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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Schiffbrüchige endlich wieder die Heimathküste – zu spät zur Rettung. Und wie er todesmüde und todeswund dort niedersinkt, da klingt noch einmal, wie mit Geisterlauten, aus weiter, unnahbarer Ferne jene Traummelodie zu ihm hernieder, zum ersten Male vollendet, zum ersten Male voll und ganz austönend – im Tode. Und die Klänge verwehen und ersterben leise, wie das Leben sich verblutet.

Die Aufnahme der Oper von Seiten der Zuhörer ließ Alles hinter sich zurück, was Rinaldo je an Erfolgen errungen hatte. Bei einem Publicum des Südens freilich waren diese Musik und diese Darstellung des Triumphes sicher. Da zündete jeder Funke; da flammte ein Feuer in das andere. Man hätte meinen sollen, der Beifall müsse sich doch endlich einmal erschöpfen, der Jubel sich endlich einmal mäßigen, aber heute schien selbst der glühendste Enthusiasmus noch einer Steigerung fähig zu sein. Nach jedem Actschlusse, nach jeder Scene brach er von Neuem hervor und endete schließlich in einem wahren Aufstande, mit dem das ganze Haus stürmisch das Erscheinen des Componisten forderte.

Signor Rinaldo ließ lange auf sich warten, ehe er diesem Verlangen Folge leistete; er ließ, trotz all der stürmischen Rufe, die ihm galten, Signora Biancona immer wieder allein vortreten. Erst am Schlusse der Oper, als das Rufen in ein Toben ausartete und der Ansturm der Begeisterung nicht länger zu bändigen war, erst da zeigte er sich und wurde nun vom Publicum in einer Weise begrüßt, die selbst den maßlosesten Ehrgeiz befriedigt hätte. Stolz und ruhig trat Rinaldo auf die Bühne; fast unbewegt stand er inmitten all der begeisterten Huldigungen. Er hatte es längst gelernt, Triumphe als etwas ihm Gebührendes hinzunehmen, und so ungemessen der heutige war, er raubte ihm nicht einen Moment lang die Fassung. Seine dunklen Augen glitten langsam an den Logenreihen hin, plötzlich aber blieben sie gefesselt an einem Punkte haften. Es war, als ob ein elektrischer Schlag auf einmal das ganze Wesen des Mannes durchzucke, so schreckte er empor, und jetzt flammte sein Blick auf – jener Blick leidenschaftlichen Entzückens, für den Beatrice heute vergebens alle Macht ihres Talentes eingesetzt hatte – und wenn das blonde Haupt, das nur einen Augenblick sichtbar geworden war, auch im nächsten schon wieder verschwand, er wußte jetzt doch, wer sich hinter den Vorhängen jener Loge barg, wer Zeuge seines Triumphes wurde.

„Eleonore, das war unvorsichtig!“ sagte Erlau, der gleichfalls von der Brüstung zurücktrat. „Du beugtest Dich zu weit vor. Du bist gesehen worden.“

Die junge Frau gab keine Antwort; sie stand aufrecht, mit beiden Händen die Lehne des Sessels umfassend, von dem sie sich in völliger Selbstvergessenheit erhoben hatte. Die großen, thränenvollen Augen waren noch unverwandt auf die Bühne gerichtet, wo Reinhold soeben nochmals vortrat, um dem Publicum zu danken, dieser jubelnden stürmisch erregten Menge, deren einziger Mittelpunkt er jetzt war. All diese tausend Augen waren auf ihn allein gerichtet; all diese Lippen und Hände verkündeten ihm seinen Sieg, und während Lorbeerkränze und Lorbeerzweige zu seinen Füßen sanken, hallte sein Name, wie von einer brausenden Woge hoch emporgetragen, in tausendfachem Echo zurück.




Bei dem –schen Gesandten fand eine große Soirée statt, die erste derartige Festlichkeit in der Saison. Durch die weiten und prachtvollen Räume des Gesandtschaftshôtels wogte eine zahlreiche Gesellschaft. In den lichtstrahlenden, blumendurchdufteten Salons rauschten die Schleppen und blitzten die Uniformen; neben reizenden Frauengesichtern und vornehmen Ordensträgern sah man aber auch manche ernste bedeutende Männergestalt in einfacher Civiltracht, und unter all diesen längst bekannten Gestalten und Namen tauchten so manche fremde auf, die, je nach ihrer Erscheinung und ihrem Klange, eine größere oder geringere Aufmerksamkeit beanspruchten, um sich schließlich unter der Menge der Gäste zu verlieren.

Auch Reinhold und Capitain Almbach befanden sich unter den Eingeladenen, und der erstere war auch hier wieder der Gegenstand allseitiger Huldigungen, wenn diese sich auch weniger ungestüm kundgaben, als neulich im Theater. Rinaldo galt längst in der Gesellschaft als eine Berühmtheit ersten Ranges. Seine neue Oper machte ihn vollends zum Löwen der Saison, und er konnte sich nicht zeigen, ohne sogleich von allen Seiten umringt und beglückwünscht zu werden.

