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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Francisco seinen zweiten Flibustierzug nach Nicaragua. Miller schloß sich demselben an und half jenes Land erobern. Der aristokratische Bandenchef, Sohn einer stolzen virginischen Familie und besonderer Günstling des damaligen Kriegsministers Jefferson Davis, schloß enge Freundschaft mit dem genialen Californier, und dieser hat in seinem Gedichte „Mit Walker in Nicaragua“ jenem zweifelhaften Helden ein unvergängliches Denkmal errichtet.

Die amerikanischen Usurpatoren wurden nach einer kurzen Herrlichkeit von wenigen Monaten durch die vereinigten Truppen von Honduras und Nicaragua geschlagen. Walker, zu stolz, um zu fliehen, wurde standrechtlich erschossen. Nur eine Handvoll seiner Leute entkam, unter ihnen auch Miller. Letzterer kehrte nach Californien zurück und ging stehenden Fußes wieder unter die Indianer. Hier hatte sich aber in der kurzen Zeit eines Jahres viel geändert. Die beständigen Kriege und Kämpfe hatten die Reihen der rothen Helden stark gelichtet; die meisten seiner Waffengefährten waren gefallen; von den näheren Bekannten lebten fast nur noch Worretotot und dessen Tochter. Noch einmal versuchte es Miller mit seiner Indianerrepublik; er hielt bei dem gegen die drei Stämme heranziehenden Bundesmilitär um einen Waffenstillstand an, die Officiere handelten jedoch verrätherisch an den Parlamentären, und Miller rettete sich mit knapper Noth. Dies bestimmte ihn zu einem verzweifelten Schritte; er organisirte einen förmlichen Vernichtungskrieg gegen Militär und Grenzer. In der genialsten Weise und unter tausend Gefahren verschaffte er den Rothhäuten Waffen und Munition, wurde aber schließlich bei diesem Paschergeschäfte gefangen. „Hängt mich nicht, sondern erschießt mich!“ flüsterte er dem Sheriff zu, und dieser brachte ihn vorläufig in Haft. In der Nacht erschien seine Jugendgespielin, das von dem Spieler gerettete Modocmädchen; das Gefängniß wurde erbrochen und auf raschen Pferden begann die Flucht. Eine Abtheilung Cavallerie folgte; in den Sacramentostrom stürzten die Verfolgten und mehrere Carabinersalven wurden ihnen nachgeschickt; schwer verwundet erreichte Miller und tödtlich getroffen die Indianerin das andere Ufer. Diesen entsetzlichen Ritt um’s Leben findet man in seiner „Geschichte des schlanken Alcalde“ geschildert.

Miller sah, daß die Sache der Indianer verloren war und daß jedes weitere Opfer nutzlos sein würde; er berief eine Rathsversammlung und schlug vor, sich zu unterwerfen und sich von der Regierung ein Jagdgebiet anweisen zu lassen. Die rothen Krieger beschlossen jedoch, das Land ihrer Väter zu behaupten und bis zum letzten Mann zu kämpfen. Miller überließ sie ihrem Schicksale. – In einer nahe gelegenen Ansiedlung machte er die Bekanntschaft eines Advocaten und studirte bei diesem die Rechte; kaum zwanzig Jahre alt, etablirte er sich als Rechtsanwalt. Ein Advocat ist in jenem halb wilden Lande etwas Anderes als in einem civilisirten Gemeinwesen. Wehe dem Juristen, der dort in den Gesetzen vollständig, mit dem Revolver aber nur halb Bescheid weiß! Er ist verloren. Der erste beste Raufbold, gegen den er plaidirte, schießt ihn nieder, und es kräht kein Hahn danach. Miller war der Mann für jene barbarischen Zustände; er wußte vom Ius gerade genug, um nicht erröthen zu müssen, wenn sich einer seiner Gegner am Gerichtshof – die glücklicher Weise auch keine von der Pfordten waren – auf eins der ersten Capitel von Blackstone’s Commentaren bezog; dagegen war er außerordentlich flink mit dem Revolver, und die gefährlichen Subjecte fürchteten diesen Schützen, von dem man sagte, daß er seinen Mann nie fehle. Der unerschrockene Advocat erwarb sich rasch einen Namen; aber die in seiner Natur liegende Unrast ließ ihn nirgends verweilen. In der Mitte der sechsziger Jahre strömte Alles nach den Goldminen Idahos; Miller wurde gleichfalls dorthin verschlagen, und da Richter Lynch, der allein dort herrschte, keinen Vertheidiger zuließ, so etablirte sich unser vielseitiger Mann als Expreßbote, wozu ihn seine bei den Indianern erworbene Kenntniß des Landes ganz besonders befähigte. Riesige Summen wurden von ihm, trotz aller Wegelagerer, glücklich nach Yreka befördert; kein Räuber wagte, den kühnen Reiter anzufallen, und in kurzer Zeit hatte er mit diesem waghalsigen Geschäfte circa viertausend Dollars verdient.

