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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

phantastische Thiergestalten im Kampf mit den Wellen, ein Löwe, der sich gerade auf’s Trockene rettet und die Zähne nach einem Weibe zurückfletscht, das sich in der Todesangst in seiner Mähne festkrallte. Bewegte Gruppen schöner Weiber suchen sich vergebens mit ihren Gewändern gegen den strömenden Regen zu schützen; überall ist Flucht und Verzweiflung. Auch an räthselhaften Figuren fehlt es nicht. Tief verhüllte Priestergestalten tragen auf einer Bahre eine Schale mit heiligem Feuer, während im Vordergrunde knieende Krieger ein gekröntes, abgeschlagenes Haupt flehend zum erbarmungslosen Himmel emporstrecken. Das letzte Blatt giebt den Ausblick auf die weite trostlose Wasserfläche. Einzelne verzweiflungsvoll sich anklammernde Menschen ringen mit letzter Kraft um einen Haltpunkt; weiterhin wälzt sich dichtverschlungen ein Knäuel ungeheurer Thierleiber, schlangenumwundene Tiger, Elephanten und Giraffen, die alle vergebens nach der Arche hinstreben. Aber sie schwimmt schon ferne auf den hohen Wassern der Morgenröthe entgegen, überragt von einer majestätischen Engelsgestalt, die mit schützend ausgebreiteten Armen darauf steht.

Ich legte mit einer tiefen Trauerempfindung die Blätter wieder zusammen. Welch eine Welt ist mit diesem Geist erloschen! Und doch dürfen wir nur um uns klagen, nicht um ihn, denn das Leben hat ihm Alles geboten, was ein Mensch an Glück nur erreichen kann. Selbst die Noth der ersten Jugendzeit hat ihn früh zum Manne gehärtet und den überlegenen Geist in ihm gereift. Mit dem Eintritte in Cornelius’ Schule ging sein Glücksstern auf; er nahm erst als Schüler im Kreis fröhlicher Genossen, dann bald als Meister Theil an der durch König Ludwig wachgerufenen Kunstblüthe und ragte in kurzer Zeit als Erster unter Allem hervor. Sein äußeres Leben verlief ohne viel wechselvolle Schicksale; abgesehen von gelegentlichen Reisen und Berliner Aufenthalten zur Herstellung der Wandbilder, war und blieb er in München und zwar bildeten dort sein Haus und die Akademie die beiden Pole seiner Existenz. Aber unzählige Erinnerungen ernster und heiterer Natur knüpften sich im Laufe der Jahre an die gewohnte Umgebung, denn was von bedeutenden Menschen durch München kam, stellte sich ihm vor, und an jedem hervorragenden Ereignisse in Politik, Kunst und Geselligkeit nahm er lebhaften Antheil.

In der Gartenstraße unter hohen schattigen Bäumen steht das einfache, aber stattliche Haus, das sich Kaulbach erbaut und lange Jahre an der Seite einer edeln und schönen Frau, im Kreise blühender Kinder bewohnt hat. Die Abendstunden in diesem Kinderkreise waren für ihn eine Quelle der Erholung und Heiterkeit. Heute noch wird als Schatz und Familienkleinod ein dickes Buch aufbewahrt, dessen Inhalt, lauter Zeichnungen, Abends beim Märchenerzählen als Illustration für die Kleinen entstanden ist. Es ist ein bunter Reichthum von reizenden und schalkhaften Arabesken, traumhaften Märchenfiguren und den Portraits der kleinen Eigenthümer in allerhand komischen und tragischen Situationen. Seit Jahren sind diese allerdings schon groß, und so hat sich das Buch auf die zweite Generation vererbt, die in dem schönen Hause und Garten den Großvater nicht minder lustig umtobte als dereinst ihre Eltern.