Mit ihm theilte die geniale Darstellerin seiner Schöpfung, Signora Biancona, die allgemeine Aufmerksamkeit. Leider kam man diesmal nicht in den Fall, den Ausdruck der Bewunderung beiden gemeinschaftlich darzubringen, denn sie schienen sich eher zu meiden als zu suchen. Aufmerksame Beobachter wollten behaupten, daß so etwas wie ein Zerwürfniß zwischen Beiden stattgefunden haben müsse, denn sie waren zu verschiedenen Zeiten gekommen und näherten sich fast gar nicht einander. Nichtsdestoweniger war auch die Künstlerin fortwährend von Huldigungen umgeben, an denen ihre Schönheit vielleicht einen nicht geringen Antheil hatte. Beatrice verstand es meisterhaft, sich zu „drapiren“, für den Salon nicht weniger wie für die Bühne, und wenn ihre Toilette auch gewöhnlich etwas Phantastisches zeigte, so entsprach dies so durchaus der Eigenart ihrer Erscheinung, daß sie nur um so hinreißender erschien. Die Sängerin trug, wie so viele ihrer Landsmänninnen, mit Vorliebe schwarze Kleidung, und hatte diese auch heute gewählt, aber die aus Sammet, Atlas und Spitzen zusammengesetzte Robe war dennoch von einer verschwenderischen Pracht, und auf dem dunklen Grunde funkelte ein reicher Juwelenschmuck. Einzelne purpurrothe Blüthen, scheinbar regellos hier und da in die Locken gestreut, schienen den schwarzen Spitzenschleier zu halten, und damit bildete der dunkle Teint der Italienerin und die lodernde Gluth ihrer Augen ein Ganzes, das, wenn es auf den Effect berechnet war, wenigstens diese Wirkung im vollsten Maße erreichte.

„Ah, Mr. Almbach, finde ich Sie hier?“ fragte Lord Elton, der, glücklich endlich Jemand zu finden, mit dem er Englisch sprechen konnte, auf den Capitain zutrat. „Ich wollte Sie bereits in diesen Tagen aufsuchen. Die neue Oper Ihres Bruders –“

„Um Gotteswillen, Mylord, fangen Sie mir nicht auch noch davon an!“ unterbrach ihn Hugo mit einer Geberde des Entsetzens. „Seit dem Tage der Aufführung werde auch ich halb todt gequält mit dieser Oper meines Bruders; alle Welt fühlt sich verpflichtet mich gleichfalls zu beglückwünschen. Wie oft habe ich schon eine Revolution, ein Erdbeben oder doch mindestens einen kleinen Vesuvausbruch herbeigewünscht, nur damit endlich einmal in der Gesellschaft von etwas Anderem gesprochen werde!“

Der Lord schüttelte halb lachend, halb mißbilligend den Kopf. „Mr. Almbach, Sie sollten das nicht so unumwunden aussprechen. Wenn ein Fremder Sie hörte, es könnte gemißdeutet werden.“

„O, ich habe mir bereits verschiedene Male das Vergnügen gemacht, mir einige der ärgsten Bewunderer mit solchen Aeußerungen vom Leibe zu halten,“ versicherte Hugo ganz unbekümmert. „Ich fühle mich durchaus nicht verpflichtet, als Opferlamm für die Popularität meines Bruders Jedem Rede zu stehen. Wie Reinhold diesen Triumph auf die Dauer aushält, begreife ich nicht. Künstlernaturen müssen in dieser Hinsicht wohl ganz absonderlich organisirt sein, meine Seemannsnerven wären längst unterlegen.“

Lord Elton schien auch heute wieder Vergnügen an der Laune des Capitains zu finden, denn er blieb beharrlich an dessen Seite und war ein zwar schweigsamer, aber sehr aufmerksamer Zuhörer bei all den Bemerkungen, die Hugo wie gewöhnlich schonungslos über alles Bekannte und Nichtbekannte ergoß.

„Wenn ich nur wüßte, weshalb Marchese Tortoni auf einmal in solch einer Kometenbahn durch den Saal bricht,“ spöttelte er. „Die Thür drüben scheint der Magnet zu sein, der ihn unwiderstehlich anzieht – ah so! Ja freilich, nun kann ich mir diesen Sturmlauf erklären.“

Die letzten Worte klangen in so unverkennbarem Aerger, daß auch der Lord aufmerksam nach dem Eingange blickte. Dort erschien jetzt Consul Erlau, der Ella am Arme führte; Marchese Tortoni befand sich bereits an ihrer Seite, und alle Drei traten soeben über die Schwelle. Die junge Frau war in weißer, scheinbar sehr einfacher Toilette, aber man sah es, daß Erlau auch in Bezug auf seine Pflegetochter es liebte, sich als Millionär zu zeigen. Dieses weiße Spitzenkleid, das so duftig Ella’s zarte Gestalt umwogte, ließ die meisten jener schweren Sammet- und Atlasroben, welche durch den Saal rauschten, an Kostbarkeit weit hinter sich zurück, und die Perlenschnur, die den Hals Ella’s schmückte, war von einem so ungeheuren Werthe, daß

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 573. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_573.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)