Seite:Die Gartenlaube (1874) 478.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Reinhold stützte den Kopf in die Hand. „Ja wohl – für immer.“

„Das klang ja beinahe wie Sehnsucht,“ warf der Capitain hin, das Gesicht des Bruders scharf fixirend. Dieser sah finster auf.

„Was soll das? Denkst Du vielleicht, ich sehnte mich zurück nach den alten Ketten, weil ich in der Freiheit nicht das erträumte Glück gefunden? Wenn ich eine Annäherung versuchte, so –“

„Ah so, Du hast eine Annäherung versucht? An Deine Frau?“

„An Ella?“ fragte Reinhold, und es war wieder das alte Gemisch von Mitleid und Verachtung, das sich in seiner Stimme verrieth, sobald er von seiner Gattin sprach, „wozu hätte das wohl führen sollen? Du weißt doch, wie ich damals gegangen bin, es geschah im vollsten Bruche mit ihren Eltern, und da muß ein so beschränktes und abhängiges Wesen wie Ella natürlich in deren Verdammungsurtheil einstimmen, wenn sie sich überhaupt je bis zu einem eigenen Urtheil erhoben hat. War die Kluft zwischen uns früher weit, so ist sie jetzt, nach Allem was geschehen ist, endlos geworden. Nein, davon konnte keine Rede sein, aber ich wollte Nachricht von meinem Kinde haben. Ich ertrug es nicht länger, den Knaben fern zu wissen, ihn nicht sehen zu dürfen, nicht einmal ein Bild von ihm zu besitzen. Ich wollte Nachricht um jeden Preis, deshalb wählte ich den kürzesten Weg und schrieb an die Mutter.“

„Nun, und –?“ fragte Hugo gespannt.

Reinhold lachte bitter auf. „Nun, ich hätte mir die Demüthigung ersparen können. Es kam keine Antwort – das war freilich Antwort genug, aber ich wollte nun einmal wissen, wie es dem Kinde gehe; ich glaubte an die Möglichkeit eines Irrthums, eines Verlierens, an was glaubt man nicht in solchem Falle, und schrieb zum zweiten Male. Der Brief kam uneröffnet zurück“ – er ballte im wilden Zorne die Hand – „Uneröffnet! Mir das, mir! Es ist das Werk des Onkels, daran ist kein Zweifel. Ella hätte nie gewagt, mir das zu bieten.“

„Meinst Du? Da kennst Du Deine Frau nicht. Sie hat es allerdings ‚gewagt‘, und sie allein konnte es wagen; denn die Eltern sind todt, schon seit Jahren.“

Reinhold wandte sich rasch um. „Woher weißt Du das? Stehst Du noch in Verbindung mit H.?“

„Nein,“ sagte der Capitain ruhig. „Du kannst Dir wohl denken, daß die Stimmung, die in der Familie gegen Dich herrschte, zum Theil wenigstens auch auf mich übertragen wurde. Seit ich H. damals wenige Tage nach Dir verließ, habe ich es nicht wieder besucht, aber ich stehe noch in Correspondenz mit dem ehemaligen Buchhalter des Almbach’schen Hauses, der das Geschäft übernommen hat und es auf eigene Rechnung fortführt. Von ihm erfuhr ich Einiges.“

„Und das sagst Du mir jetzt erst, nach beinahe vierzehntägigem Zusammensein?“ rief Reinhold beinahe ungestüm.

„Ich habe selbstverständlich einen Punkt nicht berühren wollen, von dem es mir schien, daß Du ihn zu vermeiden wünschtest,“ entgegnete Hugo kühl.

Reinhold ging einige Male im Zimmer auf und nieder. „Die Eltern sind also todt? Und Ella und das Kind?“

„Ihretwillen brauchst Du nicht in Sorge zu sein. Der Onkel hat ein nicht unbedeutendes Vermögen hinterlassen, weit mehr, als man geglaubt.“

„Ich wußte, daß er viel reicher war, als er gelten wollte,“ sagte Reinhold rasch. „Und diese Gewißheit allein gab mir die volle Freiheit des Handelns bei meiner Entfernung. Ich war für Frau und Kind nicht nothwendig. Sie waren gesichert vor jedem Wechselfalle des Schicksals auch ohne meine Nähe. Aber wo sind sie jetzt? Noch in H.?“

„Consul Erlau wurde Vormund des Knaben,“ berichtete Hugo ziemlich kurz und gemessen. „Er scheint sich auch der jungen, wohl nun sehr vereinsamten Frau thätig angenommen zu haben, denn bereits nach Ablauf der Trauerzeit siedelte sie mit dem Kinde in sein Haus über. Dort lebten Beide noch vor einem halben Jahre; bis dahin reichen meine Nachrichten.“

