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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

auf einmal nicht länger zu dulden an dem sonstigen Lieblingsorte. Fast unmittelbar nach jener stürmischen Seefahrt bestand er mit Entschiedenheit darauf, daß der ursprüngliche Plan wieder aufgenommen und die längst beschlossene Villeggiatur im Gebirge angetreten werde. Die Einwendungen, ja selbst die offen gezeigte Empfindlichkeit des Marchese, der auf eine längere Anwesenheit seiner Gäste gerechnet hatte, waren umsonst; denn auch Beatrice schloß sich mit einer Art von Hast dem Plane Rinaldo’s an, und so blieb Cesario denn allein in Mirando zurück, während die Uebrigen in das Gebirge gingen, von wo sie soeben zurückgekehrt waren. –

Es war in den Vormittagsstunden. In ihrem Boudoir saß Signora Biancona, den Kopf auf den Arm gestützt und die Hand in den dunklen Locken vergraben, in der Stellung einer eifrig Zuhörenden. Ihr gegenüber hatte der Capellmeister Gianelli Platz genommen. Was auch seine wahre Gesinnung gegen den vielbeneideten Rinaldo sein mochte, er war doch allzuklug, um dem in der Künstlerwelt wie in der Gesellschaft Allmächtigen nicht äußerlich all die nöthige Rücksicht und Unterordnung zu zeigen, und der schönen Primadonna gegenüber war er nun vollends ganz Ergebenheit und Aufmerksamkeit; das zeigte sich in Ton und Haltung, als er, das vorhin begonnene Gespräch fortsetzend, sagte:

„Sie hatten befohlen, Signora, und das war genug für mich, um sofort alle Hebel in Bewegung zu setzen. Ich bin so glücklich, Ihren Wunsch erfüllen und Ihnen die genauesten Mittheilungen über den bewußten Gegenstand machen zu können.“

Beatrice hob in lebhafter Spannung den Kopf. „Nun?“

„Dieser Signor Erlau,“ fuhr der Maestro fort, „ist in der That, wie Sie vermuthen, ein Kaufmann aus H. Er muß wohl zu den Reichsten seines Standes gehören; denn er tritt hier überall als Millionär auf. In der Nähe von S. hatte er die ganze Villa Fiorina für sich und seine Familie gemiethet, und auch hier hat er eine der theuersten Wohnungen inne. Der Haushalt ist sehr vornehm eingerichtet, die Dienerschaft zum Theil aus Deutschland mitgebracht. Auch besitzt er bedeutende Empfehlungen an seine Gesandtschaft, von denen er jedoch noch keinen Gebrauch gemacht hat, da sein leidender Zustand ihn zur Zurückgezogenheit nöthigt. Die Uebersiedelung bewerkstelligte er überhaupt nur, um sich der Behandlung eines unserer berühmtesten Aerzte zu unterwerfen –“

„Das Alles weiß ich bereits,“ unterbrach ihn Beatrice ungeduldig. „Als ich den Namen hörte, zweifelte ich nicht daran, daß es sich um jenen Consul handelte, in dessen Hause auch ich während meines Aufenthaltes in H. verkehrte. Aber die Dame, welche sich in seiner Begleitung befindet, die junge Signora?“

„Ist – seine Nichte,“ erklärte Gianelli, der nach dem ersten Worte eine absichtliche Pause machte.

Die Sängerin schien nachzusinnen. „Sie wurde mir allerdings als Signora Erlau genannt. Eine Anverwandte also. Ich habe sie damals nicht gesehen. Sie wäre mir sicher aufgefallen; solch eine Gestalt übersieht man nicht so leicht.“

Der Maestro lächelte mit boshaftem Ausdrucke. „Sie soll allerdings den gleichen Namen wie ihr Pflegevater führen; sie soll Wittwe sein, soll ihren Gatten schon vor Jahren verloren haben – wenigstens wünscht man, daß es hier in Italien so heiße, und die Diener haben strenge Weisung, etwaige Anfragen in diesem Sinne zu beantworten.“

Beatrice horchte bei dieser zweideutigen Erklärung auf. „Soll? Aber es ist nicht so? Ich ahnte es, daß sich ein Geheimniß dahinter berge. Sie haben es entdeckt?“

„Bediente schweigen nie, wenn man es versteht, in der rechten Weise anzuklopfen,“ bemerkte Gianelli spöttisch. „Ich fürchte nur – es ist ein äußerst zarter Punkt – und da er Signor Rinaldo betrifft –“

„Rinaldo?“ fuhr Beatrice auf. „Wie so? Was hat Rinaldo damit zu thun? Sagten Sie nicht, daß es Rinaldo betreffe?“

Der Maestro neigte das Haupt und sagte in seinem sanftesten Tone: „Ich war wohl im Irrthume, Signora, wenn ich voraussetzte, daß die Veranlassung zu Ihrem Wunsche, etwas Näheres über die Erlau’sche Familie zu erfahren, von Signor Rinaldo ausging.“

Die Sängerin biß sich auf die Lippen. Sie. hätte es freilich vorher sehen können, daß bei dem Auftrage, den sie ihm gab, den beobachtenden Augen eines Gianelli nicht die Regung entgehen konnte, die diesen Auftrag dictirte.