Miller suchte ein neues Feld der Thätigkeit und fand dasselbe in einem Wochenblatte, welches er in Common-City herausgab und redigirte. Gerade zu jener Zeit herrschte in der amerikanischen Presse eine fieberhafte Aufregung; in Virginien wurden die letzten Schlachten des Bürgerkrieges geschlagen, und in den loyalen Staaten steigerte sich die Erbitterung der Parteien noch einmal auf einen fast nie dagewesenen Grad. Auf die Bundesregierung, welche seine Gründungspläne so wegwerfend behandelt, deren Militär ihn wie einen Verbrecher gehetzt und verfolgt hatte, war unser neugebackener Journalist von vornherein nicht gut zu sprechen; der frühere Einfluß seines Freundes Walker, dessen Ideal bekanntlich eine Universal-Sclaven-Oligarchie war, mochte gleichfalls in die Wagschale fallen, und Miller nahm Partei für den Süden in einem Staate, wo jeder denkende Bürger auf Seiten der Freiheit stand. Zu derselben Zeit machte er einen zweiten, noch verhängnißvolleren Mißgriff. Unter den Correspondenten seines Blattes war eine Dichterin, Fräulein Minnie Theresa Dyer, die Tochter einer Waschfrau. Miller stattete ihr einen Besuch ab, kam sah und siegte; allein war er gekommen, mit einer Frau kehrte er zurück. Sehr bald fand er aus, daß die Frau seiner nicht würdig war. – –

Die leidenschaftliche Sprache und bundesfeindliche Haltung seiner Zeitung blieb von Seiten des Militärcommandanten nicht unbeachtet, und das Blatt wurde unterdrückt. Miller wurde jedoch in der nächsten Wahl zum Kreisrichter erwählt; augenscheinlich geschah dies von Seiten der Goldgräber und Ansiedler als Protest gegen das willkürliche Verfahren der Regierung, denn die Unterdrückung eines Blattes in dem Lande der Preßfreiheit gilt dem Amerikaner in jedem Falle als etwas Unerhörtes. Der vierundzwanzigjährige Daniel machte seinem neuen Stande alle Ehre. „Mit einem nicht allzu dicken Gesetzbuche“, sagt er launig, „und zwei sechsläufigen Revolvern gelang es mir vortrefflich, der Themis Achtung zu verschaffen.“

Im Jahre 1869 bewarb sich der Kreisrichter Miller um das Amt eines beisitzenden Staatsoberrichters, – hier aber sollte seine Carrière scheitern. Die persönlichen Feinde und politischen Gegner des Dichters hatten eifrig seiner dunklen Vergangenheit nachgespürt, und kurz vor der entscheidenden Wahl begannen die Enthüllungen. Miller war im ganzen Staate unmöglich geworden. Seine Frau war eine der Ersten, welche sich gegen ihn wandten; eine Scheidung wurde erwirkt, und die Dame machte ihrer Abstammung alle Ehre; sie hat seitdem unermüdlich auf dem Rostrum und in der Presse das Zeug des Dichters – gewaschen. Der in seiner bürgerlichen Stellung vernichtete Poet raffte seine Manuscripte zusammen und wandte sich nach dem Osten. In New-York lachte man ihn aus, als er seine wildfremden Gesänge einem Verleger anbot. Miller reiste nach London, und dort wäre er fast verhungert. Durch einen Zufall wurde die Rosetti auf ihn aufmerksam, und sein Glück war gemacht. Sein Buch erschien bei der aristokratischen Verlagsfirma Langman und Brüder unter dem Namen, welchen er seitdem führt, und als Miller eines Morgens aufstand, war er ein berühmter und gleichzeitig ein reicher Mann. Die ersten Kreise Londons erschlossen sich dem berühmten Dichter, und der schöne blondgelockte Amerikaner war der Liebling der feinen Welt.

Im Frühling des Jahres 1872 kehrte der Poet nach einer kurzen Tour durch Südeuropa in seine Heimath am Shastagebirge zurück. Sein Ruhm war ihm vorausgeeilt und seine Vergangenheit vergessen, höchstens daß ein neidischer Literat oder ein scandalsüchtiger Journalist auf dieselbe zurückkam. Miller besuchte noch einmal die Spielplätze seiner Kindheit, die Jagdgründe seiner Jünglingsjahre, die Schlachtfelder, auf denen er, ein neuer Themistokles, neben den Barbaren gekämpft, auf denen jeder seiner Winke, jedes Wort einst Tod und Verberben bedeutete. Doch wo waren die mächtigen Stämme, welche sich vor einem halben Menschenalter um ihn schaarten? Bis auf etwa hundert Familien ausgerottet, – gestorben und verdorben. Der junge Modochäuptling Capitain Jack hatte die Reste der drei Stämme um sich versammelt, und über den unglücklichen Rothhäuten zog sich gerade damals das Gewitter zusammen, welches die kleine stolze Nation der Shasta-Indianer fast bis auf den letzten Mann vernichten sollte und welches unter dem Namen Modockrieg einen Weltruhm erlangte.

Der Dichter war nicht gekommen, dem Capitain Jack seinen Rang streitig zu machen. Weshalb er das Modoc-Land durchstreifte, mag er hier selbst erzählen. „Ein Gerücht war zu mir

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 404. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_404.jpg&oldid=- (Version vom 28.8.2018)