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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

dreihundert gegenwärtig), womit die englischen Papiermaschinen an Zahl, wenn auch nicht an Production überflügelt worden sind, ist aber noch eine ganze Reihe von Industrieen entstanden.

Hierher gehört die Papierdecorations- und Cartonnagenindustrie, erstere in Dresden, letztere im sächsischen Erzgebirge (Adler in Buchholz), sowie in Lahr, der Heimath des „hinkenden Boten“, zur Hauptblüthe gelangt. Was nur die kühnste Phantasie zu erdenken vermochte, ist hier in Farbe und papierner Gestalt schon verkörpert worden, besonders aber hat sich Karl Wenzel in Dresden nicht nur die Herzen der Kinderwelt durch seine gelungenen Papphelme und Rüstungen, sowie seine prächtigen Christbaumverzierungen und Ostereier alljährlich auf’s Neue erobert; er hat auch im Bereiche der Balldecorationen, durch die prächtigsten Orden und Cotillonstouren, zu denen er immer noch Neues hinzuschafft, die ausgebreitete Verwendbarkeit des Papiers auf’s Schlagendste nachgewiesen. Wahrhaft großartig hat besonders die Phantasie bei den „närrischen“ Kopfbedeckungen gewaltet, und hat zum Aufblühen dieses Industriezweiges namentlich der Leipziger Carneval beigetragen. Es unterscheiden sich diese Kopfbedeckungen von den seidenpapiernen, komischen Einlagen der bekannten Knallhülsen (Knallbonbons mit Kopfbedeckungen, sowie ganzen Anzügen etc.), welche nur als Attrape dienen sollen, durch dazu verwendetes festes Naturpapier in lebhaften Farben, mustergültige Erfindung, reiche Verzierungen und eine über den Augenblick hinausreichende Dauer bei ihrer Benutzung.

Für die Cartonnagenfabrikation Lahrs und anderer Orte, welche den Schachtelbedarf der Apotheken, Parfümeriefabriken und Etikettendruckereien decken, ist die Verwendung des geschliffenen Holzstoffes zur Pappenfabrikation nicht ohne bedeutenden Einfluß geblieben, obgleich die Strohpappe ihres längeren Faserstoffes wegen zu vielen Cartonnagensorten immer noch vorgezogen wird. Die reizendsten Producte dieses Industriezweiges werden aber unstreitig in Wurzen hergestellt. Die Herren Zimmermann und Breiter beschäftigen in ihrem sehr gut geleiteten Etablissement meist Mädchen mit Herstellung der saubersten, zierlichsten Sächelchen (Nippes) aus Papier.

Die so beliebten Attrapen dagegen liefert der Thüringer Wald (Ilmenau) vermittels seiner dort heimischen Papiermachéfabrikation, und mancher biedere Deutsche, der, an den reich aufgeputzten Schaufenstern unserer Großstädte vorüberwandelnd, die ausgestellten Gerichte, Eßwaaren etc. bewundert, läßt es sich nicht träumen, daß diese Schaustücke häufig nur Copieen der wohlschmeckenden Originale sind, welche dem Thüringer Walde ihren Ursprung verdanken. Im Schaufenster verdarb früher so manches, z. B. die Handschuhe, die wohl in den meisten Läden jetzt, aus Papier täuschend nachgemacht, ausliegen, da auch das Leder wie die Eßwaaren höchst empfindlich gegen Licht und Luft ist.

Einen besonders starken Aufschwung erlebte seit 1870 die Papierlaternenfabrikation, stark in Leipzig und Umgegend blühend.

Endlich einmal hatten die Deutschen Ursache, alle vereint zu illuminiren und Lichtfeste in Scene zu setzen, die wahrscheinlich denen unserer darin besser bewanderten italienischen Nachbarn (siehe Gartenlaube 1867) nahe gekommen sind.

Die Papierlaternen, in Ballons-, Zug- und Formlaternen unterschieden, verlangen nicht zu steifes, festes, gutgeleimtes Papier von blendender Weiße als Material. Das Gerippe, beziehentlich Deckel und Boden, wird jetzt meist aus Holzpappe gefertigt; die Farben sind mit Schablone nicht zu dick aufgetragen, um das Licht auch an den farbigen Stellen durchdringen zu lassen. Die japanischen und chinesischen Laternen zeichnen sich vor den deutschen besonders durch die Güte des dazu verwandten Papiers aus, freilich auf Kosten des Preises, da die bezopften Bewohner Ostasiens nicht auf die durch den Export vorgeschriebenen billigen Preise angewiesen sind und in China der Papier- und Laternenverbrauch überhaupt zum religiösen Bedürfnisse gehört.

