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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Stadt San Francisco. Ohne Angabe des Jahresdatums der Hildebrandt’schen Schilderung, ohne Bezugnahme auf die gegenwärtigen Zustände einer so rapid wie San Francisco sich entwickelnden Stadt wird nun in jenem Blatte dem deutschen Leser die genannte Beschreibung als ein Culturbild vorgeführt, welches den Anspruch auf Authenticität erheben darf – nichtsdestoweniger ist es voll von Ungenauigkeiten, Unrichtigkeiten und Uebertreibungen.

San Francisco ist nach jener glaubwürdigen Schilderung eine Stadt von einer halben Million Einwohner (nach dem Census von 1870 zählte San Francisco damals 149,473 Einwohner). Die Bezeichnung unserer Stadt mit Zisko (wie nach Hildebrandt San Francisco hier schlechtweg genannt wird), sowie die Straßennamen, z. B. die „Goldminen-“, die „Silberminen-“ etc. Straße, hören wir San Franciscaner mit Erstaunen jetzt zum ersten Male. Also diese Stadt Zisko wird von einer halben Million von Tagedieben, Bummlern, Gaunern bewohnt; sie ist die ultima Thule der europäischen Vagabondage; Bettler schwärmen in den Straßen, und Niemand ist dort seines Lebens sicher; die Bauart der Stadt ist ein Sammelsurium von architektonischen Ungeheuerlichkeiten; die Straßen sind entweder gar nicht gepflastert oder haben Knüppeldämme, wie sie in den Dörfern der preußischen Niederung üblich sind; malerische Schluchten (?) reichen an die Bai hinunter – in der That ein recht anmuthiger Platz!

In diesem Stil wird unser unglückliches Zisko anderthalb Columnen lang behandelt, so daß Jemand, der, wie Schreiber dieser Zeilen, beinahe zwölf Jahre lang ab und zu hier gewohnt hat, seine Adoptivheimath gar nicht wieder erkennt. Selbst in den wilden Zeiten von 1849 bis 1852 bot San Francisco nicht einmal annähernd ein solches Bild, wie Tausende von Deutschen, die seit dem ersten Aufbau der Stadt hier ansässig sind, bezeugen können. Sogar das hiesige Klima wird ganz falsch geschildert. Wenn Herr Hildebrandt z. B. den Abend in San Francisco (zu welcher Zeit die Luft hier meistens rauh, windig und neblig ist) preist, „von den sanften Athemzügen des entschlummernden stillen Oceans“ redet, und meint, „daß es einer der höchsten irdischen Genüsse sei, diese aromatische Seeluft einzuathmen“, so ist das für einen San Franciscaner einfach komisch. In welcher Gesellschaft sich überhaupt Herr Hildebrandt hier bewegt hat, das mögen die Götter wissen! Ich bin nicht im Stande gewesen, nur einen einzigen Deutschen zu finden, der diesen berühmten Weltumsegler hier kennen gelernt hätte. Das Bild in Folio („eine Straße in San Francisco“), welches jener charakteristischen Studie beigefügt ist, würde just so gut auf Timbuctu oder Buxtehude wie auf San Francisco passen. Die alterthümlichen Gebäude, die Schnapsfässer inmitten der Straße, und namentlich die nie dagewesenen Dampf-Straßenwaggons, die wie alte Theekessel aussehen, sind außerordentlich naturgetreu.

Das Bild und die ganze Schilderung sind Sensationsartikel erster Classe, und dieselben könnten, da sie hier am ersten April erschienen, am besten als ein Aprilscherz gelten. Wie es möglich gewesen ist, daß ein geachtetes großes deutsches Journal sich so dupiren lassen konnte, eine solche Schilderung als baare Wahrheit und noch dazu mit einer schmeichelhaften Notiz auf den „liebenswürdigen“ Verfasser wiederzugeben, und zwar, wie gesagt, ohne Jahresdatum, scheint in der That unbegreiflich. Wenn ich sage, daß jene Veröffentlichung von den hiesigen Deutschen, die einen so großen Procentsatz der Bevölkerung dieser Stadt bilden, mit bitterem Ingrimme gelesen worden ist, so habe ich mich sehr gelinde ausgedrückt. Eine solche entstellende Beschreibung unserer Adoptivheimath in dem oben genannten deutschen Blatte lesen zu müssen, erregte hier die allgemeinste Entrüstung, und ich handle gewiß im Sinne meiner hiesigen Landsleute, wenn ich dieser ihrer Meinung durch die Gartenlaube weitmöglichste Verbreitung gebe.

Ohne auf das Hildebrandt-Kossak’sche Schriftstück weiter einzugehen, will ich jetzt versuchen, die Stadt San Francisco mit einigen kurzen Federstrichen so zu schildern, wie dieselbe in Wirklichkeit aussieht. Der Leser möge sich dann selbst ein Urtheil darüber bilden, ob dieser Platz Jemandem, der Ansprüche auf ein gesittetes Leben macht, als Aufenthaltsort empfohlen werden darf oder nicht.

