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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Eine unruhige Bewegung kam über die Versammelten; Rufe des Unwillens wurden laut über den Frevler, der das harmlose Thier, das kaum noch für ein Wild gelten konnte, getödtet – nicht minder die Besorgniß, wie der König das Leid aufnehmen würde, das seinem Lieblinge widerfahren. Schnell waren Alle einig, daß der Unfug nicht länger zu dulden sei, und daß Alle zusammen helfen müßten, um den verwegenen Wildschützen zu ermitteln und unschädlich zu machen.

Ueber der allgemeinen Erregung, wie vorher im Eifer des Gesprächs, hatte Niemand Zeit und Anlaß gefunden, den Wachtelschläger zu beachten, obwohl er so nahe stand, daß er jedes Wort vernehmen konnte. Er schien anfangs nicht darauf zu achten; seine Augen suchten immer noch unter den Burschen und Mädchen die Sängerin zu entdecken; sein Ohr lauschte, um den eigenthümlichen Klang ihrer Stimme aus dem Gewirre der übrigen herauszufinden. Erst als der Forstmeister hinzugetreten, hatte er seine Aufmerksamkeit dieser Gruppe zugewendet und schien nun offenbar mit dem Entschlusse zu kämpfen, sich den Männern noch mehr zu nähern. Es war, als wolle er schon den Fuß heben, um zu dem Förster hinzutreten; die Wendung des Gesprächs aber machte ihn wieder an sich halten und seine Aufmerksamkeit verdoppeln. Hatte zuerst ein listiges Lächeln um seinem bärtigen Mundwinkel gezuckt, so war dasselbe bald dem Ausdrucke des Unwillens gewichen, der sein ganzes Gesicht mit dunkler Röthe überdeckte. Unwillkürlich machte er eine rasche Bewegung, durch welche der Bergstock, den er im Arme lehnen hatte, zu Boden fiel, hart vor die Füße des zunächststehenden Forstmeisters. Dieser wendete sich und sah ihn forschend von unten bis oben an.

„Was ist’s mit Dir, Bursche?“ fragte er. „Willst Du etwas von mir, weil Du Dich so nahe heranpürschest? Bist Du nicht Einer von den Arbeitern im Marmorbruche? Ich glaube, Dich dort gesehen zu haben.“

„Ja, Herr Forstmeister,“ sagte der Bursche unbefangen und unterwürfig, „ich bin Arbeiter im Steinbruche; aber eben deswegen hätt’ ich schon lang’ ein Anliegen an den Herrn Forstmeister. Ich hab’ mir’s nur immer nit zu sagen getraut.“

„Ein Anliegen? Das wäre?“ fragte der Forstmeister.

„Ich möcht’ gern eine andere Arbeit; das Steinhauen ist mir zu schwer.“

„Zu schwer – einem Burschen wie Du, so stark wie ein Baum?“

„Und doch zu schwer, Herr, weil ich keinen Verstand dafür hab’ – wissen S’, Herr Forstmeister, so den rechten Verstand. Ich mein’, wenn man eine Arbeit thut, soll man sie nicht blos mit der Hand thun, sondern soll im Kopfe einen Begriff davon und im Herzen eine Lieb’ dazu haben. Das hab’ ich nit, wenn ich in dem todten Gestein drinn sitzen und den ganzen lieben Tag d’rauf los klopfen muß, bis ein Trumm herunterfallt. Ich kann die stille, sitzende Weis’ nit vertragen; ich möcht’ mich so gern rühren und was um mich her haben, was sich rührt, so wie im Walde, wo das Wasser rauscht und die Bäum’ sausen, wo in dene Bäum’ die Vögel flattern, und drunten ’s Wild durchbricht …“

„Hoho!“ rief der Forstmeister, indem er den Burschen abermals betrachtete. „Bist ja gar vertraut mit dem Walde; möchtest wohl gar Jäger werden?“

„Ja, das möcht’ ich,“ rief der Bursche. freudig. „Das wär’ das Einzige, was ich mir wünschen thät’. Wenn mir oft im Traume was Schön’s vorkommt, ist mir’s immer, als wenn ich ein Jäger wär’ und durch den Wald pürschen oder auf den Anstand gehen thät’.“

Der Forstmeister lachte. „Da haben wir das rechte Beispiel eines Müßiggängers,“ sagte er, zu den Umstehenden gewendet. „Weil dem Burschen das Steinhauen im Marmorbruch zu stark in die Glieder geht, möchte er es bequemer haben und das Gewehr im Walde spazieren tragen. Nein, guter Freund, damit ist es nichts; da muß man auch schießen können.“

„Das kann ich,“ sagte der Bursche schnell, wenn auch etwas verdüstert. „Ich bin lang genug Soldat und im Kriege gewesen. Der Herr Forstmeister könnten’s ja probiren, ob ich schießen und treffen kann.“

„Ach was – Dummheiten!“ sagte dieser wieder. „Lass’ mich in Ruhe! Ich kann keine solchen Bauernjäger brauchen. Auch ist es mit dem Schießen allein noch nicht gethan: die Hauptsache ist jetzt der Wald, und ein rechter Jäger muß gar Vieles wissen.“

„Was ich nicht weiß, könnt’ ich ja wohl lernen,“ sagte der Bursche bescheiden.

