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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Sie nur!“ fügte er entsetzt hinzu, während draußen wieder Gesang laut wurde. „Sie fangen schon wieder zu johlen an, dreißig Schritte von den Majestäten, und Niemand weiß obendrein, was sie singen. Ich glaube, es ist noch Niemand eingefallen, auf diese Art von Volksgesang, der mir sehr verdächtig scheint, ein wachsames Auge zu richten …“

Die geängstigte Seele des Beamten hätte sich wohl noch weiter Luft gemacht, wäre nicht der König von Baiern mit seinen Gästen eingetreten, vor denen er mit ungesuchter Freundlichkeit, wie ein einfacher Privatmann, den Zelthang zurückschlug. Czar Alexander führte die junge Kaiserin von Oesterreich; Kaiser Franz hatte seinen Arm der Königin Caroline geboten. Der Czar war eine hohe, gebietende Erscheinung in voller Manneskraft, doch schon etwas gebrochen und überflort von der frömmelnden Gemüthsstimmung und Rebellionsfurcht, welche seine letzten Jahre umdüsterte; – neben dem Herrscher aller Reussen erschien Kaiser Franz etwas unbedeutend; aber es war eine ungesuchte, leutselige Würde an ihm, die bei längerem Beschauen für den Mangel der äußeren Erscheinung entschädigte. Die gewinnendste Gestalt war unstreitig der greise König Max, mit dem vollen, freundlichen Angesichte und den gütigen Augen, in denen beim ersten Blicke zu lesen war, wie mit vollem Rechte ihm das Volk das Prädicat des „besten Herzens“ gegeben.

Während Alle an der Tafel Platz nahmen, fand er Zeit, an den Schenktisch zu treten und einem Lakaien auf die Schulter zu klopfen, dem der Augenblick unbeachtet und günstig genug geschienen hatte, eine Weinflasche im Rockschoße verschwinden zu lassen. „Gieb Acht, guter Freund,“ sagte er, „daß Dich der Hofmarschall nicht sieht, sonst jagt er Dich davon!“ Unbekümmert um das Zittern und Stottern des Erschrockenen, wendete er sich dann der Gesellschaft zu und beauftragte einen andern Diener, dem Dümler, seinem ersten Bereiter, zu sagen, daß ja für den andern Morgen Alles in früher Stunde zur Fahrt in das Bad Kreuth bereit sein solle. Der Czar, der den Befehl gehört, nahm davon Veranlassung, hervorzuheben, wie viel er schon von dem neuen Bade und von Allem vernommen, was daselbst in kurzer Zeit Rühmliches geschaffen worden, und wie er sich darauf freue, die königliche Schöpfung zu bewundern. Max sah ihn mit herzlichem Lächeln an und schüttelte den Kopf. „Es ist nicht so weit her, wie Sie ’s machen,“ sagte er mit jenem leisen Pfälzer Anklange, den er nie ganz abzulegen vermochte. „Aber es ist ein schönes Waldthal, das Kreuth. Ich thu’ ja so viel für mein eigenes Vergnügen; da ist’s wohl nicht mehr als billig, daß ich auch etwas für die Armen und Kranken thue.“

Nach der vorgeschriebenen Festordnung des Abends war es bald Zeit, mit dem Concerte zu beginnen. Auf einen Wink des Königs erschienen mehrere Künstler von der italienischen Oper zu München, die zur Verherrlichung des Festes eigens aus der Hauptstadt berufen waren. Der Tenorist Brizzi, des Königs Liebling, sang eine Cavatine, dann mit dem berühmten Buffo Santini ein scherzhaftes Duett aus Danzi’s Oper „Il baccio“, und nach kurzer Pause erschien die italienische Primadonna, deren Leistungen die Hauptblume in dem musikalischen Kranze des Abends bilden sollten. Der Gesang der Dame entsprach auch vollkommen dem Ruhme, der ihr vorangegangen. Sie vereinigte mit einer vollen, umfang- und klangreichen Stimme eine so seltene Kunst des Gesanges, daß sie bald die allgemeinste Aufmerksamkeit fesselte. Der Beifall stieg, als sie zum Schlusse eine Art scherzhafter Canzone vortrug in welcher alle Schwierigkeiten und Gesangskünste absichtlich gehäuft waren, um durch deren Besiegung die volle Meisterschaft der Sängerin bewähren zu können. Läufe wechselten mit Läufen; Fermaten, Cadenzen, Vorschläge und Verzierungen aller Art rankten sich um die Melodie, und als das beifällige Staunen ob solcher Kunstfertigkeit schon den höchsten Grad erreicht zu haben schien, reihte sich noch eine Trillerkette an, welche aus keiner andern Kehle zu quellen schien, als aus der einer Nachtigall. Die ganze erlesene Gesellschaft bezeigte der Sängerin ihren unbegrenzten Beifall und bewog die Geschmeichelte zur Wiederholung des letzten Satzes. Ebenso glücklich ward derselbe vollendet; nicht minder laut wollte sich der Beifall abermals Luft machen, als mit einem Male eine eben so ungeahnte wie unerwartete Erscheinung Alles verstummen ließ.

