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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

bald dem hellsten Sonnenlichte und bald der lodernden Gluth eines Kraters zu entlehnen schien. Es malte ein heißes, wildes Leben, dem der Becher bis an den Rand gefüllt war, und das ihn bis auf die Neige auskostete. Dieses Stürmen über alles Maß und Ziel hinaus, diese vulcanische Gluth der Empfindungen, dieses dämonische Spiel mit den Tönen riß die Zuhörer widerstandslos mit hinaus auf das tobende Meer der Leidenschaften, um sie dort zwischen Grauen und Entzücken, zwischen Himmel und Hölle ruhelos umherzuschleudern. Wohl klang es bisweilen daraus hervor wie Jubel und Triumph, aber dazwischen zuckten auch grelle Dissonanzen, und dann wieder wehten verlorene Klänge jener ersten Melodie herüber, die wie eine leise tiefschmerzliche Sehnsuchtsklage durch die ganze Oper ging. Wie ein Traum von Liebe und Glück durch die Seele des Menschen zieht, ohne je zur Wirklichkeit herabzusteigen, so verwehten und erstarben diese Töne in der Ferne, im Vordergrunde aber stand immer und immer wieder die eine Gestalt, die Rinaldo mit der höchsten dramatischen Gewalt ausgestattet hatte, in der er Meister war wie kein Anderer, die er mit dem ganzen Zauber seiner Melodien umgeben hatte, deren sinnlich bestrickender Reiz sich wie ein Bann auf die Seelen der Zuhörer legte.

Und wenn irgend Eine, so war Beatrice dazu geschaffen, gerade diese Musik in ihrem innersten Sein und Wesen zu erfassen und zur Geltung zu bringen, sie, deren eigentlichstes Element die Leidenschaft war, die selbst als Künstlerin nur darin ihre Triumphe gesucht und gefunden hatte. Sie klang aus jedem Tone ihres Gesanges, bebte aus jeder Regung ihres Spiels, das sich zu einer dramatischen Höhe erhob, wie nie zuvor, während sie Haß und Liebe, Hingebung und Verzweiflung, Wuth und Rache mit ergreifender Wahrheit zeichnete. Es war, als ob ein Gluthstrom von dieser Frau ausgehe und sich dem Publicum mittheile, das halb entzückt, halb beängstigt ihrer Darstellung folgte. Noch nie war die Sängerin so eins mit ihrer Aufgabe gewesen, noch nie hatte sie diese so vollendet gelöst, wie diesmal. Freilich, es ahnte ja Niemand, um welchen Preis sie kämpfte, was sie antrieb, ihre beste Kraft einzusetzen. Galt es doch den zurückzugewinnen, den sie schon mehr als halb verloren hatte! Er hatte die Künstlerin bewundert, ehe er die Frau lieben lernte, und die Künstlerin rief jetzt alle Macht ihres Talentes zu Hülfe, um die der Frau zu behaupten. Zum ersten Male war ihr der Beifallssturm gleichgültig, der jeder ihrer Scenen folgte; zum ersten Male lag ihr nichts an den Huldigungen der Menge, sie wartete nur auf den einen Blick leidenschaftlichen Entzückens, der ihr so oft gedankt hatte an solchen Abenden – heute wartete sie vergebens.

„Signora Biancona übertrifft sich heute selber,“ sagte Marchese Tortoni begeistert zu dem Capitain Almbach, der sich in seiner Loge befand. „So oft ich sie auch schon bewundert habe, so habe ich sie noch nie gesehen.“

„Ich auch nicht,“ entgegnete Hugo einsilbig.

Cesario blickte ihn mit unverhehltem Erstaunen an. „Das klingt sehr kühl, Signor Capitano. Haben Sie keinen anderen Ausdruck der Bewunderung für diese Frau, die Ihrem Bruder so nahe steht?“

Hugo’s Miene war in der That so kühl, wie sein Ton, als er ruhig antwortete: „Das ist eben Reinhold’s Geschmack. Wir gehen bisweilen in unseren Ansichten sehr weit auseinander. Uebrigens wäre es ungerecht, Signora Biancona heute nicht unbedingt zu bewundern, und ich thue das gleichfalls, das heißt, vom Zuschauerraume aus. In der Nähe wäre mir eine solche über alles Maß hinausgehende Leidenschaft, die gar keine Grenze zu kennen scheint, doch etwas unheimlich. Ich kann mich nie ganz des Gedankens erwehren, daß Donna Beatrice einmal dieses allerdings meisterhafte Spiel in die Wirklichkeit übertragen und auch dort eine Art Medea sein könnte, die nur Tod und Verderben sprüht. Daß sie das kann, sieht man an ihren Augen, und – wenn ich auch sonst nicht gerade zu den Furchtsamen gehöre – zu lieben vermöchte ich eine solche Frau nicht.“

„Und doch fordern gerade Rinaldo’s Werke diese flammende Darstellung,“ sagte der Marchese vorwurfsvoll, „und dessen ist nur eine Biancona fähig.“

„Ja wohl, sie ist von jeher sein Verhängniß gewesen,“ murmelte Hugo. „Und er wird nie frei werden, so lange dieses Verhängniß über ihm waltet.“