„So?“ meinte Reinhold gedankenvoll. „Nun, da begreife ich nur nicht, wie Ella mit ihrer Erziehung und ihrer Persönlichkeit es möglich macht, in dem großartigen Erlau’schen Haushalte auch nur zu existiren. Freilich, sie wird sich ein paar Hinterzimmer eingerichtet haben, nie zum Vorschein kommen, oder trotz ihres Vermögens die Stelle einer Wirthschafterin übernehmen. Ueber dieses Niveau war sie ja nun einmal nicht hinaus zu bringen. Wäre das nicht gewesen, ich hätte viel, hätte Alles ertragen – um des Kindes willen.“

Er trat zum Fenster, stieß es auf und lehnte sich weit hinaus. Die Abendluft strömte kühl hinein in das schwüle Zimmer, wo jetzt ein längeres Stillschweigen eintrat, denn auch der Capitain schien keine Lust zu einer weiteren Fortsetzung des Gespräches zu haben; nach einer Weile erhob er sich.

„Unsere Abreise ist morgen sehr früh angesetzt; wir werden zeitig wach sein müssen. Gute Nacht, Reinhold!“

„Gute Nacht!“ antwortete Reinhold, ohne sich umzuwenden.

Hugo verließ das Gemach. „Ich wollte, diese Circe von Beatrice sähe ihn einmal in solchen Stunden,“ murmelte er, die Thür in’s Schloß werfend. „Sie haben gesiegt, Signora, und ihn an sich gerissen als Ihr unbestreitbares Eigenthum – glücklich haben Sie ihn nicht gemacht.“

Noch einige Minuten lang verharrte Reinhold unbeweglich an seinem Platze; dann richtete er sich empor und ging hinüber nach seinem Arbeitszimmer. Er mußte mehrere der Gemächer durchschreiten, um dorthin zu gelangen. Die Wohnung, die das ganze untere Stockwerk der geräumigen Villa einnahm, war nicht so glänzend wie die Signora Biancona’s und dennoch verschwenderischer eingerichtet; denn die Pracht, die dort vorherrschte, wurde hier zehnfach aufgewogen durch den künstlerischen Schmuck der Räume. Da hingen Gemälde an den Wänden, standen Statuen in den Fensternischen, deren Werth nur nach Tausenden berechnet werden konnte; da waren die herrlichsten Kunstschätze Italiens in meisterhaften Nachbildungen vorhanden. Wohin das Auge nur blickte, traf es auf Vasen, Büsten, Zeichnungen und Prachtwerke, die anderswo schon allein die Zierde eines Salons gebildet hätten und die hier, überall hin zerstreut nur als beiläufiger Schmuck dienten. Es war eine Fülle von Schönheit und Kunst, wie sie in dieser verschwenderischen Art eben nur ein Rinaldo um sich versammeln konnte, dem mit dem Ruhme auch das Gold in nie versiechender Fülle zuströmte und der gewohnt war, das letztere völlig achtlos wieder von sich zu werfen.

In der Mitte des Arbeitszimmers stand ein prachtvoller Flügel, das Geschenk eines begeisterten Verehrerkreises, der dem Meister ein sichtbares Zeichen seines Dankes hatte darbringen wollen; den Schreibtisch bedeckten Karten und Briefe, welche die ersten Namen im Reiche der Geburt und des Geistes trugen und die hier gleichgültig bei Seite geschoben waren, ohne daß der Empfänger den mindesten Werth darauf zu legen schien; von der Hauptwand aber blickte das lebensgroße Bild Beatrice Biancona’s herab, von berühmter Künstlerhand in genialster Auffassung und wahrhaft sprechender Aehnlichkeit gemalt. Sie trug das idealische Costüm einer ihrer Hauptrollen in den Opern Rinaldo’s, mit deren hinreißender Darstellung sie diese Werke erst zur vollen Höhe ihrer Berühmtheit emporgehoben hatte, mit der sie selbst erst zu einer Künstlerin ersten Ranges hinaufgestiegen war. Es war dem Maler gelungen, den ganzen berückenden Zauber, den glühenden Reiz des Originals in diesem Portrait zu verkörpern. Die schöne Gestalt schien sich in unnachahmlich graciöser Stellung halb dem Flügel zuzuwenden, und die dunklen Augen blickten mit täuschender Lebenswahrheit herab auf den Mann, den sie nun so lange schon in unlösbaren Banden hielten, als wollten sie ihn selbst hier, im Heiligthume seines Wirkens und Schaffens, nicht allein lassen.

(Fortsetzung folgt.)



Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 478. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_478.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)