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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Kirschen und Brombeeren und ein drittes mit Amuletten, Rosenkränzen und anderem heiligem Krame für Leute, die es liebten, auch mitten in der fröhlichsten Lustigkeit ihres vielleicht bedrohten Seelenheils zu gedenken. Auch ein Zillerthaler hatte sich eingefunden – ein stattlicher Bursche mit rothem Haare und mächtigem Barte und mit starkem Lederrücken in der Jacke, um den schweren Ruckkasten leichter tragen zu können, in welchem Handschuhe und Hosenträger kunstvoll eingepfercht waren, während er einige grüne Teppiche über dem Arme trug.

Obwohl die Sonne sich schon zum Untergange neigte, krachten die Schüsse doch noch um die Wette; der alte Sonnen-Moser meinte, es sei jetzt das allerbeste Licht, und die Luft schmeichle die Kugel von selber mitten in das Schwarze hinein.

Auch viele der anderen Seebauern waren zugegen. Am Herrentische saßen der Landarzt, der Pfarrer, der Doctor und der Landrichter als Honoratioren beisammen; der Extratisch war leicht daran zu erkennen, daß über denselben ein weißes Tuch mit rothem Besatze und Fransen gebreitet war, während die Krüge niedrigerer Gäste unmittelbar auf der blanken Ahorntischplatte standen. Auch Jessik, der illyrische Schneider und Theaterdirector, fehlte nicht. Ihm war das Amt des Zielers zu Theil geworden, das er, in einen buntscheckigen Harlekinsanzug gekleidet, mit seinem Kauderwälsch und allerlei lächerlichen Geberden und Stellungen zur großen Zufriedenheit der Schützen und noch mehr der zuschauenden jüngeren Bursche versah. Sie fanden gar viel zu lachen über die wunderlichen Sprünge, die der närrische Kerl zu machen wußte, und manch Einer reichte ihm den Krug, damit er ihm Bescheid thue zum Lohne für das gewährte Vergnügen.

So zahlreich die Versammlung und so groß und laut deren Heiterkeit gewesen, kam doch neue und noch lebhaftere Bewegung in dieselbe, als gegen Abend sich auch die Jäger einfanden, von einer größeren Jagd zurückkehrend, die für einige Gäste des Hofes und vornehme Herren eigens veranstaltet worden war, um ihnen die Mühen und Freuden einer Hirschjagd in den Bergen zu zeigen. Nach Jägerart gab es da eine Menge zu erzählen; besonders aber war es heute eine Neuigkeit, welche alle gewöhnliche Jagdereignisse vollständig in den Hintergrund drängte.

Der eine der Jäger war, noch ehe er Platz genommen, zum Forstmeister getreten und hatte demselben eine Meldung gemacht. Obwohl er leise gesprochen, hatten die Beisitzer beim Scheibenabziehen doch etwas davon vernommen, und als der Forstmeister, in freudiger Ueberraschung aufspringend, ausrief: „Was sagt Ihr? Ihr habt herausgebracht, wer der Gamstod ist?“ da war das Geheimniß nicht wohl mehr zu bewahren.

„Da komm her, Bäck!“ rief der Sonnen-Moser dem geschäftigen dicken Wirthe zu. „Ich geb’ Dir Deine Ehr’ wieder: Du bist nicht der Schütz, der mit zinnenen Kugeln schießt; man weiß jetzt, daß Du nicht der Gamstod bist.“

Die Männer traten lachend zusammen und umstanden in dichtem Ringe den Jäger, der von der wichtigen Entdeckung, die er gemacht, berichtete. Er sei, sagte er, mit dem fremden russischen Cavalier, der mit dem Hofe herausgekommen, auf dem Anstande gestanden; gerade da, wo sich die Buchenleite von der Gindelalm gegen die Neureit herunterzieht, auf der kleinen Waldblöße gegen den Weg hin, wo die große einzelne Eiche stehe. Der Forstmeister erinnerte sich sogleich genau des Platzes. „Das ist derselbe Platz,“ sagte er, „wo im vorigen Jahre auf den russischer Herrn, den Baron Worinoff, geschossen worden ist, daß ihm die Kugel durch den Hut ging.“

„Genau an demselben Orte war’s,“ fuhr der Jäger fort. „Der Trieb hatte noch nicht begonnen, und so erzählte mir der Herr Baron, wie es zugegangen, und zeigte mir, wo er und wie er gesessen, als der Schuß auf ihn gefallen.“

„Ich kenne den Platz auch,“ sagte der Landrichter. „Ich habe ihn nach dem Vorfalle in Augenschein genommen und zu Aller Verwunderung eine Kugelspur nicht finden können.“

„Heute haben wir sie gefunden,“ rief der Jäger freudig. „Sie muß ein Bischen stark gestiegen sein. Wie ich genauer nachsah, entdeckte ich ein kleines Löchlein. Ich nehme geschwind mein Messer heraus, schnitze die Rinde weg, und was finde ich?“

„Wirklich eine Kugel?“ fragte der Forstmeister.