Wer einmal die Schwelle dieses rothen Hauses als Gast überschritten hat, wird die darin verlebten Stunden nicht mehr vergessen. Hier war Kaulbach nur der liebenswürdige Wirth, der es schnell verstand, den Gast in die behaglichste Stimmung zu versetzen. Große und rauschende Geselligkeit liebte er in den letzten Jahren nicht mehr. Das im prächtigen Renaissancestil eingerichtete Eßzimmer, von dessen Wänden zwischen Draperien und alterthümlichen Prachtgeschirren die Bildnisse seiner Familienangehörigen und Freunde herabsehen, war unzählige Male Zeuge solcher bis tief in die Nacht hinein verlängerten fröhlichen Sitzungen bei Cigarre und Bowle. Im Sommer aber, besonders in den Reisemonaten August und September, wo auswärtige Freunde und fremde Celebritäten das gastfreie Haus aufsuchten, gab es schöne Abende in dem großen schattigen Garten, und in solcher Sternennacht, wenn da und dort in dem dichten Grün farbige Lampen schimmerten, während aus der offenen Balconthür die von Meisterhänden geweckten Saitenklänge im Vereine mit einer herrlichen Frauenstimme weit in die schweigende Runde hinauszogen, saß Kaulbach innerlich bewegt unter den niederhängenden Zweigen und lauschte der süßen Musik, die ihm wohl tausend Bilder in der Seele wachrief.

Es war Kaulbach gegönnt, in ungebrochener Kraft den Blick rückwärts auf ein langes ruhmreiches Leben zu richten und seinen Namen unter den Ersten der Nation gefeiert zu sehen. Dann hat ihn ein rascher, unvermutheter Tod aus der vollen Schaffensfreude weggenommen – sein Geist wird in seinen Werken unsterblich sein.




 Im Walde.

 (Mit Abbildung.)

Die Luft war lau; die Lerchen sangen;
Im Lenzhauch jede Knospe quoll;
Da sind wir in den Wald gegangen,
Du träumend, ich gedankenvoll.
Wir gingen Hand in Hand und lauschten,
Wie abendlich die Wipfel rauschten,
Und sprachen kaum ein Wort dazu.
Doch als, von süßem Bann gebunden,
Sich heimlich Blick und Blick gefunden,
Da sprach ich keck das erste Du.

Am Buchenstamm sind wir gesessen;
Ich wand Cyanen Dir in’s Haar
Und küßte Dich und sprach vermessen:
„Nun bist Du mein auf immerdar!“
Da bebtest Du – ich trank die Kunde,
Wie Du so lieb mich hast, vom Munde,
Vom Munde Dir, mein schüchtern Kind;
Ich schloß Dich fest in meine Arme,
Und Liebesworte, innig warme,
Vertrauten wir dem Abendwind. – –

Daß ich die Stätte wiederfinde,
Wo Du für’s Leben wurdest mein,
Grub tief ich in die Buchenrinde
Ein Herz und unsre Namen ein.
– Wie ging so schnell der Tag zur Neige!
Ein Rauschen noch in dem Gezweige –
Und jeder Klang im Wald verscholl.
Es brach die Nacht herein so milde;
Wir gingen heimwärts durch’s Gefilde,
Der freudigen Erkenntniß voll:

Es ist kein Kleinod so voll Segen,
Es macht uns nichts so frohgemuth,
Als in der tiefsten Brust zu hegen
Getreuer Liebe köstlich Gut.
Sie kommt herab auf unsre Pfade,
Wie Lebenstrost, wie Gottesgnade,
Oft ungeahnt, mit leisem Schritt;
Sie läßt der Freude Ströme rinnen
Durch die entzückte Brust tief innen
Und bringt uns ew’ge Jugend mit.

 Ernst Ziel.




Die Obstkammer Berlins.


Magdeburg! Eine Viertelstunde Aufenthalt! Nach Verlauf derselben dampft der Zug weiter berlinwärts. Von Magdeburg an, sagen wir uns, hört die Natur und ihre Poesie auf; aus der Region der Zuckerrübe kommen wir in die des Sandes und der Kiefern, wo still die Kartoffel blüht und das Tauchen des Wasserhuhns die einzige Bewegung in der Natur ist, in jene Gegend, die schon seit allen Zeiten als des heiligen römischen Reiches Streusandbüchse verschrieen und verhöhnt war, in die Mark Brandenburg. Selbst der Bahnzug will der ihm drohenden Langeweile sobald wie möglich entfliehen; die Locomotive

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 440. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_440.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)