Seite:Die Gartenlaube (1874) 416.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

und Rothdorn, und eingerahmt in Maiengrün und halb verschleiert in Morgenduft die alte Feste Coburg. Würziger Fliederduft und Nachtigallenschlag empfangen, umfangen mich.

Ja, der treffliche Künstler, der die schlagende Nachtigall im Fliederbusche gezeichnet, hat richtig beobachtet und poetisch gestaltet: die Blüthe des Flieders und des Nachtigallenliedes gehören zusammen. Das naturwahre und in jeder Linie poetische Bild ist in der That ein kleines Meisterstück. Figur und Haltung der königlichen Sängerin sind ganz offenbar der Natur abgelauscht. Scheint es doch, als strömte eben die schmelzendste ihrer sehnsuchtathmenden Strophen aus der kleinen zaubermächtigen Kehle und müßte auch dem äußeren Ohre vernehmlich werden.

Die Nachtigall im Fliederbusche! Der darstellende Künstler hat Recht. Wenn es auch vielleicht poetischer ist, die „Sängerkönigin“ mit der „Blumenkönigin“ zu vermählen, in der goldenen Mitte der gemäßigten Zone der nördlichen alten Welt ist die volle Gluth des Nachtigallenliedes bereits abgekühlt, wenn die Rosengluth erst recht aufflammt, und die Nachtigall des Orients, welche „der Rose ihre schönsten Liebeslieder singt und Demantperlen aus ihrem glühenden Kelche schlürft“, ist nicht unsere Nachtigall, sondern ein ganz anderer Vogel.

Doch halt! Durch all das eben erwachte krause, bunte Liedergewirr hindurch klingt wieder die hellste der Strophen.

„Nachtigallen in Coburg? Sind sie nicht seit Jahren von dort verschwunden?“

Ach leider ja! Hier wie an manchen anderen Orten, wo sie sonst zahlreich vertreten waren.

„Und doch Nachtigallenschlag?“

Und doch! Es ist ein Paar der Nachtigallen des hiesigen Vogelschutzvereins, der sich unter Anderm die Aufgabe gestellt hat, die edelsten der Sängerinnen womöglich wieder einzubürgern. Es ist das unter meine persönliche Pflege genommene Paar, dessen treffliches Männchen so prächtig schlägt, meist die ganze Nacht hindurch schlägt.

Drüben im boscagereichen blühenden Parkgarten ist ein mit halbem Bretterdache versehener geräumiger Drahtkäfig über hohes Flieder-, Jasmin- und Spiräengebüsch geflochten, das lustig grünt und blüht. Ein kleiner Springbrunnen liefert frischen Trunk und kühles Bad. Der Boden ist zum Theil mit trockenem Laub, besonders mit Eichenblättern bedeckt, unter welchen sich allerlei Gewürm verbirgt und das vorzugsweise zur Grundlage des Nestes gewählt wird. Dürres Gras und Gewürzel, Borsten, Pferdehaar und Agavenfasern liegen zur Verwendung für den Nestbau bereit. Denn das wohlgepflegte Sängerpaar soll nisten, Eier legen, Junge erziehen. Dann soll Ende Juli oder Anfang August die Thür geöffnet werden. Jung und Alt werden in der Nähe des Brutkäfigs, natürlich auch darin, alle Bedingungen für ihr Wohlsein finden; der stille, dicht bebuschte Platz ist wie geschaffen für sie. Kommt dann Ende August und September die Zugzeit und erwacht der mächtige Wandertrieb, so mögen sie ungehindert hinziehen in ihre afrikanischen Winterquartiere, in’s grüne Nilthal oder zu den Aschantees; sie werden dann, trifft sie nicht ein besonderes Unheil auf der weiten Wanderung, sicher zu der liebgewonnenen Geburtsstätte zurückkehren und mit alter Liebe empfangen und gehegt und gepflegt werden. Glückt der Versuch auch nur mit einem Paare, so werden sich unter dem strengen Schutze der Behörden und der lebhaften Theilnahme des Publicums die Nachtigallen allmählich wieder ansiedeln in dem schönen Coburg, in dessen nächsten Umgebungen sie früher, vor zehn bis zwölf Jahren ziemlich häufig waren, wo viele Paare noch heute, und mehr als früher, geeignete Aufenthaltsplätze und Wohnstätten finden und wo sie lediglich durch Jahre lang fortgesetztes rücksichtsloses Wegfangen schließlich ausgerottet worden sind, wie mir das einer der Schuldigen reuevoll selber bekannt hat.

Freilich ist es schwierig, eben weil die Zugvögel regelmäßig zu ihren Geburts- und Heimathsorten zurückkehren, die daraus gänzlich vertriebenen, zumal die zarten Insectenfresser, wieder heimisch zu machen. Indeß ist der Versuch mit der Nachtigall mir selber bereits zweimal geglückt, und ich kenne außer den von Dr. A. Brehm in seinem trefflichen Buche „Gefangene Vögel“ angeführten Fällen noch mehrere andere vollkommenen Gelingens.

