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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Stadtverordneten eingenommen habe, so liegt dies darin, daß ich dem Verlaufe und der Behandlung des damaligen politischen Uebels eine sehr schlechte Prognose stellen mußte. Feinde besitze ich eine hübsche Anzahl, jedoch auch genügende Freunde. Uebrigens war ich stets vollkommen zufrieden, wenn ich mich selbst zum Freunde hatte und diese Freundschaft zu verdienen glaubte.




Bock’s autobiographische Skizze reicht bis in die ersten fünfziger Jahre und wurde noch vor dem Erscheinen des „Buchs vom gesunden und kranken Menschen“ geschrieben. Klar und bestimmt findet sich in derselben bereits vorgezeichnet, wohin von nun an (nachdem erst noch 1854 sein jetzt vergriffener pathologisch-anatomischer Atlas erschienen war) Bock’s Interesse und enthusiastisches Streben sich vorzugsweise wendete. Durch die 1853 entstandene und sehr bald in die weitesten Kreise dringende „Gartenlaube“ bot sich ihm ein fruchtbares Feld, Vorurtheile und Aberglauben in großem Stile zu bekämpfen, die Ergebnisse der Wissenschaft dem Volke zugänglich zu machen und so durch Aufklärung und Belehrung zur Besserung und Beglückung der Menschen beizutragen. Er hat dies denn auch durch seine später vielfach nachgeahmten populär-medicinischen, hygieinischen und allgemein-naturwissenschaftlichen Arbeiten in durchgreifendster Weise gethan. Als eiserner Charakter, überzeugungstreu und muthvoll, hat er rücksichtslos gekämpft, nicht nur gegen Curirlaien, Geheimmittelschwindel, Homöopathie, sondern vor Allem gegen Veraltetes und Ueberlebtes in der Heilkunst selbst. Bock entwickelte dabei eine seltene Befähigung, jene weiten Schichten der Bevölkerung, welche wenig lesen und zumal für wissenschaftliche Belehrung unvorbereitet und schwer zugänglich sind, zu „packen“ und mächtig fortzureißen zur Erkenntniß. Unermüdlich wußte er immer neue Wege zu finden, neues Licht in altes Dunkel zu werfen, neue Waffen gegen tiefgewurzelte Vorurtheile zu schmieden und kräftig zu schwingen.

Angeregt durch vor Frauen und Lehrern gehaltene populäre Vorträge, und in der Absicht, „Müttern und Lehrern, in deren Händen die Zukunft kommender Geschlechter liegt und von denen vorzugsweise die körperliche, geistige und moralische Vervollkommnung des Menschengeschlechtes zu erwarten steht“, einen Wegweiser zur naturgemäßen (geistigen wie leiblichen) Pflege des Menschenkörpers zu geben, entstand das „Buch vom gesunden und kranken Menschen“ (jetzt in neun Auflagen und hundertzwanzigtausend Exemplaren verbreitet und in viele fremde Sprachen übersetzt). Hier legte er vermöge seines großartigen Unterrichtstalents die Elemente der Lehren vom Bau und Leben des Menschen in klarster, faßlichster Weise nieder und zeigte, wie eine wissenschaftliche Gesundheitspflege das körperliche Wohl nicht nur wahren, sondern auch Schwächen des Organismus beseitigen oder doch mildern und Krankheiten verhüten kann.

Mit großem Nachdrucke und auf Grund systematischer Beobachtungen hob er die unendliche Wichtigkeit der Erziehung, besonders im frühesten Kindesalter hervor und gab in seiner schlichten, eindringlichen Weise, neben den Anleitungen zur körperlichen Pflege des Kindes, die werthvollsten Winke zu dessen geistiger Erziehung.

Indem er schließlich offen die Resultate der Erfahrungen bekannte, welche er als vorurtheilsfreier Beobachter am Krankenbett und Sectionstisch gemacht hatte, schmälerte er zwar nicht unbedeutend den Nimbus der Heilkunst, respective der ärztlichen Machtvollkommenheit, aber um so nachdrücklicher hat er damit auf die Nothwendigkeit einer an der Hand der Wissenschaft fortschreitenden Gesundheitspflege hingewiesen und den Schwerpunkt der ärztlichen Thätigkeit in die den Krankheiten vorbauenden, sie verhütenden Maßregeln, die Prophylaxis, gelegt.

Nicht allein die Gesichtspunkte des Gesundheitslehrers, welcher Krankheiten verhüten und naturgemäße Ansichten über die Pflege des gesunden und kranken Menschen verbreiten möchte, leiteten Bock, wenn er durch sein Buch vom Menschen und die Gartenlaube Kenntnisse über den menschlichen Körper im Volke ausstreute. Bock war kein einseitiger Fachgelehrter und betonte nicht nur die hohe Bedeutung der Naturwissenschaften für die Medicin, sondern erblickte in ihnen auch eines der wichtigsten allgemeinen Bildungsmittel. Ihm war es ein Kriterium des denkenden Menschen, ob man nach dem ursächlichen Zusammenhange in der uns umgebenden Natur frage. Das Bedürfniß nach Erkenntniß des großen Naturganzen und der dasselbe beherrschenden Gesetze wollte er in weiteren Kreisen wecken, da er dafür hielt, daß es in seiner Befriedigung nicht nur unverlöschlichen Reiz, sowie reinen Genuß gewähre, sondern auch sittlich veredelnd einwirke. Indem er nun zeigte, daß der Mensch innig der Natur verbunden und ihren Gesetzen unterworfen ist, daß seine Stellung in der Natur, nicht außer oder über ihr ist, beabsichtigte er das Interesse für diese Allmutter zu wecken und damit zur Veredlung der Gesellschaft beizutragen.

