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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

„Das hölzerne G’lachter,
Das könnt’s wohl erspar’n.
B’hüet enk Gott miteinand’!
Macht’s enk selber den Narr’n!“

Im nächsten Augenblicke war sie hinter den Coulissen verschwunden.

So etwas war noch nicht dagewesen.

Der Vorhang sauste herunter und schied die empörten Hälften der Theaterwelt voneinander. Vor demselben schrieen, lachten, pfiffen und trampelten die Zuschauer; hinter demselben rannten Schauspieler und Bühnenleute, Director und Regisseur mit nicht minderem Lärm durcheinander. Wie ein gereizter Lindwurm, der nach seinem Opfer späht, sprang der Regisseur hin und wieder; der Director aber rief: „Wo ist die Unglücksperson? Hinauf mit dem Vorhange! Schleppt sie mir heraus! Sie muß ausspielen, oder ich lasse sie vier Wochen in den Falkenthurm setzen.“

Die hochblonde Soubrette aber trat mit lammfrommem Gesichte hinzu und erklärte sich bereit, die Rolle auszuspielen. „Eigentlich sollt’ ich es nicht thun,“ sagte sie. „Aber was bringt man nicht für Opfer für die gute Sache! Ich habe es ja vorhergesagt, daß es so kommen wird.“

Wieder blinzte sie nach dem Regisseur hin, und in dem Blinzen lag, daß sie nicht die Einzige gewesen, die gewußt, daß es so kommen werde, und auch warum. Der Director nahm den Vorschlag mit Entzücken an; aber auch die davon verständigten Zuschauer begrüßten die Aushülfe mit Applaus: es war auch der einzige Ausweg; denn Corona herbeizuschaffen, mußte bald als eine Unmöglichkeit erkannt werden. Sie hatte die ersten Augenblicke der Verwirrung benutzt und war weder im Ankleidezimmer, noch auf der Bühne, noch in den Corridors zu finden.

„Wie hat sie sich denn nur hinausgefunden?“ rief Director Carl. „Sie muß eine Versenkung oder ein Flugwerk benutzt haben. In der kurzen Zeit konnte sie sich unmöglich so im Theater orientiren und der Hausmeister sagt auch, daß sie bei ihm nicht vorübergekommen sei. Ich bin doch schon lange Director, aber so etwas ist mir noch nicht vorgekommen.“

Die Lösung des Räthsels ließ übrigens nicht lange auf sich warten. Aus der Werkstätte in der Tiefe des Theaters, wo eine meist nur von Zimmerleuten benutzte Treppe zu einem Seitenausgange führte, kam bedächtigen Schrittes der Maschinenmeister Sußbauer heraufgestiegen, auf seinem emporgehobenen Maßstabe eine schwarze Perrücke tragend. „Da schauen Sie her,“ rief er, „was ich gefunden hab’! Die Hinterthür ist offen, und daneben ist die Perrücken dag’legen und der Schurz von meinem Aushelfer.“

„Dann wissen wir schon, woran wir sind,“ rief Carl in komischem Zorne. „Das ist ein förmliches Complot. Der Bursch’ in der schwarzen Perrücke war offenbar mit dem Mädel einverstanden und hat ihr fortgeholfen. Sicher ist es auch kein Anderer gewesen, der ihr den Rechen herausgereicht hat. Aber wenn Er mir noch einmal mit einem solchen Zimmermanns-Dilettanten kommt, Sußbauer, dann soll Ihn der Teufel holen.“

– Die Entflohene war indessen in die wilde Märznacht hinausgestürmt, in welcher die matten Lämpchen der Straßenlaternen mit dem Winde um ihr flackerndes Dasein kämpften. Sie hatte gar nicht Acht gehabt, wie sie eigentlich aus dem Hause gekommen, und wer es gewesen, als eine Hand schnell die ihre gefaßt und sie hastig nach sich gezogen hatte; erst jetzt, als ihr die kalte Luft unfreundlich um Stirn und Wangen blies, besann sie sich des Vorgefallenen deutlicher; erst jetzt kam es ihr vor, als habe ihr die Stimme des Retters bekannt geklungen; erst jetzt dachte sie daran, sich nach ihm umzusehen. Er hatte sich hart an ihrer Seite gehalten – obwohl er den Bart abgenommen, erkannte sie auf den ersten Blick Quirin’s hohe, benarbte Stirn und starrte ihn wortlos an; ihr erster Gedanke war, daß er ihr diesen Anlaß abgelauert habe, um seinen Spott mit ihr zu treiben und sie fühlen zu lassen, wie sehr er Recht behalten mit seiner Prophezeiung. Aber Quirin ließ ihr nicht lange Zeit zu erwägen; er grüßte sie mit ruhigem Tone, durch welchen nur schwach die Erregung des Vorgefallenen durchzitterte.

