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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Ein Plauderstündchen in der Depeschen-Annahme.


Als mir zum ersten Male die Ehre zu Theil wurde, den Posten in der Depeschen-Annahme für einen erkrankten Collegen versehen zu dürfen, war ich höchst gespannt auf meine Erlebnisse am Schalter und malte mir das Wechselvolle dieses Postens, gegenüber der monotonen Beschäftigung des Apparatbeamten, in den lebhaftesten Farben aus. Allein meine Hoffnungen wurden schmählich getäuscht: nie habe ich so viel Aerger gehabt, wie damals.

Es kann nicht meine Absicht sein, alle Rencontres jenes Vormittags hier zu erzählen, ich will nur auszugsweise diejenigen allgemeinen Regeln wiedergeben, auf welche die Depeschen-Aufgeber aufmerksam zu machen ich damals Gelegenheit hatte.

Die frühe Morgenstunde ließ mir Zeit, gleich die erste mir überbrachte Depesche ein wenig näher zu betrachten. Ich wurde sofort lebhaft an jenen Elegant erinnert, welcher nie an eine Dame geschrieben hatte, ohne vorher auf das Sorgfältigste Toilette zu machen. Seinem Beispiele war der Verfasser dieser Depesche nicht gefolgt. Auf ein schmutziges Stück Papier hatte er die herzlichsten Glückwünsche für die Geliebte seines Herzens mit Bleistift und in Krähenfüßen, welche nur mit Mühe zu entziffern waren, niedergeschrieben.

Wenn Jemand gut zu schreiben absolut außer Stande ist, so wird es Niemand beikommen, das Ansinnen an ihn zu stellen, er möge seine Depeschen deutlich schreiben; man fragt ihn einfach, was dieses oder jenes unleserliche Wort bedeuten soll, und schreibt es deutlich darüber; und wenn Jemand, der keinen Begriff von Anstand hat, seine Depesche auf unsauberes Papier schreibt, so wundert sich Niemand darüber, sondern die Depesche wird aufgeklebt und befördert, ohne daß ein Wort darüber verloren würde.

Es wird aber auch Jeder unwillkürlich auf schlechtes Papier schlechter schreiben, als auf gutes, und hier kommen wir zu einem Punkte, den das Publicum doch beachten sollte; es handelt sich dabei um sein eigenes Interesse. Wie genau auch bei der Beförderung der Depeschen die Reihenfolge nach der Aufgabezeit innegehalten wird, so werden doch stets schlecht geschriebene Depeschen später befördert werden müssen, als gut oder wenigstens deutlich geschriebene.

Man denke sich z. B. an die Stelle eines Beamten, der während der Börsenzeit – also der Zeit des stärksten Depeschenverkehrs – an seinem Hughes-Apparate sitzt, und dem die zu befördernden Depeschen immer zu zehn, zu zwanzig Stück auf den Tisch gelegt werden. Um diese Correspondenz zu bewältigen, muß er per Stunde gegen sechszig Stück – bei Weitem noch nicht das Maximum der Leistung – verarbeiten; er kann also selbstverständlich die einzelnen Depeschen nicht vor der Beförderung durchlesen, sondern erst im Moment des Abtelegraphirens; woher soll er die Zeit nehmen, um schlecht geschriebene Depeschen Wort für Wort durchzubuchstabiren, und warum sollen durch diese zeitraubende Beschäftigung alle anderen Depeschen verzögert werden? Die schlecht geschriebenen Telegramme wandern also zum Aufsichtsbeamten, kann dieser sie nicht lesen, zum Annahmebeamten behufs Entzifferung; der hat aber in diesen Stunden alle Hände voll zu thun, um das Publicum am Schalter zu befriedigen, und so kann es vorkommen, daß Depeschen von vielleicht großer Wichtigkeit und Dringlichkeit durch Schuld des Aufgebers wegen schlechter Schrift nicht unbeträchtlich verzögert werden.

Sind die Depeschen unwichtig, so legt man sich eher auf das Errathen. Ob man schreibt: Gratulation oder Glückwunsch, herzlich oder innig oder aufrichtig – das macht am Ende keinen großen Unterschied, ob es aber in einer Geschäftsdepesche heißt: Kauft zehntausend Laura, 100 oder 101 oder 110, das ist eine gewaltige Differenz, und die Folgen eines möglichen Irrthums wird kein Beamter auf seine Schultern nehmen wollen.