„Ja wohl, eine Kugel, aber was für eine! Da schauen Sie her!“

„Das ist ja eine Zinnkugel, wie sie der Gamstod schießt!“ riefen Mehrere, als sie das plattgeschlagene Geschoß erblickten, das der Jäger auf der Hand herumzeigte.

„Freilich ist’s eine Zinnkugel,“ rief der Jäger vergnügt, „und jetzt ist Alles auf einmal heraus; den Schuß hat kein anderer Mensch gethan, als der Quirin, der Steinhauer im Marmorbruche. …“

„Wenigstens ist der dringendste Verdacht gegen ihn,“ sagte der Landrichter. „Er hat kurz vorher mit dem Baron Worinoff in einer Sennhütte auf der Gindelalm Streit angefangen und ihn auf Leib und Leben bedroht. Ueberdies ist er gerade seit jenem Tage spurlos aus der Gegend verschwunden. Wenn der also, wie es wahrscheinlich ist, auf den Baron geschossen, wenn diese jetzt aufgefundene Kugel, wie kaum zu zweifeln, von jenem Schusse herrührt, und wenn feststeht, daß der Gamstod mit solchen eigentümlichen Kugeln zu schießen pflegte, so ist wohl auch kein Bedenken darüber, daß der Steinhauer mit dem gefährlichen Raubschützen ein und dieselbe Person ist.“

„Merkwürdiges Zusammentreffen!“ sagte der Pfarrer. „Wieder ein Beispiel, wie doch zuletzt Alles an das Licht der Sonne kommt, und wäre es noch so fein gesponnen.“

„Schau, schau – der Quirin!“ sagte der Hofbauer kopfschüttelnd. „Das hätt’ ich dem Burschen nicht zugetraut.“

„Warum nicht?“ rief der Forstmeister. „Verwegen genug sah er aus. Jetzt, wenn ich mir’s überdenke, wundere ich mich, daß ich nicht schon längst auf den Gedanken verfiel. Und der freche Bursche hatte noch die Keckheit, mich um Verwendung als Jäger anzusprechen. Er hat offenbar noch seinen Spott mit mir getrieben.“

„Desto schwerer wird das Loos sein, das ihn nun erwartet,“ entgegnete der Landrichter. „Die vielen gefährlichen Wilddiebstähle, die er verübt, dazu der offenbare Mordversuch! Wenn er je in die Hände der Justiz fällt, ist die bürgerliche Gesellschaft für ein zwanzig Jährchen gesichert.“

„Na, da wird er sich hüten und wird nimmer in die Näh’ kommen,“ sagte der Sonnen-Moser. „Weiß Gott, wo der sich in der Welt herumtreibt, wenn er noch lebt, und ich muß sagen, ich möcht’ fast wünschen, daß er nicht wieder käm’; es ist doch schad’ um ihn, und daß es so weit mit ihm hat kommen müssen. Wild ist er g’wesen und gach (jäh) – das läßt sich nit abstreiten – aber sonst doch ein richtiger Bursch.“

Das Gespräch wurde durch das Klingeln vieler Glocken und das Geblöke einer Viehheerde unterbrochen, die in der Wegschlucht des Albaches herabgetrieben wurde; zugleich krachte draußen bei den Scheiben ein Böllerschuß; ein glücklicher Schütze hatte den Punkt herausgeschossen, und Jessik, der Zieler, kam schreiend unter Capriolen und Purzelbäumen heran, die Scheibe zu überbringen, die nach jedem solchen Schusse abgenommen zu werden pflegte. Die Burschen und viele von den Gästen liefen dem Hohlwege zu, um das Vieh zu sehen.

„Das kommt von der Gindelalm herunter. Die fahren ab von der Alm,“ rief es durcheinander. „Wer sind denn die Sennerinnen?“ Und bald klang die Antwort der Vordersten zurück: „Das ist ja gar das Spötterl, das abtreibt. Da schaut’s her! Schaut das hoffartige Dirndl an, dem Keiner gut genug gewesen ist! Wie ist’s, Spötterl? Jetzt brauchst selber nimmer zu sorgen für’n Spott.“

Das Mädchen erwiderte nichts. Todtenbleich und gesenkten Blickes schritt sie den Hohlweg hinab, während Clarl die vom Geschrei erschreckten Kühe zu bändigen suchte und die Spöttereien der Bursche mit lauten Schmähreden vergalt. Auch der Zieler war durch den Lärm aufmerksam gemacht und herbeigelockt worden; er hatte Corona kaum erblickt, als er mit wildem Lachen, in dem sich Hohn und Bosheit mischten, sich über den Zaun hinunter in den Hohlweg schwang und auf Corona loseilte. Ehe sie sich des unerwarteten Angriffes erwehren konnte, hatte er sie bereits ergriffen und im Kreise gedreht.

„Oho!“ schrie er, „Spötterl, bist Du da? Das ist recht. Hast nicht wollen Narren machen auf Theater meiniges und bist zum Narren gemacht worden in der Stadt? Bist wieder da und möcht’st jetzt wohl zu mir; ich will Dich auch nehmen für ein rupfiges Hemd auf das ganze Jahr. Juhe! Gieb mir ein Bussel! Sind wir gleich und gleich, und gehört ein Hanswurst zum andern.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 720. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_720.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)