„Grüß Gott, Rohnberg Corona!“ sagte er. „Sei nit bös, daß ich Dir so in den Weg komm’ – aber mir ist halt, als wenn Du jetzt wen brauchen könntest, auf den Du Dich gut verlassen kannst. Was hast jetzt im Sinn? Wo willst hin?“ fuhr er fort, als sie noch immer beklommen schwieg. „Da darfst nit bleiben; ich denk’ wohl, sie werden bald herauskommen und nach Dir suchen. Willst in Deine Wohnung?“

„Nein, nein!“ rief sie hastig, „Da thäten s’ mich auch suchen … Ich geh’ nimmer hin; ich thät’s nit aushalten, wenn ich den Leuten allen in die spöttischen Gesichter sehen müßt’.“

„Dasselb’ will ich wohl glauben,“ entgegnete Quirin, „aber wohin willst nachher?“

„Ich weiß nit,“ sagte Corona, und die erste freigewordene Thräne brach ihr aus dem Auge. „Ich will nur fort, fort aus der Stadt, dahin, wo mich kein Mensch mehr sucht – am liebsten fort aus der Welt.“

„Das wär’ ein bißl gar zu weit,“ rief Quirin freudig. „Aber willst wirklich ganz fort? Willst wirklich nimmer in der Stadt bleiben und nimmer in das Komödihaus da zurück?“

„Niemals, niemals,“ entgegnete sie mit matter Stimme. „Lieber sterben.“

Während des Gespräches war sie wie unbewußt an Quirin’s Hand rasch fortgeeilt und hatte, achtlos dessen Leitung folgend, längst die Bogen des Isarthores hinter sich. Sie näherten sich, an den Gärten und kleinen Häusern vorüberschreitend, der Isarbrücke.

„Wenn Du willst und das Fahren in der Nacht nit scheust,“ begann Quirin nach einer Weile, „dann könnt’ ich Dir vielleicht helfen. Ich mein’, Du wirst jetzt nach Tegernsee nit gern zurückwollen; da wird ’s ein großes Gered’ geben und ein Gespött, dem Du vielleicht gern aus dem Weg gehst. Ich hab’ neulich gehört, die Clarl, Deine gute Freundin von der Gindelalm, hat so Zeitlang gehabt nach Dir, daß sie auch nimmer hat in Tegernsee bleiben wollen – sie hat sich jetzt nach Osterwarngau heraus verdingt als Hauserin zu einem Bauern, der ganz einschichtig mit seinen kleinen Kindern haust …“

„Ja, ja, zu der will ich,“ unterbrach ihn Corona mit unverkennbarer Freude. „Die nimmt mich auf und versteckt mich vor den Leuten, bis das erste Gered’ vorüber ist. Und wenn wieder der Auswärts kommt, werd’ ich schauen, daß ich wieder auf die Gindelalm komm’ und den Leuten aus dem Gesicht bin.“

„Du wirst wohl wissen, was Du zu thun hast,“ sagte Quirin mit anscheinender Ruhe, während ihm das freudige Herz bis an den Hals herauf schlug. „Nach Warngau aber wär’ just eine gute G’legenheit da – über der Brucken drüben, im Kreuzlgießergarten, stellt der Bäck’ von Warngau ein, der jede Woch’ botenweis nach München fahrt; der reist in einem Stündl ab. Wenn ’s Dir recht wär’, so wär’ ’s doch für ’was gut g’wesen, daß ich Dir jetzt so begegnet bin.“

„Red’ nit so!“ entgegnete Corona beklommen. „Meinst, ich sollt’ glauben, daß Du mir so zufällig begegnet bist? Meinst, ich hätt’ Dich nit erkannt, wie Du mir zugerufen hast: ‚Da hinunter!‘? Warum willst es nit eingesteh’n, daß Du mit Fleiß in der Näh’ gewesen bist, daß Du in der Still’ auf mich Acht ’geben und jetzt das Alles schon im Voraus hergericht’t hast? Willst nit haben, daß ich Dir dafür danken soll?“

„Weiß Gott, wie gern ich Dir ’was zu Dank thun möcht’,“ sagte der Bursch hinwieder. „Aber es ist doch nit so, wie Du meinst; es ist Alles nur das gute Glück, daß sich ’s so getroffen hat. Ich bin Knecht gewesen in einem Bräuhaus in der Näh’, und damit ich mir ein paar Kreuzer mehr hab’ verdienen können, hab’ ich in der Komödi als Zimmermann mitgeholfen. Das ist Alles – ich hab’ halt selbig’smal nimmer daheim bleiben mögen.“

„Sag’ lieber, Du hast nit dürfen, Du hast Dich aus’m Staub g’macht!“ entgegnete Corona, „Du wirst wissen, daß am selbigen Abend, wie der Russ’ von der Gindelalm herunter ist, auf ihn g’schossen worden ist – Sie haben’s Alle auf Dich g’halten.“

„So?“ rief Quirin mit eigenthümlichem Lachen. „Haben sie’s auf mich gehalten? Kann mir’s schier denken. Aber sag’ selber: mit was hätt’ ich denn schießen sollen? Du hast ja selber g’seh’n, daß ich nix von einem Schießzeug gehabt hab’. – Es hätt’ nur höchstens mein Bergstock losgeh’n müssen.“ Corona wollte erwidern; aber Quirin unterbrach sie. „So, da sind wir schon,“ sagte er, „jetzt kann’s gleich dahin geh’n; der Bäck’ hat sein Wagerl schon hergericht’t, und der Hausknecht führt schon die Pferd’ heraus zum Einspannen. Steig nur auf, Corona! Und vor Gebetläuten bist schon in Warngau.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 706. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_706.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)