Bedenkt man, daß in China und Japan die Papierbereitung aus einer in ihrer Wirkung unserer Flachsröste ähnlichen Behandlung aller möglichen Stoffe (nur nicht Lumpen) besteht, deren Fasern, um einer Verkürzung, wie bei unsern Holländern, vorzubeugen, durch hölzerne Stampfen zerquetscht werden, so wird man die Güte des chinesischen Papiers und dessen mannigfache Verwendungsfähigkeit zur Papierwaarenfabrikation, wenn der hohe Preis dem nicht entgegenstände, begreifen. Aus derartigem Papiere gemachte Kleider, wie in China häufig, würden jedoch in Deutschland auf unüberwindliche Hindernisse stoßen, die in Sitte und Klima begründet sind, wie die in Darmstadt erfundenen, den grauen Herrenfilzhüten täuschend ähnlichen Papierhüte bei ihrer versuchten Einführung 1869 bis 1870 dargethan haben. Die ungemeine Leichtigkeit dieser Kopfbedeckung (60 bis 100 Gramm), die Wasserdichtigkeit, welche durch einen Schellacküberzug der wollpapiernen Kopfform, sobald sie dem Holzmodell angepaßt war, erzielt wurde, die vollständig den feinsten Filzhüten gleiche Garnirung der aus Preßspahn (lederartige Pappe) bereiteten Krempe und endlich die ungemeine Billigkeit (circa ein Viertel des Filzhutpreises) konnten nicht das Vorurtheil gegen Papierkleidung in diesem Stücke überwinden. Bessere Erfolge hat die Papierwäsche zu verzeichnen, deren Fabrikation außer in Leipzig (siehe Nr. 23 der Gartenlaube „Ueberwundenes Vorurtheil in einer Bagatellsache“) auch in Berlin eine große Rolle spielt, und werden getollte Unterrockbesätze, sowie Ballwesten aus piquéartigem Papiere mit Zeugrücken zum Anknöpfen zunächst den Kampf gegen dieses Vorurtheil zu bestehen haben.

Ein dem japanischen Papier sehr ähnlicher Stoff wird neuerdings in Chilworth (England) aus Halfa oder Espartogras, welches in kolossalen Massen aus Spanien, Algerien und Tunis nach England eingeführt wird, in Verbindung mit allen möglichen pflanzlichen und thierischen Abfällen fabricirt. Der Preis der Halfa bis an Bord der Schiffe ist nicht höher als der des Heues in Deutschland. Die zu Halbzeug vorbereiteten Rohmaterialien werden nach vorgenommenem alkalischem Waschproceß chemisch gebleicht und gleichzeitig in einen Brei verwandelt, welcher durch verschiedene Bottiche mit Rührapparaten hindurch auf die Papiermaschine gelangt. Aus dieser in Form eines dichten Filzes hervorgehend, wird das nun fertige Erzeugniß einer starken Pressung unterworfen, welche dem Papier eine piquéartige Textur verleiht. Dies ist das Material für die neuerdings von A. und E. Kaufmann in Berlin in den Handel gebrachten prachtvollen japanischen Gardinen von Pavy und Pretto, diesen für den großen Consum berechneten Imitationen jener kostbaren orientalischen Stoffe, die, weil sie oft ganze Menschenalter zu ihrer Herstellung fordern, nur den Reichen und Großen zugänglich sind.

Auf gedeckter Grundfarbe erscheinen, der orientalischen Phantasie entsprechend, die herrlichsten Zeichnungen von Vögeln, Blumen und Arabesken in den lebhaftesten Farben und der geschmackvollsten Zusammenstellung. Diese Stoffe machen denselben Eindruck, wie die schwersten Gobelins, Damaste und Seidenportièren, ohne der Vergänglichkeit derselben in Folge von Staub und Licht unterworfen zu sein. Auch Muster einfacherer Art, bis zur Nachahmung Elsässer Kattune herab, werden, natürlich entsprechend billiger, auf’s Geschmackvollste hergestellt. Der Faltenwurf ist in Folge der Weichheit und Schmiegsamkeit dieses Papieres dem gewebter Stoffe völlig gleich; statt des umständlichen, kostspieligen Waschens bedarf es nur öfteren Abstäubens, und betragen die Herstellungskosten höchstens ein Zehntel des Preises der Damastgardinen. Die Rückseite der Papiergardinen kann der Vorderseite entsprechend hergestellt werden, besteht aber meist nur aus einem Futter gleichen Stoffes mit hellen Kattundruckmustern.

In das Bereich der Papierwaarenfabrikation gehören auch die mannigfaltigen Erzeugnisse des Buntdrucks, welche wir in Form von Gratulationskarten, ausgeschlagenen Blümchen und Figürchen für Kinder, Pathenbriefen, decorirten Briefbogen und Papeterien jetzt allgemein in den Handel kommen sehen, und welche man insgesammt mit dem Ausdrucke Luxuspapier bezeichnet. Abgesehen von den zahlreichen Lithographen und Druckern, welche die vielen Fabriken dieser Branche, behufs Herstellung der nöthigen Buntdruckbogen (zugleich Decorationsmaterial für Cartonnagenfabriken, sowie verkehrt gedruckt als Abziehbilder zum Malereiersatz dienend) beschäftigen, bedarf die Gratulationskartenfabrikation in Berlin allein einige Tausend Arbeiterinnen. Hervorragende Künstler sind stets mit Lieferung auf’s Beste bezahlter Originalarbeiten beschäftigt, und die Fabrikanten überbieten sich beim Beginn jeder Saison (Weihnachtszeit) gegenseitig in überraschenden Neuheiten einfacher und zusammengesetzter Art. Auch der verwöhnteste Geschmack findet hier Befriedigung, da die Mechanik bei Zusammensetzung dieser Karten durch Hebelvorrichtungen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 732. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_732.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)