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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Dichter liebt, im Gedächtniß wiederklingen. Die hoch hervorblickenden Gletscher, welche sich oft zum Theil in Wolkennebel gehüllt haben, erhöhen den Eindruck der Weltverlassenheit, den die ganze Scenerie hervorruft, und dort, wo auf dem Schuttlande der Watzmanngletscher das Jagdschloß von Sanct Bartholomäi am Ufer des Sees sich erhebt – dort ist eine Stätte für weltfremde Abgeschiedenheit, wie sie die kühnste Phantasie nicht passender denken, kein Jünger der modernen „Weltverneinung“ geeigneter wählen könnte.

Es giebt nur einen bairischen See, der sich in Bezug auf Naturschönheit mit dem Königssee messen kann – das ist der Walchensee. Hier athmet die Brust freier, wenn sie auf den weiten Spiegel blickt; keine kahlen Felsenwände engen die Fluthen und die Seele ein; ringsum rauschender Wald an hohen Uferbergen, über welche terrassenförmig das Hochgebirge bis zu seinen eisfunkelnden Gipfeln sich aufbaut. Der Walchensee ist ein sapphirnes Kleinod mit smaragdner Fassung, das aber in der wechselnden Beleuchtung in den schönsten Regenbogenfarben funkelt. Er ist kein See für Eremiten, wie der Königssee; aber er ist ein träumerischer, stimmungsvoller See, geschaffen für eine Einsamkeit, welche dem sehnsüchtigen Blicke in die blaue Ferne nicht entsagt hat.

Unsere Dichter, verehrte Frau, würden auf ein schönes Vorrecht verzichten, das ihnen die heimathliche Natur mit ihren landschaftlichen Reizen bietet, wenn sie nicht den Zauber dieser Bergsee’n mitverwertheten für ihre poetischen Gemälde. Daß unsere Maler darin unermüdlich sind, diese Naturschönheiten sich zinsbar zu machen, das beweist die Malercolonie in der Mantzau, in diesem mit Vor-, Mittel- und Hintergründen reich gesegneten Zauberthale; das beweist auf allen deutschen Kunstausstellungen der große Modellberg für alle Malerakademien, der ehrwürdige „Watzmann“, der, mit allen möglichen Abendröthen ausgestattet, überall von den Wänden herabblickt. Von unsern Dichtern haben die Münchner oder die zeitweise in München lebenden vorzugsweise die Verherrlichung dieser mit den bairischen Landesfarben geschmückten Naturwunder übernommen. Paul Heyse hat eine seiner Novellen in Versen an den „Walchensee“ verlegt; doch der lächelnde Novellist ist kein Naturschwärmer, und es kommt ihm durchaus nicht darauf an, die Schönheiten des Sees mit der bengalischen Beleuchtung verzückter Strophen zu verklären; er läßt ganz einfach ein gesellschaftliches Begebniß mit einer Moral für Ehefrauen und Ehemänner an den Ufern des Sees und auf seinen Fluthen spielen, und nur in gelegentlichen Randglossen seiner plaudernden Muse stellt er dem See in Bezug auf sein ästhetisches Wohlverhalten ein wohlwollendes Zeugniß aus. Anders hat ein anderer Dichter, der auch längere Zeit in der bairischen Hauptstadt verweilte und sogar eine Zeitlang, mit dem Pinsel und der Palette ausgerüstet, Naturstudien in Oel trieb, den „Königssee“ besungen – Julius Große in seinem poetischen Idyll „Gundel vom Königssee“.

Der Name dieses Dichters wird Ihnen, verehrte Freundin, schon öfters begegnet sein. Zur Zeit, als unsere ganze Lyrik mobil wurde und gegen den Erbfeind in’s Feld rückte, war auch Julius Große unter den Kriegssängern und zwar zeichneten sich seine Kriegsgedichte durch einen großartigen Schwung aus, den nur wenige der Genossen erreichten. Das Gedicht „Generalmarsch“ hat Béranger’sches Feuer; es sind jene Trommelwirbel des Refrains darin, welche eine kriegerische Wirkung nicht verfehlen. Dann wirft der Dichter wieder in Dante’schen Terzinen den Franzosen den Handschuh hin.

Ihr habt’s gewollt! – gewollt zu unsrem Glücke:
Der Einheit heil’ges Banner ist entrollt;
Germania’s Urkraft schmettert euch in Stücke,
Den Cäsar und sein Reich. Ihr habt’s gewollt!

Es ist ein zermalmender Schwung in diesen Versen, und nur der Gleichgültigkeit der Zeitgenossen gegen den höheren Stil der Lyrik mag es zugeschrieben werden, daß ihre Wirkung nicht eine bedeutendere war. Freilich, der pomphafte Ton, welchen Große’s Muse anschlägt, ihr Kothurngang haben hin und wieder etwas Einförmiges; die majestätischen Geberden wiederholen sich zu oft, wie dies in der größeren Sammlung „Aus bewegten Tagen“ der Fall ist. Auch hier ist dichterische Schönheit unverkennbar, doch sie prunkt immer in Sammt und Seide und rauscht mit einer stattlichen stolzen Schleppe, und selbst ihr Liebesempfinden spricht sie bisweilen in dreifach gereimten Schleppversen, in prunkhaften Terzinen aus.

