigkeit gezwungen.

Ich habe mit vorliegender Skizze die Naturgeschichte der Faulthiere selbstverständlich nur in groben Umrissen zeichnen können, glaube aber doch bewiesen zu haben, daß sie die Geringschätzung, unter welcher sie bisher zu leiden gehabt haben, nicht verdienen. Was uns an ihnen unverständlich erscheinen will, wird uns klar, wenn wir sie im Zusammenhange mit ihrem Wohngebiete betrachten. In ihm erfüllen auch sie, wennschon vielleicht nicht einen besondern Zweck, so doch wohl einen bestimmten Wirkungskreis, und dieser ist größer, als wir bisher angenommen haben.




In der Bildergalerie.
2. Wie die Bilder uns ansehen.


Im vorigen Aufsatze wurde von der absichtlichen Verkörperung der Gemälde gesprochen; im Folgenden wird von einer mehr unfreiwilligen Belebung derselben die Rede sein, welche in Romanen eine große Rolle spielt, und auf gläubige oder abergläubige Gemüther stets eine gewaltige Wirkung ausgeübt hat. Wir meinen zunächst die bekannte Eigenthümlichkeit vieler Portraits, immer „Aug’ in Auge“ mit dem Beschauer zu bleiben, scheinbar also den Augapfel zu bewegen. Dichter und Erzähler aller Art haben die Scenen weit ausgemalt, in denen ein Gemälde die Rolle einer handelnden Person übernimmt. Sie schildern die Seligkeit des Liebenden, wenn die Augen eines Portraits des geliebten Gegenstandes auf ihm ruhen, woran sich freilich auch, wie in der liebenswürdigen „Zimmerreise“ Xavier de Maistre’s, ein Ausbruch der Eifersucht schließen kann, wenn er bemerkt, daß das Portrait mit allen im Zimmer anwesenden Personen auf gleiche Weise liebäugelt. Sie schildern die qualvollen Scenen, welche das ungerathene Kind vor dem Portrait seiner im Grame verstorbenen Mutter, der Mörder vor dem Bilde seines Opfers zu bestehen hat, wie solche Bilder endlich beseitigt oder mit Vorhängen bedeckt werden müssen, da die Geängstigten sich an keiner Stelle des Zimmers sicher fühlen, ja selbst die peinliche Empfindung haben, im Rücken angeschaut zu werden, wenn sie sich umgewendet haben. In den Ritterromanen führen uns ähnliche Schilderungen meistens in die ehrwürdigen Ahnen-Galerien. Den Feigling peinigen dort die zornigen Blicke seiner braven und tapferen Vorfahren; der Erbe des Hauses sieht die Blicke des ganzen Geschlechtes auf sich vereinigt; der Zögernde wird ermuthigt und der Frevelnde erschreckt. In Stunden der Erregung bleibt es nicht bei der bloßen Augenbewegung. Die Ahnen neigen sich zustimmend gegen den würdigen Träger ihres Namens oder blicken drohend und durchbohrend auf den entarteten Nachkommen; sie scheinen aus den Rahmen zu springen, wenn er sich schnell von ihnen abwendet.

Diese zuweilen bis zu einem gespenstigen Eindrucke gesteigerten Gesichtstäuschungen sind in der flächenhaften Fixirung des Bildes begründet. Die Umstände, welche uns über die Richtung der Blicke einer Person belehren, betreffen einestheils die Stellung des Augapfels in der Augenlidspalte, die wir an der Lage der Pupille erkennen, und dann die Richtung des Gesichtes selbst. Nur die Verbindung beider Bedingungen gewährt einen sichern Schluß, wie der berühmte englische Physiker Wollaston in einer lehrreichen Abhandlung über diesen Gegenstand nachgewiesen hat. Er zeigt darin nämlich, daß dasselbe Augenpaar in einer Zeichnung ganz verschiedene Richtungen anzunehmen scheint, sowie auch

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verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1874, Seite 386. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_386.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)