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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Höhenzüge wogte und qualmte es noch, während im Westen bereits ein hellerer Lichtschein mit dem niedergehenden Gewölk kämpfte.

„Woher kannten Sie denn meinen kleinen Reinhold?“ fragte Ella plötzlich in ganz verändertem Tone. „Sie sahen ihn ja nicht bei Ihrem letzten Besuche, und als Sie H. verließen, hatte er kaum das erste Lebensjahr zurückgelegt.“

Hugo beugte sich zu dem Kinde nieder und hob dessen Köpfchen empor. „Woran ich ihn erkannte?“ versetzte er lächend. „An seinen Augen. Er hat ja die Ihrigen, Ella, und die verkennt man nicht so leicht, auch wenn sie einmal aus einem anderen Antlitz blicken. Ich finde sie heraus unter Hunderten.“

Sein Ton hatte eine beinahe leidenschaftliche Wärme. Die junge Frau wich leise ein wenig seitwärts.

„Seit wann machen Sie mir Complimente, Hugo?“

„Sind Ihnen Complimente jetzt so ungewohnt?“

„In Ihrem Munde allerdings.“

„Ja freilich, ich darf bei Ihnen nicht wagen, was jedem Anderen erlaubt ist,“ sagte der Capitain mit einem Anfluge von Bitterkeit. „Der Versuch dazu hat mir schon einmal den ‚Abenteurer‘ eingetragen.“

„Es scheint, Sie können das Wort noch immer nicht vergessen,“ bemerkte Ella mit einem halben Lächeln.

Er warf mit einer trotzigen Bewegung den Kopf zurück. „Nein, ich kann es auch nicht, denn es hat mir wehe gethan, und darum verwinde ich es nicht, bis auf diesen Augenblick.“

„Wehe gethan?“ wiederholte Ella. „Kann Ihnen denn überhaupt etwas wehe thun, Hugo?“

„Das heißt mit anderen Worten: ‚Haben Sie denn überhaupt ein Herz, Hugo?‘ O nein, ich besitze ganz und gar nichts von diesem Artikel, ich bin zu kurz gekommen bei der Austheilung desselben, das müssen Sie ja nachgerade herausgefunden haben.“

„So meinte ich es nicht,“ lenkte die junge Frau ein. „Ich traue Ihnen gewiß die volle Wärme der Empfindung zu.“

„Aber keinen Ernst und keine Tiefe?“

„Nein.“

Der Capitain sah sie einige Secunden lang schweigend an, endlich sagte er leise:

„War es nöthig, Ella, mir eine so herbe Lehre zu geben, weil ich neulich einen Handkuß wagte, der Ihnen vielleicht mißfallen hat? Ich weiß, was dieses ‚Nein‘ bedeutet. Sie sehen, ich verstehe auch Winke und werde den heutigen nützen. Fürchten Sie nichts!“

Ueber die Züge der jungen Frau flog ein leichtes Roth, als sie sich verstanden sah. „Ich wollte Sie nicht kränken, gewiß nicht!“ versicherte sie lebhaft und streckte ihm herzlich die Hand hin, aber Hugo stand trotzig abgewendet und schien das nicht zu bemerken.

„Sind Sie mir böse?“ fragte sie halblaut; es war ein süß bittender Ton, und er verfehlte auch seine Wirkung nicht, der Capitain wandte sich plötzlich um und ergriff die dargebotene Hand, aber in seiner Antwort kämpfte eine mühsam niedergehaltene Erregung schon wieder mit der alten Spottlust, als er entgegnete:

„Wenn der selige Onkel und die Tante uns jetzt sehen könnten, sie würden mit unendlichem Wohlgefallen bemerken, wie ihre Tochter den ‚unverbesserlichen Hugo‘ im Zügel hat, der sonst keinem Zügel gehorchen wollte, wie sie ihn auch nicht einen Schritt hinausläßt über die Grenze, die sie zu ziehen für gut findet. Nein, ich bin Ihnen nicht böse, Ella, kann es nicht sein, aber – Sie müssen mir das Gehorchen auch nicht so schwer machen.“

Die Beiden waren noch in lebhaftem Gespräche begriffen, als Marchese Tortoni und Lord Elton von der Gallerie her gleichfalls in die Veranda traten.

„Sieh da,“ sagte der Erstere überrascht zu seinem Begleiter, „darum also zog sich die Wetterbeobachtung unseres Capitano so endlos in die Länge, daß wir ihn schließlich aufsuchen mußten. Es ist doch eine unverwüstliche Natur. Vor einer Stunde erst hat er unser Boot durch Sturm und Wogen gezwungen und jetzt spielt er schon wieder den Liebenswürdigen bei einer jungen Signora.“

„Yes, ein ausgezeichneter Mensch,“ bestätigte der Lord, der bereits eine so blinde Vorliebe für Hugo gefaßt hatte, daß er an diesem schlechterdings alles vortrefflich fand.