„Nein, nein, das könnte mir zu lange währen,“ rief der Förster sich abwendend, „und kurz und gut, ich will von dem dummen Zeuge nichts mehr hören. Geh’ in Deinen Marmorbruch und klopfe Steine, oder wenn Du durchaus eine andere Arbeit haben willst, so greife zur Sense und Drischel und mache einen ordentlichen Bauernknecht! Da kannst Du Dich rühren genug.“

„Also ist’s nix?“ fragte der Bursche, indem er den Blick fest auf den Forstmeister richtete. „Meinetwegen,“ sagte er dann, wie sich selbst antwortend, „dann muß es halt bleiben, wie’s ist.“

Er ging und war bald unter den Anwesenden verschwunden. Vielleicht hätte er das Gespräch doch noch länger fortgesetzt; aber es war ihm gewesen, als hätte er die schlanke Gestalt des Spötterls durch die Menge gleiten gesehen, leicht und rasch, wie der gleichnamige Vogel kaum bemerkbar durch die Zweige und Blätter schlüpft.

„Schade um den Burschen,“ sagte der Sonnen-Moser, indem er ihm nachsah. „Er ist stark wie ein Bär und könnt’ leicht als Oberknecht oder Baumann einen Platz finden. Ich selber hätt’ ihn schon eingestellt, wenn er gewollt hätt’; aber er bleibt nirgends lang und hat das herumstreunende Leben schon gewöhnt. Das kommt von der Soldatenzeit. Er hat den großen Krieg mitgemacht und ist in der russischen Gefangenschaft gewesen. Davon hat er auch die Narbe her über das ganze Hirn. Die wird ganz blutroth, wenn’s heißes Wetter ist oder wenn er zornig wird, und es hat schon geheißen, daß es dann darunter auch nicht ganz richtig sei. Dann ist gar nichts mit ihm anzufangen; er läßt alle Arbeit liegen und stehen und will keinem Menschen mehr gehorsam sein.“ – –

In dem am Seegestade aufgeschlagenen Zelte begann es inzwischen ebenfalls lebhaft zu werden; glänzendes Licht schien durch die gespannten Leinwanddecken und zog immer mehr die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf sich. Durch den halb offenen Eingang war die Tafel zu sehen, welche, kostbar gedeckt und mit Speisen und Leckereien aller Art besetzt, der vornehmen Gäste harrte, für welche ihre Reichthümer bestimmt waren. Es war das erste Mal, daß das Zelt, ein Geschenk der Stadt Augsburg an den allgeliebten König, zu solch festlichem Zwecke dienen sollte. Die Gartenanlage, welche später um dasselbe gepflanzt wurde, war damals im ersten, dürftigen Entstehen begriffen. Schon begannen auch einzelne Gäste sich einzufinden und warteten auf die Ankunft der Fürsten, welche der König von Baiern zu sich an den lieblichen Tegernsee geladen hatte, ihnen die Schönheit seines Reiches zu zeigen.

Eben war der Congreß der Fürsten nach Verona zusammenberufen, und auf dem Wege dahin hatten Alexander von Rußland und Franz von Oesterreich dem Baiernkönig ihren Besuch zugesagt; Beide waren sehr willkommen, noch mehr aber der Letztere, weil mit dem Kaiser auch die Kaiserin Charlotte, Maximilian’s Tochter, den Vater wieder zu sehen kam. In dem stillen, schönen Gebirgsthale sollte auf einige Tage vergessen werden, daß draußen der Himmel düster war und sich immer trüber umwölkte. Noch war kein Jahrzehnt verflossen, seit die deutschen Stämme sich in edler Begeisterung erhoben, um den gewaltigen Franzosenkaiser niederzuwerfen, der Volk und Fürsten zu seinen Unterthanen gemacht. In feierlicher Anerkennung dessen hatten die Fürsten ihren Staaten die Freiheiten verheißen, deren sie sich so würdig bewiesen; aber die Erinnerung daran war von Jahr zu Jahr schwächer und unbequemer geworden, und als die Völker mahnend des versprochenen Dankes gedachten, war man bereits einig, die Verheißung nicht zu erfüllen, sondern den gefährlichen Geist und die Männer, in deren Köpfen er sich besonders lebhaft regte, niederzuhalten. Auch außer den deutschen Landen gohr es bedenklich. Die Spanier hatten ihren Ferdinand verjagt, und die Griechen waren aufgestanden, um das schwere, verhaßte Türkenjoch abzuschütteln – die heilige Allianz hatte das Alles wohl überdacht und geplant: zu Verona sollte dem großen Werke des Rückschritts das Siegel aufgedrückt werden.


(Fortsetzung folgt.)


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 638. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_638.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)