„Lassen wir jetzt Rinaldo bei Seite!“ sagte sie mit einer Anstrengung, ruhig zu erscheinen. „Sie wollten von Signor Erlau sprechen.“

„Das möchte wohl schwer von einander zu trennen sein,“ warf Gianelli hin. „Ich fürchte nur – Signor Rinaldo ist mir leider schon ungünstig gestimmt, gewiß ohne mein Verschulden – ich fürchte, seinen höchsten Unwillen zu erregen, wenn er erfährt, daß ich es war, der eine solche Mittheilung gerade Ihnen –“ er stockte und zeichnete in gut gespielter Verlegenheit mit seinem Spazierstöckchen Figuren auf den Boden.

„Gerade mir?“ wiederholte Beatrice heftig. „Also ist diese Mittheilung nicht für mich bestimmt? Sie werden sprechen, Signor Gianelli! Sie werden mir auch nicht ein Wort, nicht eine Silbe verschweigen! Ich verlange, ich fordere es von Ihnen.“

„Nun denn,“ – er schien wirklich einen Anlauf zur Erklärung nehmen zu wollen, aber das Spiel war doch zu interessant, um es jetzt schon aufzugeben, und der Maestro hatte selbst zu oft unter den Launen der schönen Primadonna gelitten, als daß er sich die Genugthuung hätte versagen sollen, sie noch länger auf die Folter zu spannen. „Nun denn – Sie kennen jedenfalls die früheren Bande Signor Rinaldo’s. Man weiß hier in Italien wenig oder nichts davon, daß er bereits vermählt war; ich selbst erfuhr es erst bei dieser Gelegenheit. Ihnen ist die Thatsache jedenfalls bekannt.“

„Ich weiß es,“ entgegnete Beatrice gepreßt. „Aber wie gehört das hierher?“

„Doch wohl einigermaßen. Sie kennen die Gemahlin Rinaldo’s nicht, Signora?“

„Nein. Doch ja, ich sah sie einmal flüchtig. Eine höchst unbedeutende Erscheinung.“

„Das scheint man hier durchaus nicht zu finden,“ bemerkte Gianelli wieder in seinem sanften Tone. „Die schöne blonde Deutsche fängt trotz ihrer Zurückgezogenheit bereits an, Aufsehen zu erregen.“

„Wer?“ Beatrice erhob sich so jäh und ungestüm, daß der Maestro es für gut fand, um einige Schritte zurückzuweichen. „Von wem sprechen Sie?“

„Von Signora Eleonore Almbach, die allerdings hier den Namen ihres Pflegevaters Erlau führt, wohl um neugierigen Nachforschungen auszuweichen.“

„Das ist unmöglich,“ brach die Sängerin jetzt mit vollster Heftigkeit aus. „Das kann nicht sein. Sie täuschen mich, oder Sie sind selbst getäuscht worden.“

„Bitte,“ vertheidigte sich Gianelli, „meine Quelle ist die sicherste. Ich stehe für deren Richtigkeit ein, und Signor Rinaldo selbst wird sie mir bestätigen müssen.“

„Unmöglich!“ wiederholte Beatrice noch immer fassungslos. „Seine Frau diese Erscheinung! Ich habe sie ja damals gesehen, wenn auch nur auf Minuten Bin ich denn blind gewesen?“

„Oder war er es?“ ergänzte Gianelli im Stillen bei sich, laut aber sagte er: „Ich bin untröstlich, Sie in solche Aufregung versetzt zu haben, Signora. Sie werden mir das Zeugniß geben, daß ich nicht sprechen wollte, daß Sie mir diese Mittheilungen förmlich abgezwungen haben. Ich beklage dies ganz außerordentlich.“

Seine Worte gaben Beatrice wenigstens einigermaßen die Besinnung zurück. Sie fühlte wohl, was sie von dem Mitleid des Mannes zu erwarten hatte, der in ihrem Auftrage den Spion spielte.

„Nicht doch!“ erwiderte sie mit einem hastigen, aber vergeblichen Versuch, ihre Selbstbeherrschung zurückzugewinnen.

„Ich – ich danke Ihnen, Signor. Ich bin nur überrascht, weiter nichts.“

Der Maestro sah, daß er am besten that, sich zu entfernen, aber während er Anstalt machte, zu gehen, legte er betheuernd die Hand auf das Herz:

„Sie wissen, Signora, daß ich ganz zu Ihren Befehlen bin, und wenn Sie es für nöthig halten sollten, in dieser Angelegenheit über mein unbedingtes Schweigen zu verfügen, so bedarf es wohl keiner Versicherung, daß Ihnen auch dies zu Diensten steht. Ganz, wie Sie befehlen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 540. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_540.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)