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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)


No. 37.   1874.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Gesprengte Fesseln.
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.
Von E. Werner.


(Fortsetzung.)


Signora Biancona schien die rechte Saite berührt zu haben, die bloße Möglichkeit einer solchen Annahme brach Ella’s Widerstand. „Ich werde Sie anhören,“ entgegnete sie rasch. „Aber wo?“

„In der kleinen Veranda zur Rechten der Galerie. Wir sind dort allein; ich werde vorangehen – Sie dürfen mir nur folgen.“

Mit einer kaum merklichen Bewegung neigte Ella das Haupt. Die wenigen Worte waren so rasch und leise gewechselt worden, daß Niemand eine Silbe davon vernommen, Niemand auch nur die Annäherung der beiden Frauen bemerkt hatte, die in jener Minute nur von Fremden umgeben waren; deshalb fiel es auch Keinem auf, als Signora Biancona gleich darauf aus dem Saale verschwand und Ella einige Minuten später diesem Beispiele folgte.

Die mit Statuen und Gemälden geschmückte Galerie neben dem großen Empfangssaale war beinahe leer. Nur wenige der Gäste hatten den kühleren Raum aufgesucht, an dessen Ende eine Glasthür auf eine halb offene Veranda führte, die bei Tage wohl einen weiten Ausblick auf die umliegenden Gärten gestatten mochte, heute Abend aber den Festräumen beigesellt zu sein schien, denn auch sie war mit hohen Blumengewächsen und Blattpflanzen geschmückt und, wenn auch nicht so glänzend wie die Säle, doch hinreichend erleuchtet. Jedenfalls war sie ganz leer, und der abgelegene, halb versteckte Raum, der den wenigsten Gästen bekannt war, bot die Möglichkeit eines ungestörten Gesprächs.

Beatrice befand sich bereits dort, als Ella’s Spitzenkleid über die Schwelle rauschte, aber die junge Frau blieb in unmittelbarer Nähe derselben stehen, ohne auch nur einen einzigen Schritt weiter vorwärts zu thun. Genau mit jener unnahbar stolzen Haltung, die sie bei der ersten Begegnung in der Locanda gezeigt, erwartete sie auch hier den Beginn dieser halb erzwungenen Unterredung. Die Augen der Italienerin hingen mit einem wahrhaft verzehrenden Ausdrucke an der weißen Gestalt, die, vom Lampenlicht hell umflossen, ihr gegenüberstand, und deren Schönheit sie geradezu vernichtend berührte.

„Signora Eleonore Almbach!“ begann sie endlich. „Ich bedaure, Ihnen erklären zu müssen, daß Ihr Incognito bereits verrathen ist. Vorläufig allerdings nur mir, ich glaube aber nicht, daß Sie es auf die Dauer werden behaupten können.“

„Und auf wen würde das fallen?“ fragte Ella ruhig. „Ich schonte nicht mich, als ich mir dieses Incognito auferlegte.“

„Wen denn? Vielleicht Rinaldo?“

„Ich kenne Signor Rinaldo nicht.“

Die Worte klangen in so eisiger Bestimmtheit, daß ein Zweifel an dem, was sie ausdrücken sollten, gar nicht möglich war und Beatrice einen Moment lang davor verstummte. Sie war völlig außer Stande, einen Stolz zu begreifen, der den einmal begangenen Treubruch selbst einem Rinaldo nicht verzieh.

„In der That, auf diese Verleugnung war ich nicht vorbereitet,“ entgegnete sie. „Wenn Rinaldo –“

„Sie haben mich sprechen wollen,“ unterbrach die junge Frau sie, „und ich versprach, Sie anzuhören. Daß mir der Entschluß nicht leicht geworden ist, brauche ich Ihnen wohl nicht erst zu versichern; zum Mindesten erwartete ich nicht, diesen Namen von Ihnen zu vernehmen, und wünsche es auch nicht. Lassen Sie diese Unterredung so kurz wie möglich sein! Was haben Sie mir zu sagen?“

„Vor allen Dingen habe ich Sie zu bitten, daß Sie einen andern Ton für unser Gespräch wählen,“ fuhr Beatrice gereizt auf. „Sie sprechen mit Beatrice Biancona, deren Name Ihnen wohl noch in anderer Weise bekannt ist, als nur durch unsere persönlichen Beziehungen zu einander, und die wohl Haß und Feindschaft von Seiten einer Gegnerin erträgt, nicht aber die Verachtung, die Sie auszudrücken belieben.“

Ella blieb völlig unbewegt dieser Forderung gegenüber. Sie trat etwas seitwärts in den Schutz der hohen Blattgewächse, so daß sie von der Galerie aus nicht gesehen werden konnte, und wandte sich dann wieder zu der Sprechenden.

„Ich habe diese Unterredung nicht gesucht. Sie waren es, Signora, die mich gewissermaßen dazu zwang, also werden Sie es wohl auch ertragen müssen, daß ich den Ton festhalte, der mir geeignet erscheint. Mir steht Ihnen gegenüber kein anderer zu Gebote.“

Ein Blick wilden tödtlichen Hasses schoß aus den Augen Beatricens, aber sie fühlte, daß, wenn sie jetzt ihrer Leidenschaftlichkeit nachgab, ihr dies alle Haltung rauben und der Gegnerin nur einen neuen Triumph bereiten würde. Sie kreuzte deshalb die Arme und erwiderte mit vernichtendem Hohne:

„Sie lassen es mich hart büßen, Signora Almbach, daß ich Siegerin blieb in einem Kampfe, dessen Preis die Liebe Ihres Gatten war.“

„Sie irren,“ versetzte Ella kalt. „Ich kämpfe überhaupt nicht um die Liebe eines Mannes. Das überlasse ich den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 587. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_587.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)