Die beiden Herren hatten längst in der gegenüberliegenden Prosceniumsloge den Consul Erlau bemerkt, auch einen Gruß mit ihm ausgetauscht. Daß er nicht allein sei, davon ahnten sie so wenig, wie sonst Jemand aus dem Publicum, denn die Dame, welche sich in seiner Begleitung befand, saß tief im Hintergrunde der Loge, gänzlich verborgen hinter den Falten des zur Hälfte herabgelassenen Vorhanges, aber doch so, daß sie die Bühne vollständig überblicken konnte, und ihr Begleiter gebrauchte die Vorsicht, jedesmal, wenn er mit ihr sprach, aufzustehen und gleichfalls zurückzutreten. Sie wollte augenscheinlich das Gesehenwerden überhaupt und wohl auch einen Besuch der beiden Herren in ihrer Loge vermeiden.

Ella hatte in der That die Erfüllung ihres Wunsches von Seiten des Pflegevaters erreicht. Sie kannte bisher nur Weniges und Unbedeutendes von den Compositionen ihres Mannes, einige Lieder und Phantasieen, sonst nichts. Das eigentliche Feld seines Schaffens und seiner Erfolge, die Oper, war ihr fremd geblieben. Im Gefühle der tödtlichen ihr widerfahrenen Kränkung hatte sie es nie über sich gewinnen können, Zeugin der Triumphe zu sein, die Rinaldo’s Opern auch in ihrer Vaterstadt feierten, jener Triumphe, die sich auf den Trümmern ihres Lebensglückes aufbauten, und was sie durch die Zeitungen oder durch Fremde, denen ihre nahen Beziehungen zu dem gefeierten Componisten nicht bekannt waren, davon erfuhr, senkte den Stachel nur noch tiefer in ihre Seele. Jetzt zum ersten Male trat ihr der Tondichter Rinaldo in dem genialsten seiner Werke entgegen; jetzt lernte auch sie die Macht dieser Töne kennen, die so oft schon Freund und Feind bezwungen hatten und selbst die Gegner zur Bewunderung hinrissen, und der Eindruck war überwältigend. Halb vorgebeugt, in athemlosem Lauschen folgte die junge Frau jedem Tone der Musik; war sie jetzt doch fähig, neben all den Schönheiten, welche sich ihr entschleierten, auch in die dunkeln Tiefen zu blicken, die sich darin aufthaten. Zum ersten Male verstand sie ganz und voll den Charakter ihres Gatten, diese glühende Künstlernatur mit all ihren Widersprüchen, mit ihrem Stürmen, Wogen und Drängen; zum ersten Male begriff sie, was die tiefverletzte Frau bisher nicht hatte begreifen wollen, die innere Naturnothwendigkeit, die Reinhold zwang, sich aus den beengenden Fesseln des kleinbürgerlichen Alltagslebens loszureißen und dem Rufe seines Genius zu folgen, die diese Katastrophe für ihn zu einem Kampfe um Leben und Tod machte.

Daß er dabei auch feste Bande zerriß, die ihm unter allen Umständen hätten heilig bleiben sollen, daß er der freien berechtigten Selbstbestimmung des Mannes die Schuld des Gatten und Vaters hinzufügte, der die Seinigen verließ, davon freilich sprach ihn auch der Genius nicht frei; aber in dem Innern Ella’s tauchte jetzt leise mahnend die Frage auf: was sie selbst denn damals ihrem Gatten gewesen sei, um zu verlangen, er solle der Versuchung Stand halten, die in Gestalt einer Beatrice Biancona vor ihn hintrat, und was sie bieten konnte gegen eine Leidenschaft, deren glühende Romantik von jeher viel mehr den Künstler als den Mann beherrscht hatte. Die ihm angetraute Frau stand damals noch viel zu sehr unter dem Drucke ihrer Erziehung und Umgebung, um sich auch nur einigermaßen zu seiner Höhe erheben zu können; – statt ihrer stand eine Andere da, im vollsten Glanze ihrer Schönheit und ihres Talentes, und diese Andere zeigte dem jungen Künstler die Bahn der Freiheit und des Ruhms – er war unterlegen! Ella aber fühlte tief im innersten Herzen, daß er es nicht wäre, hätte sie ihm damals sein können, was sie heute war.

Zum letzten Male hob sich der Vorhang, und bis zur letzten Note zeigte Rinaldo, daß er sich treu geblieben war. Der Schluß stand durchaus auf der Höhe des Ganzen und war von hinreißender Wirkung. Und dennoch fehlte dem Werke das Eine, Höchste, das all diese flammenden Blitze des Genies nicht zu ersetzen vermochten, die Versöhnung mit sich selber. Es hatte keinen Frieden und weckte keinen in der Seele der Zuhörer. Der Componist schien den Conflict, der ungelöst in seinem eigenen Inneren lag, auch auf seine Schöpfung übertragen zu haben; es war doch schließlich nur ein Verzweifeln an dem Leben, an dem Glücke, an sich selber. Wenn die Sturmnacht ausgetobt hatte, schimmerte kein verklärendes Morgenroth, das einen neuen, besseren Tag verhieß; auf der weiten öden Wasserwüste trieben nur die Trümmer umher, und an sie geklammert, erreicht der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 572. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_572.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)