Die Stadt San Francisco, deren Einwohnerzahl zur Zeit (1874) auf bereits zweihunderttausend Seelen geschätzt wird, steht, so weit mir bekannt geworden ist, was materiellen Aufschwung anbelangt, nur hinter Chicago und Melbourne zurück. Ihre günstige Weltlage, an dem einzigen größeren sicheren Hafen an einer Tausende von Meilen langen Küste und auf der directen Verbindungslinie zwischen Ostasien, Nordamerika und Europa wird durch einen Blick auf die Karte sofort klar, und die zahlreichen und productenreichen Thäler Californiens finden hier ihren natürlichen Ausweg auf die Weltmärkte.

Der prächtige Hafen bildet ein großartiges, lebendiges Bild. Eine ganze Flotte von Dampfern vermittelt den Verkehr mit China, Japan, Australien, den Inseln der Südsee, Panama, Mexico, den californischen Küstenstädten, Oregon und British Columbia. An der Grenze des Occidents liegend, seine goldene Pforte den Völkern Ostasiens weit öffnend, bildet San Francisco, dessen Bevölkerung etwa zur Hälfte aus Fremdgeborenen, zur Hälfte aus Amerikanern besteht, mit seinem Völkergemisch einen höchst interessanten Beobachtungsort für den Ethnologen, wo die uralte stagnirende Civilisation des Reichs der Mitte mit dem frisch pulsirenden europäisch-amerikanischen Leben in enge Berührung tritt.

Die Stadt San Francisco liegt bekanntlich auf einer Halbinsel zwischen dem stillen Ocean und der großen San Francisco-Bai, welche letztere ihre Verbindung mit dem Meere durch das weltbekannte „goldene Thor“ (golden gate) findet. Die an den Hafen grenzenden Straßen bilden, mit Ausnahme des Chinesenviertels, den bei Weitem unansehnlichsten Stadttheil, so daß San Francisco, vom Wasser aus betrachtet, ein keineswegs malerisches Bild giebt.

Das Aussehen der inneren Stadt dagegen ist im Allgemeinen ein sauberes und modernes. Die Straßen sind geradlinig angelegt, und die hauptsächlichsten derselben haben breite Asphalttrottoirs, während die kleineren aus Holzbohlen angelegte Gehwege aufweisen. Das Pflaster dagegen läßt viel zu wünschen übrig. Das früher hier niedergelegte sogenannte „Nicholson-Holzpflaster“ hat sich als nicht praktisch bewährt, und man experimentirt gegenwärtig mit neuem Pflasterungsmaterial. Durch fast alle Straßen der Stadt laufen oft mehrgleisige Schienenwege, welche von eleganten durch Pferde gezogenen Waggons (nicht von Dampf-Waggons à la H.) befahren werden. Fuhrwerke aller Art und Pferde sind in San Francisco außerordentlich zahlreich und die Straßen bis spät in die Nacht von ihnen belebt.

Die Geschäftshäuser sind meistens aus Steinen solide aufgeführt, die Läden darin, namentlich die der sehr zahlreichen Juweliere, überaus prächtig; die Bankgebäude sind wahre Prachtbauwerke und wurden ohne Rücksicht auf den Kostenpunkt aufgeführt. Die Mauern, Säulen etc. an dem soeben an der Californiastraße in untadelhaftem Stil vollendeten drei Stockwerk hohen Gebäude der „London- und San Francisco-Bank“ bestehen ganz aus Eisen; im Innern desselben ist eine so seltene Eleganz entfaltet worden, daß sich die Räumlichkeiten eines deutschen Bank-Etablissements im Vergleich damit geradezu armselig ausnehmen würden. Die im Gebäude angebrachten Uhren sind von unserem talentvollen hiesigen deutschen Uhrmacher H. Wenzel construirt worden. Durch comprimirte Luft, die von einer Centralmaschine durch Gummischläuche nach einer beliebigen Anzahl Uhren hingeleitet wird, werden die Zeiger derselben mit einer staunenswerthen Präcision ohne Uhrwerk gleichmäßig in Bewegung gesetzt, – eine Einrichtung, welche dem Talente ihres Erfinders zur hohen Ehre gereicht.

Die Hôtels in San Francisco – das Occidentalhôtel, Lickhouse, Cosmopolitanhôtel, Grandhôtel etc. – sind den berühmten Hôtels in den östlichen Unionsstaaten vollkommen ebenbürtig. Das im Bau begriffene Palace-Hôtel wird einen Bodenraum von vierundneunzigtausendsechshundert Quadratfuß bedecken; es soll eine Höhe von sechs Stockwerken erhalten, wird im Hofraume eine Reihe von prächtigen Bazars und Arcaden haben und gegen zwei Millionen Dollars kosten. Dasselbe soll mit wahrhaft fürstlichem Luxus ausgestattet und das prächtigste Hôtel der Welt werden.

Gebäude, die hunderttausend bis eine halbe Million Dollars und mehr kosten, springen in allen Stadttheilen wie Pilze aus der Erde. Eine ganz neue Straße, die „Montgomery-Avenue“, wird gegenwärtig quer durch die Stadt gebaut, um eine bessere Verbindung zwischen den südlichen und nördlichen Stadttheilen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 464. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_464.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2021)