Der Aufgeber, wenn er darüber interpellirt wird, ist natürlich stets höchst verwundert, daß seine „deutliche“ Schrift unleserlich gewesen sei; der Mann bedenkt nicht, daß wir Beamte meist nicht in der glücklichen Lage sind, uns so genau um die Course kümmern zu müssen, wie er. Wer konnte z. B. in der Schwindelperiode dem Beamten zumuthen, die Namen von allen den Unternehmern zu kennen, welche damals wie die Pilze aus der Erde wuchsen? Trotzdem aber wurden gerade jene Bezeichnungen sehr oft so undeutlich geschrieben, daß wir manchmal Alle die Köpfe zusammensteckten, um diese Hieroglyphen zu entziffern. Kam dann die Depesche spät an, so waren die Actien vielleicht schon wieder um ein achtel Procent gestiegen oder gefallen – das Geschäftchen war nicht mehr zu machen, und der Unglücksmann kam zur Station und wollte Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um Ersatz zu erhalten für den durch die Verspätung erlittenen Schaden, den er doch nur selbst verschuldet hatte.

Ebenso ungünstigen Einfluß auf die Leserlichkeit der Depeschen bringt auch zumeist das bei Geschäftsleuten übliche Copiren derselben mittels Anfeuchtung hervor.

Darum wolle man vor Allem die Depeschen und besonders die darin vorkommenden Geschäftsausdrücke möglichst deutlich schreiben. Man erspart dadurch nicht nur sich selbst und den Beamten viel Zeit und Aerger, sondern kann auch versichert sein, daß die Depeschen jederzeit prompt befördert werden.

Ein zweiter Fehler der Depeschen ist sehr oft eine unvollständige Adresse. Eine Depesche „an Herrn Müller in Berlin“ ist natürlich von vornherein unbestellbar; denn welcher von den tausend Müller’s ist wohl der Rechte? „An Auguste in Dresden“ – nun, lieber Beamter, suche Dir im Adreßbuch diese Holde auf und übernimm es, die Depesche bestellen zu lassen! Letztere Adresse hat mir wirklich vorgelegen, ein Beweis für die Naivetät, mit welcher manche Correspondenten bei Benutzung des Telegraphen zu Werke gehen. Meist sucht man, thöricht genug, die Worte in der Adresse zu sparen, während man doch gerade diese so genau wie möglich formuliren und lieber im Texte einen überflüssigen Zusatz, wie: „Herzlichen Gruß“ u. a. weglassen sollte. Wenn die Depeschen mit ungenauer Adresse nicht geradezu unbestellbar werden, so wird ihre Bestellung doch gewiß bedeutend verzögert; denn der betreffende Beamte muß sich erst in das Adreßbuch vertiefen, und wenn diese Forschungen noch kein genügendes Resultat ergeben, so muß er bei den Polizeibehörden nach der Wohnung des Adressaten recherchiren lassen. Diese Ermittelungen kosten Zeit, viel Zeit, und um diese zu gewinnen, telegraphirt man doch; wird also die Depesche verspätet, so verfehlt sie ihren Zweck, und dies ist sehr oft die Quelle vieler Unannehmlichkeiten für beide Theile, Aufgeber und Empfänger.

Wenn dann einmal das gelbe Zettelchen: „Verzögert in Folge unvollständiger, respective unrichtiger Adresse“ der Depesche aufgeklebt ist, so hilft kein Reclamiren bei der zuständigen Behörde mehr. Man kann zwar eine ungenaue Adresse nachträglich vervollständigen, jedoch nur gegen nochmalige Entrichtung der Gebühr für eine einfache Depesche zwischen denselben Stationen.

Will man z. B. einem Freunde mit dem nicht mehr ungewöhnlichen Namen „Schulze“ in Berlin seine Ankunft für heute, vielleicht schon für die nächsten Stunden, anmelden, dann adressire man so genau wie möglich, etwa:

Kaufmann Friedrich Wilhelm Schulze,
Auguststraße 21, II. rechts. Berlin.

Dies sind neun Worte; eins braucht man zur Unterschrift; es bleiben also noch zehn für die eigentliche Mittheilung. Darin kann man ihm einen ganzen Roman erzählen, ohne siebensilbige Worte zu bilden, wie eine gewisse Bank: Nachmittagsdreiuhrzugig sendet etc. Der Text laute z. B.: „Cassirer mit 20000 durchgegangen. Polizei sofort benachrichtigen. Komme heute noch.“ Ob man dem Freunde noch einen telegraphischen Gruß sendet oder nicht, wird demselben wohl gleichgültig sein.

Eine genaue Adresse bedingt aber auch die genaue Bezeichnung des Adreßortes, wenn es deren mehrere gleichen Namens giebt. Eine Depesche nach Straßburg z. B. kann nach dem Elsaß, kann auch nach Westpreußen befördert werden; in beiden Provinzen existirt ein Ort dieses Namens. Setzt man nun nicht die nähere Bezeichnung „Straßburg Elsaß“ hinzu, so muß man einer bedeutenden Verzögerung oder gar der Unbestellbarkeit der Depesche gewärtig sein.

Ist einem aber ganz besonders viel daran gelegen, zu wissen, um welche Zeit die Depesche dem Adressaten behändigt worden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 418. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_418.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)