Die unerträglich schwüle Luft in den dunstigen Zimmern schien die ganze Gesellschaft auf die Veranda getrieben zu haben, denn unmittelbar hinter den beiden Herren erschienen auch Beatrice und Reinhold. Wenn seine Gattin auf dieses Zusammentreffen vorbereitet war, so war er es jedenfalls nicht, denn er wurde todtenbleich und machte eine Bewegung wie zur Umkehr, aber in demselben Augenblicke tauchte der blonde Lockenkopf des Knaben hinter der jungen Frau auf und wie gebannt blieb der Vater stehen. Das Auge unverwandt auf das Kind gerichtet, schien er alles Andere um sich her vergessen zu haben.

„Welch ein schönes Kind!“ rief Beatrice bewundernd, indem sie unbefangen die Arme ausstreckte, jetzt aber zuckte Ella empor; mit einer einzigen Bewegung hatte sie den Knaben der beabsichtigten Liebkosung entzogen und preßte ihn fest an sich.

„Verzeihung, Signora,“ sagte sie kalt. „Das Kind ist scheu gegen Fremde, und nicht an solche Liebkosungen gewöhnt.“

Beatrice schien etwas beleidigt durch die Zurückweisung, indessen sah sie darin nichts, als die übertriebene Aengstlichkeit einer Mutter. Sie zuckte unmerklich die Achseln, und ein spöttischer Seitenblick fiel auf die Fremde, aber er blieb bald genug gefesselt an der Erscheinung derselben haften, wenn das Wiedererkennen auch nur auf einer Seite stattfand.

Vor Ella’s Gedächtniß stand noch in vollster Klarheit jener Abend, wo sie allein, ohne Wissen der Ihrigen, den Schleier dicht über das Gesicht gezogen, in das Theater eilte, um diejenige kennen zu lernen, die ihr den Gatten so völlig entfremdet hatte. Sie hatte sie gesehen, im vollen Glanze ihrer Schönheit und ihres Talentes, umrauscht von dem Jubel und den Huldigungen des Publicums, und sie nahm den Eindruck unauslöschlich mit sich fort. Beatrice hatte gleichfalls nur ein einziges Mal die Gattin Reinhold’s erblickt, damals, als sie erst anfing, sich für den jungen Künstler zu interessiren, und Ella noch nichts von ihrem unheilvollen Einfluß ahnte. Der Italienerin genügte eine flüchtige Begegnung von wenigen Minuten, um zu erkennen, daß dieses stille blasse Wesen mit den niedergeschlagenen Augen und dem lächerlich matronenhaften Anzuge nicht einen solchen Mann zu fesseln vermochte, und diese Erkenntniß war hinreichend für sie, um ferner keine Notiz mehr von der jungen Frau zu nehmen. Jedenfalls war es ihr unmöglich, das verblaßte, halb lächerliche und halb mitleidswerthe Bild, das sie in der Erinnerung trug, auch nur entfernt mit jener Erscheinung in Berührung zu bringen, die so unnahbar stolz dort stand, die das blonde Haupt so hoch und frei aufgerichtet trug, und deren große blaue Augen sie mit einem Ausdrucke anblickten, den Beatrice sich nicht zu enträthseln vermochte. Sie sah nur, daß die Fremde sehr hochmüthig, nebenbei aber auch sehr schön war.

Letzteres schienen auch die beiden Herren zu finden, die artig grüßend näher getreten waren, denn der Lord schaute Ella mit offenbarer Bewunderung an, und der Marchese, dem Hugo so oft eine sträfliche Gleichgültigkeit gegen Damenbekanntschaften vorgeworfen hatte, sagte mit ungewöhnlicher Lebhaftigkeit zu ihm:

„Sie scheinen Signora zu kennen. Dürfen wir nicht auf das Vergnügen rechnen, ihr vorgestellt zu werden?“

Der Capitain hatte sich wie zum Schutze an die Seite der jungen Frau gestellt. Zwischen seinen Augenbrauen lag eine Falte, die selten auf dieser heiteren Stirn erschien, und sie wurde noch tiefer bei dieser directen Aufforderung, die sich unmöglich ablehnen ließ. Er stellte daher die beiden Herren vor, und nannte ihnen seine Landsmännin, Frau Erlau. Er wußte, daß Ella, um unliebsamen Nachforschungen vorzubeugen, zu denen der Name Almbach leicht hätte Veranlassung geben können, den ihres Pflegevaters trug, so lange sie in Italien weilte.

Beatricens Augen sprühten auf in beleidigtem Stolze. Sie war es nicht gewohnt, daß sie und Reinhold bei solchen Gelegenheiten zuletzt genannt wurden, und hier wurden sie überhaupt gar nicht genannt. Der Capitain ignorirte sie vollständig und schien dies sogar absichtlich zu thun, denn der Zornesblick, den sie ihm zuschleuderte, ward mit empörender Kälte aufgefangen, aber auch Cesario war betroffen über die Tactlosigkeit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 526. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_526.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)