Und die zutrauliche köstliche Sängerin ist es schon werth, daß man weder Mühe noch Kosten scheut, um sie mindestens da wieder einzubürgern, wo sie sich früher heimisch fühlte, also alle Existenzbedingungen vorfand, und nur durch den sträflichen Egoismus der Vogelliebhaber und ihrer Handlanger, der Vogelfänger, ausgerottet worden ist. Leider ist dies nur allzuleicht zu bewerkstelligen.

Ich kannte in Bad Liebenstein einen jungen Vogelsteller, der die fünf binnen drei Tagen dort angekommenen Nachtigallen jedesmal nach kaum einer Stunde wegfing und so zur Ausrottung dieses Vogels in jener Gegend beigetragen hat. Die Berliner, Wiener, Petersburger etc. Vogelhändler bringen jährlich Hunderte von Nachtigallen und Sprossern, den nächsten und alleinigen Verwandten, zu Markt. Hunderte von Nachtigallen werden in den Vorhölzern des Thüringer Waldes, des Harzes etc. und in den Auenwäldern der deutschen Flüsse gefangen und an der Brut verhindert, da sie eben gleich nach ihrer Ankunft weggefangen werden. Waltershäuser und Hörselgauer Vogelfänger machen nach eigener Versicherung wochenlange Reisen, um die Nachtigallen auch in weiterer Ferne einzufangen, und ein „Matador“ dieses abscheulichen Gewerbes wollte sich verpflichten, mir so viel Nachtigallen, wie ich nur wünschte, bis Mitte Mai zu liefern.

Ueberall, wo diese Virtuosen der Ausrottung der Nachtigallen ungestraft ihre Schlagnetze und Leimruthen stellen dürfen, steht das gänzliche Verschwinden der armen lieblichen Wesen in nächster Aussicht, zumal wo die rationelle Gartencultur durch Ausroden und Umlegen der alten baum- und strauchreichen Grasgärten vorgearbeitet hat.

Selbst in ihrem Lieblingsaufenthalte, in den feuchten, mit üppigem Unterholze bestandenen Auenwäldern unserer Ströme und Flüsse, oder in wohlbewässerten Parkanlagen und größeren grabendurchzogenen Grasgärten der Ebene und der Berghänge, ist die Nachtigall längst nicht mehr so häufig wie vor dreißig Jahren. Ihre gesammte Lebensweise, wie ihre besonderen Eigenschaften, die Gewohnheit, ihre in allerhand Gewürm, Kerfen und deren Larven bestehende Nahrung am Erdboden zu suchen und ebenda, oder nur dicht darüber, das allerdings der äußeren Umgebung wohl angepaßte, für den Unkundigen nicht leicht zu entdeckende Nest, meist zwischen den dicken Stämmen eines Strauches, anzulegen, setzen sie und ihre Nachkommenschaft gar vielen Gefahren aus. Behaartes und befiedertes Raubzeug: Füchse, Marder, Wiesel, Mäuse, Katzen, Elstern, Rabenhäher, Heher, und manche andere Raubgesellen wissen das in einem Haufen dürren Laubes versteckte Nest aufzuspüren, den mehr als halbkugeligen sauber ausgewandeten Napf und die fünf oder sechs dunkelolivengrünen, olivenbräunlich gewölkten Eier, trotz ihrer wenig vom Neste abstechenden Färbung, und noch leichter die Jungen zu entdecken, die ihnen dann leider oft sammt der Mutter zur Beute werden.

In noch größerem Maßstabe, wenn auch im Ganzen seltener, zerstören Naturereignisse: Gewitter- und Platzregen, Hochwasser der größeren Flüsse, z. B. der Elbe, Oder, Weichsel, Nest und Brut. Wenn dergleichen Unfälle im Mai eintreten, schreiten die Nachtigallen zu einer zweiten Brut, und sind dann im Allgemeinen gesicherter. Doch habe ich auch eine solche zweite Brut in den Elb-Auenwäldern durch ein sogenanntes Johannishochwasser der großen Mehrzahl nach zu Grunde gehen sehen.

Greift nun der „Erb- und Erzfeind der Natur“ mit täppischer, rücksichtsloser Hand in einen so vielfach gefährdeten Haushalt ein, so muß er mehr und mehr untergraben werden.

Es ist Thatsache: die Klagen über die sichtliche Verminderung des ersten aller Singvögel mehren sich von Jahr zu Jahr, und es ist höchste Zeit, daß die „Hohepriesterin des Lenzes“ allerseits unter ganz besonderen Schutz genommen wird.

Was aber ist zunächst zu thun, um dem drohenden localen Verschwinden Halt zu gebieten?

Vor Allem sollte auf mehrere, vielleicht auf zehn Jahre hinaus das Fangen und Halten der Nachtigall in kleinen Zimmerkäfigen gänzlich verboten und Ausnahmen nur zu Gunsten der Ansiedelungsversuche an früher von ihr bewohnten Orten gestattet, das Fangen zu diesem Zwecke überwacht und nur zuverlässigen Leuten anvertraut werden. Gleichzeitig müßte seitens der deutschen Regierung auf strenge Beobachtung des internationalen Vogelschutzgesetzes, so lücken- und mangelhaft es auch in seiner jetzigen Form erscheint, besonders Italien, Griechenland

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 416. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_416.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)