Draußen vor dem Zelte erscholl eine andere singende Stimme, nicht so mächtig wie die der Signora, aber ebenso zierlich und fein; offenbar kunstlos, aber nur um so überraschender, weil sie genau und sicher die eben verklungene Trillerkette und den langgezogenen Halt des Schlusses nachsang wie ein liebliches, schwächer nachtönendes Echo.

Die ganze Gesellschaft gerieth in Bewegung und die Sängerin, welche vor Aerger in allen Farben spielte, für einen Augenblick in völlige Vergessenheit. Die Fürsten alle wollten wissen, wer die unbekannte Sängerin sei; die Lakaien rannten um die Wette, um bald mit der Nachricht zurückzukehren, die Sängerin sei niemand Anderes als ein einfaches Bauernmädchen, eine Sennerin, welche diese große natürliche Gabe der Nachahmung besitze und dafür vom Volke den Spitznamen „das Spötterl“ erhalten habe.

Alles war begierig, das Wunderkind zu sehen, und es währte nicht lange, so stand die Sennerin in Mitte der lachenden und fragenden Herren und Frauen, unter welchen der Pianist, der die Gesänge begleitet hatte, und der junge Russe als die meist Erregten erschienen. Das Mädchen hatte nichts Auffallendes an sich. Sie hatte die schmucke Bergtracht angelegt, welche damals noch eine auszeichnende Eigenthümlichkeit jener Thäler war: der grüne Hut mit den reichen, breiten Zöpfen darunter ließ ihr recht gut; aber das Gesicht war bleich und kaum hübsch zu nennen – nur der Mund war von seltener Wohlgestalt und Färbung; die Augen waren brunnenklar und von so lieblichem Aufschlage, als wäre es wirklich das Auge eines Vogels, das scheu und doch zutraulich dem Beschauer aus dem Busche entgegenblickt. Sie war nicht schüchtern, aber auch nicht keck; die allgemeine Theilnahme, die sie erweckte, war ihr offenbar nicht gleichgültig, aber es lag etwas in ihrem Lächeln, als sei sie sich wohl bewußt, daß diese Huldigung ihr gebühre. Sie war ohne Zögern bereit, ein Lied zu singen und einen Vogelgesang nachzuahmen; aber sie ließ doch den Arm einer ältern Bäuerin nicht los, die sie mitgebracht hatte, als ob sie es gerathen fände, doch für alle Falle weiblichen Schutz in der Nähe zu haben.

„Du hast ja eine Kehle, wie ein Vogel,“ sagte Maximilian freundlich. „Wenn solche Talente in meinen Bergen wachsen, da kann ich künftig meine italienische Oper wohlfeiler haben. Wo hast Du das gelernt, Mädel?“

„Wie Du daher red’st, Herr König,“ entgegnete sie lachend. „Wo werden ich und das Lernen zusammengekommen sein? Das hab’ ich gekonnt, so lang ich’ denk’ – ich werd’s wohl mit auf die Welt gebracht haben, wie die Enten das Schwimmen.“

„Dann bist Du ein glückliches Geschöpf,“ sagte der König gütig,<!-Interpunktion berichtigt--> „und hast eine schöne Gabe mitbekommen in die Welt. Bewahre sie Dir! Und wenn ich wieder komme im nächsten Sommer, mußt Du mir wieder was vorsingen. Damit Du mich aber indessen im Andenken behältst, nimm Das!“

Er zog aus der Brusttasche, die er zu ähnlichen Zwecken immer wohlgefüllt trug, einige blanke Kronenthaler hervor; sie aber streckte die Hand nicht zum Empfange aus, sondern blickte zu Boden, während eine dunkle Röthe ihr Gesicht und Nacken überflog. Ihre gewohnte Begleiterin wußte das gut zu machen und wies die blinkende Münze nicht zurück.

„Das braucht’s nit, Herr König,“ sagte das Mädchen befangen. „Einen Thaler will ich schon nehmen; den will ich anöhrln lassen und an’s Mieder hängen zum Andenken – aber das Andere –“.

„Nimm nur!“ sagte Max freundlich. „Von Deinem König darfst Du schon ein Geschenk annehmen, ohne roth zu werden … Oder hast Du sonst etwas auf dem Herzen, wo ich Dir helfen kann, dann ist mir’s auch recht. Bitte Dir eine Gnade aus!“

Sie erröthete noch tiefer. „Du wirst mich für recht dumm halten, Herr König,“ sagte sie, „aber das geht nicht so g’schwind. – Auf so was muß man sich doch besinnen.“

„Nun, so besinne Dich! Mir eilt es nicht,“ lachte her König. „Sage mir’s den nächsten Sommer! Und wenn etwa in der Zwischenzeit etwas auskommen sollte, dann schreibe mir halt, Spötterl, oder suche mich heim in meiner Residenz in München! Ich bin leicht zu erfragen.“

Die beiden Kaiser nahmen den Gastfreund in Anspruch, so daß die Stelle um Corona frei wurde und auch die Hofherren Gelegenheit fanden, sich ihr zu nähern. Der Pianist wendete noch immer kein Auge von ihr; aber vor den vornehmen Herren war es ihm nicht möglich, zu ihr durchzudringen; der junge Russe aber trat frei zu ihr, machte der ihn verwundert

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 656. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_656.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)