In dieser Zeit entstand auch ein kleines nicht veröffentlichtes Schriftchen, „Der Mensch der Zukunft bei materialistischer Weltanschauung“, über welches sich (1855) Ludwig Feuerbach, dem es durch einen Bekannten Bock’s vorgelegt worden war, folgendermaßen äußerte: „Sie erhalten hier das Manuscript des Herrn Dr. Bock zurück; ich habe es noch an demselben Abend, wo ich es erhalten hatte, bis spät in die Nacht hinein mit ebenso durch das Vorwort gespannter wie durch den Text befriedigter Erwartung durchgelesen. Ich bin Ihnen sehr dankbar für diese so zu sagen persönliche Bekanntschaft des Herrn Dr. Bock; ich kannte denselben zwar längst aus einigen vortrefflichen kerngesunden populär-medicinischen Zeitungsartikeln, aber ich dachte nicht, daß ein Professor der pathologischen Anatomie so principiell und consequent denkt und gesinnt ist. Wie selten sind solche Menschen in unserer Zeit der Zerrissenheit und Charakterlosigkeit! Herr Bock behandelt den Kampf des Spiritualismus wider den Materialismus als Arzt, als Patholog, daher seine Ruhe, seine praktische Ansicht, daß das einzige Arzneimittel wider den Antimaterialismus nur die Erziehung ist. Ich stimme vollkommen bei. – –“

Obgleich noch als Universitätslehrer (bis zum Frühling 1873) thätig und neue Auflagen seiner Werke bearbeitend, zog er sich doch immer mehr aus seiner Stellung als pathologischer Anatom zurück, da er es für die Pflicht des ältern Gelehrten hielt, bei Zeiten jüngeren Kräften Platz zu machen. Dem Volke und der Schule wollte er die Thätigkeit seines Lebensabends widmen. So entstand 1865 der Volksgesundheitslehrer (jetzt in 6. Auflage à 30 und 25,000 Exemplaren) und 1868 das Schulbuch „Bau, Leben und Pflege des menschlichen Körpers“ (jetzt in 9. Auflage à 12 und 10,000 Exemplaren). Die in der „Gartenlaube“ erschienenen Artikel über geistige und körperliche Pflege des Schulkindes ließ er in erweiterter Form als Broschüre drucken und verbreitete sie in achtzigtausend Exemplaren unter den Lehrern Deutschlands, Oesterreichs und der Schweiz. Dankschreiben aus den verschiedensten Theilen Deutschlands (darunter sogar eines von einem katholischen Decan in Tirol), sowie vom Auslande gingen Bock zu. In Oesterreich und Ungarn verbreitete das Cultusministerium die Broschüre unter den Lehrern. Uebersetzt wurde sie in’s Russische, Polnische, Holländische, Italienische und Croatische.

Zu dem von Bock mit Nachdruck geforderten anthropologischen Schulunterricht, für welchen er bereits das Schulbuch ausgearbeitet hatte, fehlten billige Anschauungsmittel. Unter seiner Anleitung und Mitwirkung stellten in den letzten Jahren die Gebrüder Steger in Leipzig eine Sammlung plastisch-anatomischer Modelle her, welche sich durch Naturtreue und billigen Preis auszeichnen. Um letztern zu ermöglichen und so auch der Volksschule Lehrmittel zu schaffen, verzichtete Bock auf jeglichen Gewinnantheil. Es war eine seiner letzten und herzlichsten Freuden, als er einige Wochen vor seinem Tode in Wiesbaden die Nachricht erhielt, daß der vom preußischen Cultusministerium zur Weltausstellung nach Wien abgesandte Referent die Einführung der Lehrmittel in Preußen befürworten wolle.

So lebte er in letzter Zeit ein stilles, in sich selbst seine Befriedigung findendes Leben der Arbeit. Viel beschäftigten ihn die neuen Auflagen seines „Buchs vom gesunden und kranken Menschen“, welche einander rasch folgten. Den Fortschritten der Medicin wie der Naturwissenschaften überhaupt widmete er bis zuletzt großes Interesse. Auch den pädagogischen Bestrebungen, insbesondere dem Kindergarten, wandte er stete Aufmerksamkeit zu. Großen Genuß und hohe Befriedigung gewährte ihm in seinen letzten Lebensjahren das Studium der „Entwickelungs- und Abstammungslehre“. Im Gegensatz zu so vielen Fachgelehrten, welche in ihrer Specialität aufgehen und den Blick auf das große Naturganze verlieren,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 481. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_481.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)