Schon in dieser Sammlung hat der Dichter versucht, den oberbairischen Seen eine poetische Fassung zu geben; er besingt, neben dem Achensee und dem Eibsee, diesem weltverlornen Kleinode, das der Zugspitze bei ihrer unglücklichen Morgentoilette aus der Hand gefallen zu sein scheint, besonders den „Königssee“; doch die ganze Fülle seiner landschaftlichen Reize entrollt er erst in seiner erzählenden Dichtung aus dem bairischen Hochlande: „Gundel vom Königssee“, welche den ersten Band der jüngsterschienenen sechsbändigen Sammlung von Julius Große’s „Erzählenden Dichtungen“ bildet.

Eine solche „Gundel vom Königssee“ kann Jeder, der einmal über die Fluthen des Sees gefahren ist, als Vignette der Dichtung aus seiner Erinnerung sich selbst gestalten; er braucht blos das rudernde Mädchen zu idealisiren, welches in Gemeinschaft mit einem Burschen den Kahn nach St. Bartholomäi hinüberlenkt. Diese ländlichen Schönheiten unterbrechen den einförmigen Ruderschlag durch ein trauliches Zwiegespräch, welches indeß ihren Fahrgast nicht in seinen einsamen und melancholischen Gedanken stört. Dafür sorgt der oberbairische Dialekt; Niemand kann errathen, ob das Paar der Ruderer die Sprache der Götter oder der sterblichen Menschen spricht, und nur aus ihrem Mienen- und Geberdenspiele sieht man, daß Amor, der blinde Passagier, zwischen ihnen sitzt.

Schön sind sie in der Regel nicht, die gondelnden Gundels vom Königssee; es ist ein tüchtiger robuster Schlag von Mädchen mit einem tiefen Alt, der etwas männlich klingt, und die Poesie muß schon zu dem zartesten Incarnat auf ihrer Palette greifen, um diese derben, bäurischen Najaden in ein verklärendes Licht zu rücken. Doch die Heldin einer Dorfgeschichte in Hexametern braucht ja nicht gerade in ätherischen Farben zu schimmern – und der eigentliche Held der Dichtung ist der Königssee selbst. Der Dichter giebt ja selbst zu, daß das Landschafts-Element die Grundlinien der Composition des Gedichts auch in der Anordnung der Handlung mitbestimmte und daß es sich vorzugsweise um die Reproduction unvergeßlicher Eindrücke einer gewaltigen Natur handelt.

Was die eigentliche Dorfgeschichte in Versen selbst betrifft, so lege ich, verehrte Freundin, keinen sonderlichen Werth darauf; daß die Gundel anfangs den Ignaz liebt, dann aber sich in ihm getäuscht sieht, indem sie alle Opfer einem Unwürdigen gebracht hat, und zuletzt ihr Herz dem Thomas zuwendet: das ist eine alte Geschichte in Dorf und Stadt und ein sehr beliebtes Novellenthema. Auch daß, ähnlich wie in „Hermann und Dorothea“ die französische Revolution mit ihren weltgeschichtlichen Fernsichten in die kleinbürgerliche Handlung eingreift, so hier die Dorfidylle durch die Vergnügungsfahrt eines Königshofes und seine Abenteuer in der Berggegend, durch die Betheiligung fashionabler Hofherren weitere Perspectiven erhält, ist ein Vorzug, den ich gerade nicht allzuhoch anschlagen will, und die volksthümliche Eigenart, die durch Wörter des Volksdialektes in die Darstellungsweise kommt, giebt nach meiner Ansicht dem stilvollen Hexameter einen etwas bedenklichen Beigeschmack. Dennoch ist auch in der Schilderung des Menschengeschickes, der Begegnungen der Helden und Heldinnen, der Schwankungen in ihren Herzensneigungen so viel Ansprechendes und Sinniges enthalten, daß man dem Fortgange der Handlung selbst mit Antheil folgt. Die Naturschilderungen aber sind wirklich von großer dichterischer Schönheit. Hören Sie, verehrte Freundin, das schwunghafte und farbenreiche Loblied, das der Dichter dem Königssee singt:

Herrlicher Königssee voll mild majestätischer Schönheit,
Heilig erhabene Ruh umschwebt dein Felsengestade.
Wellenumspült und strahlenumblitzt und schwalbenumflogen
Aus smaragdenen Wogen empor ansteigen die Wände,
Unabsehbar verdämmern die Höh’n, unergründlich die Tiefen,
Daß mit Schwindeln die Hand festgreift in die Ruder des Bootes.
Wolkennahe gethürmt gleich Burgen der Götter gigantisch,
Schluchtenzerrissen und wild, dem menschlichen Fuß unerreichbar,
Ragen die Felsen als Pfeiler der Welt urzeitlicher Schöpfung,
Gleich als bewachten sie still den geheiligten See vor der Menschheit,
Jenen listigen Zwergen der Welt, die in Künsten erfahren.
Nur die Wurzel der Föhren erklimmt die verwitterten Schrofen,
Und der Fittig des Aars umschwebt die Gefilde des Eises. –
Aber der Spiegel des Sees, in funkelnder Bläue verschwimmend,
Dehnt sich in magischem Dufte hinaus, wie unendliche Wonnen
Trunkenem Auge verheißt ein Traumbild wogender Sehnsucht.



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